so weiten Spielraum, dass er sich oft mehr Mühe zu geben scheint, die Spuren seiner Tätigkeit zu verwischen, als auf ein Hervor
treten seiner, dem Lapidarstil näher stehenden Technik zu dringen, und die 450jährige Ge
schichte der Schriftgiesserei beweist, dass aus der Arbeitsweise des Stempelschneiders hergeleitete stilistische Forderungen für die Ent
wickelung der Schrift nur von untergeordneter Bedeutung gewesen sind.
Die Freunde der Erhaltung der Fraktur als deutsche Allgemeinschrift haben zu ihren Gunsten dagegen immer nationale Gründe geltend ge
macht, die freilich einer schon häufig an ihnen erprobten Kritik nicht Stich zu halten vermögen. Die Abneigung des Fürsten Bismarck gegen die Antiqua kann daran nichts ändern, auch nicht die gleiche Gesinnung einer von uns nicht minder verehrten Heiligen, der Frau Rat Goethe, an deren charakteristischen Äusserungen über diese Frage wir wohl einmal erinnern dürfen.
Im Jahre 1794, als sie den soeben bei Unger
in Berlin erschiene
nen zweiten Band von Goethes neuen Schriften erhalten hatte, schrieb sie an den grossen Sohn nach Weimar:
„Meinen besten Dank vor Reinecke den ertz Schelm — es soll mir aufs neue eine köst
liche Weide seyn! Auch verdient Herr Unger Lob und Preiss wegen des herrlichen Papiers und der unübertrefbahren Lettern — froh bin ich über allen Ausdruck, dass deine Schrieften alte und neue nicht mit den mir so fatalen Latei
nischen Lettern das Licht der Welt erblickt haben — beym römischen Carneval da mags noch hingehen — aber sonst im übrigen bitte ich dich
bleibe deutsch auch in den Buchstaben. — Auf Gevatter Wielands Werke 1 hätte ich prenumorirt aber vor der neuen Mode erschrack ich — und liesse es bleiben.“
Und am Weihnachtstag 1807 (oder 1808?) enthält ein Brief an die Schwiegertochter folgen
den Erguss: „Seine Eugenie das ist ein Meister- Stück — aber die Gross
mutter hat auf neue die Lateinischen Lettern und
den kleinen Druck zum Adrachmelech gewünscht. Er lasse ja nichts mehr so in die Welt ausgehen — halte fest an deuschem Sinn —deuschen Buchstaben, den wenn das Ding so fort
geht; so wird in 50 Jahren kein
Deusch mehr geredet noch geschrieben — und du und Schiller Ihr seid hernach Classische Schrieftsteller — wie Horatz Lifius — Ovid und wie sie alle heissen, denn wo keine Sprache mehr ist, da ist auch kein Volck — was werden alsdann die Profesoren Euch zergliedern — aus
legen — und der Jugend einpleuen — darum so lang es geht — deusch, deusch geredet — geschrieben und gedruckt. ..“
Nun, heute nach bald hundert Jahren, werden die „Classischen Schrieftsteller“ fast ausschliess
lich „deusch“ gedruckt, aber vom Schicksal des „zergliedern, auslegen und einpleuen“ sind sie auch nicht verschont geblieben.
Der Vorliebe für die Fraktur liegt eine Verwechslung von Gewohnheit und Nationaleigen
tümlichkeit zu Grunde. National ist nicht die Schrift, sondern die Beharrlichkeit, mit der sie bei uns erhalten wird. Die gebrochenen Formen haben ihren Ursprung in den Bewegungen der Feder zu suchen und in den von internatio
nalem Geiste erfüllten Schreibstuben der Klerisei. Die ältesten, von germanischen Völkern in eigentümlicher Weise nach griechischem Vor
bilde entwickelten Schriften, die Runen (Abb. 1) und die gotische Schrift des Ulfilas (Abb. 2) halten sich durchaus im Lapidarstil, und auch
die späteren Handschriften (Abb. 3) sind von der römischen Schreibkunst noch ganz abhängig. Erst gegen Ende des ersten Jahrtausends ringt sich aus irischen und angel
sächsischen Schreibstuben ein neuer Pennalstil durch (Abb. 4), der dann in den jetzt sogenannten gotischen Schriften eine so mannigfaltige Aus
gestaltung gefunden hat. An der Entwickelung der gotischen Schriften war Deutschland aber weder allein, noch vorzugsweise beteiligt. Die
Abb. 1. Runenbuchstaben.
Abb. 2.
Gotische Buchstaben Ulfilas.
1 1794 bei Göschen. Mit vortrefflichen Didotschen Let
tern gedruckt.Abb. 3, Gotisch im VII. Jahrhundert.