ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE. Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
6. Jahrgang 1902/1903. Heft 11: Februar 1903. Deutsche Werkschriften der Gegenwart.
Von
F. Frhr. von Biedermann in Steglitz-Berlin.
Die Schrift als ein künstlerischdekoratives Element unterliegt denselben Gesetzen wie j edes andere Kunstmittel. Echt, zweck
mässig, einheitlich sind die Grundworte, an denen wir deren Befolgung messen können. Bei Erfüllung der durch diese Eigenschaften gekennzeichneten stilistischen Forderungen ist der Künstler ab
hängig von dem Material und dem Werkzeug,
die ihm bei der Hervorbringung seines Werkes dienen. Diese Grundsätze scheinen mir häufig bei Beurteilung von Stilfragen ausser Acht gelassen zu werden, besonders bei Bewertung von Druckschriften nicht immer ausreichende Berücksichtigung zu finden.
Es sind besonders zwei Stilarten, die den bei uns gebräuchlichen Werkschriften zu Grunde liegen: der Lapidarstil der Antiqua oder Latein
schrift, der Pennalstil der Fraktur und anderen anschliessenden, von Feinden der Fremdworte als Bruchschriften bezeichneten Gattungen. Das kleine Alphabet (Minuskeln) der Antiqua, eigentlich aus den geschriebenen Uncialen hervorgegangen, hat mit den im Lapidarstil rein er
haltenen Majuskeln in Einklang gebracht werden müssen und daher den Charakter seines Ursprunges im wesentlichen aufgegeben.
Da die Schrift, von der wir reden, aber weder mit Meissei und Hammer, noch mit Feder
oder Pinsel erzeugt wird, so sollte sie doch etwas von der ihr nun eigentümlichen Arbeits
weise verraten. Ehe wir eine Schrift schwarz auf weiss gedruckt vor uns sehen, hat sie mehr
fache Wege durchzumachen. Zuerst entwirft der Zeichner die Schrift in grossem Massstabe; darnach wird sie auf die verschiedenen Grade photographisch verkleinert und vom Graveur in Stahl geschnitten. Die Stahlstempel werden in Kupfer geschlagen oder galvanisiert, und aus diesen so entstandenen Kupfermatrizen werden
die einzelnen Typen in Schriftmetall ausgegossen. Die in Vielheiten durch Guss erzeugten Lettern setzt nun der Setzer zu Zeilen und Kolumnen zusammen; der Drucker überzieht diese mit Farbe und zieht davon die Schrift auf Papier ab. Es fragt sich nun, welche dieser Manipulationen für den Stil der Druckschrift ent
scheidend sein müsse. Der technische Kern in der Erzeugung des Buchstabenbildes liegt in der Arbeit des Stempelschneiders. Indessen wird man die Beobachtung machen, dass seine Arbeitsweise auf den Wechsel der Schriftformen nur geringen Einfluss gehabt hat. Kenn
zeichnender für die Druckschrift ist eigentlich die durch den Guss aus der gleichen Matrize bedingte Gleichförmigkeit: eine gewisse Mono
tonie, die eine stilistische Eigentümlichkeit der Druckschrift ausmacht. Die Technik des Stempelschneiders lässt für die Formenbildung einen