ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE. Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
7. Jahrgang 1903/1904. Heft 8: November 1903.
Die Wiedergeburt des Holzschnitts.
Von
Dr. Max Osborn in Berlin.
II.
Doch der Künstler, der nächst Menzel in jener Zeit für den
Holzschnitt am meisten getan hat, ist Ludwig Richter. Auch der Dresdener Meister schloß sich an die Kunst der Alten an, aber auch er ist weit von sklavischer Kopie
entfernt. Es ist die innere Verwandtschaft seines schlichten Sinns mit dem der deutschen Ver
gangenheit, die ihn als einen Fortsetzer der Traditionen des XVI. Jahrhunderts erscheinen läßt, und es ist die unendliche Liebe zur Heimat, das Verwachsensein mit dem deutschen Boden, das ihn mit jenen verbindet. Der Land
schaft und dem Leben Deutschlands opferte er seine ganze Kraft: nicht dem nervösen, brausenden Leben der Großstadt, sondern dem behaglichen, ein wenig philiströsen des Klein
bürgers; nicht dem Beginn der neuen Zeit, sondern dem Ende der alten, der lieben alten Zeit, die in seinen Zeichnungen eine wahrhaft gute ist.
Es ist noch nicht das Zeitalter der Maschine, das uns hier begegnet, sondern das der klein
städtischen Abgeschlossenheit. Wir sind in der Wohnstube, auf der Straße, auf dem Markte, vor dem Hause, unter der Linde, in der Laube, am Brunnen. Sorgsame Mütter erscheinen, zufriedene Männer, die von der Arbeit ausruhen,
die JPfeife rauchen und vergnüglich vor sich hinträumen. Das junge Volk liebt sich und neckt sich in sittsamen Grenzen; Großmütter, die den Kopf voll Märchen haben, um sie den Kleinen zu erzählen, humpeln am Stock heran; und Kinder gibt es — Kinder ohne Zahl und ohne Ende, noch mehr als der Wandrer in deutschen Dörfern und kleinen Städten auf der Straße trifft! Den Kindern zumal gilt Meister Ludwigs ganze Liebe. In zahllosen Bildern hat er von ihnen erzählt, von ihren Spielen und ihrem frühen Kummer, von ihrer Wildheit und ihrer Neugier, von ihrer Sonntagsfreude und ihrem Weihnachtsjubel (Abb. 28). Ihm, der selbst ein Mensch voll goldener Lauterkeit des Herzens und naiver Reinheit war, gelang es wie keinem anderen die glückliche Unbefangenheit des kleinen Volkes zu schildern. In allen seinen
Blättern begegnet uns seine kostbare Naivetät, die auch den Blasiertesten mit Ehrfurcht erfüllt und selbst da, wo sie ins Spießbürgerliche umschlägt, niemals zum Spotte reizt. Eine innige Frömmigkeit, die im Wesen jedes Blattes, im Rauschen jedes Baumes die Sprache eines gütigen Gottes hört, lebt in seinen Werken.
Gewiß, er hat weder die urwüchsige, handfeste Kraft der alten deutschen Meister noch den Reichtum ihrer Einbildungskraft erreicht. Er