Die Macht des Gemuts
	» Wiffenfdaft Fann Catfachen feitftellen, 3ufammenbange ermitteln, Gefege erz
weifen; fie Fann nicht Glauben und innere Gewifbeit zeugen; fie wirkt Paufal,
nicht final. Der tieffte Srrtum des fozialen DenPens unferer Feit lag sarin, dah
man glaubte, von der Wiffenfchaft Willensimpulfe und Foealsiele verlangen su
diirfen. Was wir glauben, was wir erboffen, woftir wir leben, woftr wir uns
opfern, da6 wird uns niemals der Derftand verFiinden; Ahnung und Gefihl,
Erleudtung und Jntuition fibren uns in das Reid der Wadhte, die den Sinn
unferer Lriftens befdhliepen. Sinnlos, zufallig und ungeredtfertigt bleibt jegliches
Leben und Lebenswerk, wenn es fich auf die Ardfte des rechnenden und planenden
Geiftes (tigt; und hierin liegt der tiefe tranfzendente Croft des Dafeins, a6 der
felbftbewufite Derftand feine legte Aufgabe darin findet, fich felber 3u befchranken
und zugunften tiefinnerer, gebeimnisvoller Rrafte zu entfagen, die wortlos unfer
Gemiit beriibren.

DOeG in unferer Feit dic Quellen wieder emporbrechen follen, die beftimmt find, das
Leben aus der Erftarrung mechaniftifchen Selbfisweces gu fen, dafir find
Jeichen gegeben. Das erfte, was gefchieht und was gefcheben mug, ift, da6 die
Welt fich ihrer feelifchen Armut bewuGt wird, daf fie aus der Benommenheit,
dem Larm und der Blendung ibrer Berednungen, Produftionen, Cransporte
und Scauftellungen aufatmet, um innere Stimmen gu vernehmens daG fie die
Dinge der Seele ernft nimmt, ernfter als ibre Tageswitnfde, ernfter als ibr tage
lidkes Brot.

Dann werden fid) Stimmen erheben, fdyiidterne, von Fweifel und Scam lange
suriictgeddminte; sage gande werden die preffierte Gefhaftighett am Urmel faffen
und Gebhér fir die WUngite des Sergens erbitten: Ohne Scheu vor dem Bannitrah!
orthodorer Wiffenfcaft werden Menfden auf hellem WiarFte zufammentreten,
um ihre Gebnfucht und Glaubensnot 3u beFennen, erleuchtete Geifter werden
das Wort ergreifen und der Menge nicht alte Wipthen, trodene Wunder, lifterne
Lrweungen und geile EPftafen, fondern Juverfichten des Geiftes und Erlebniffe
der Seele verPinden.”

Aus: Walther Rathenau, Zur Medanil des Geiftes. S. Sifder. 4.50, geb, 6.00,
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