H. HAHN
PORTRATBÜSTE (AUSSCHNITT) (1893)
mit der Zeit und den Forderungen des Lebens in Rapport trat. Denn Hahns Kunst gefällt sich nicht in einem exklusiven Aesthetizismus, son
dern der Künstler sagte sich, daß heute von den „freien“ Künsten die Plastik der Zweckkunst, der „angewandten“ Kunst am nächsten stehe und am nächsten stehen müsse. Darum fehlt in seinem reichen Werk auch die einst so viel geschmähte
Bauplastik nicht: indessen beweist gerade Hahns Beispiel, welche außerordentlichen Werte auch aus diesem in den Zeiten des starren Akademismus so gering geschätzten Gebiet der Skulp
tur herauszuholen sind, wenn ein echter Künstler sie aus dem Stein zu locken unternimmt . . .
Schon diese kurzen Mitteilungen müssen erkennen lassen, daß Hahn nicht zu den Ein
seitigen gehört, die ja wohl auch in dem großen
Reich der bildenden Künste ihre Berechtigung haben und zu mancherlei gut und nütze sind, denen es aber naturgemäß versagt sein muß, siegreich zu sein. Hermann Hahn ist ein Viel
seitiger: wenn ich das sage, so weiß ich wohl,
daß dieses Wort zweischneidig ist und falscher Deutung ausgesetzt; darum will ich es präzi
sieren. Es gibt eine künstlerische Vielseitig
keit, die nichts anderes ist als Dilettantismus, und es gibt auch eine Vielseitigkeit, die man Mangel an Energie, an Konzentration, Entschlos
senheit und Hemmungen nennen kann. Es gibt aber endlich eine Vielseitigkeit, die edlerer und höherer Art ist, die als Motto Goethes Wort: „Wer immer stre
bend sich bemüht“ eingeprägt trägt, die Entwicklung bedeutet und ein ewiges „Stirb und Werde!“ Hinter ihr steht Kampf und Ringen, Zerstören und Wie
deraufbauen, Geduld und Unverzagtheit und natürlich auch ein furchtloses, über alle Zweifel erhabenes Können.
Von dieser Art ist Hahns Vielseitigkeit. Hahn hat sozusagen alle Möglichkeiten
plastischen Ausdrucks durchgeprobt, von den Frühwerken, die noch in der Münch
ner Akademie entstanden und Zeugnisse des handwerklichen Könnens des Dreiundzwanzigjährigen sind, z. B. den Por
trätbüsten des Bildhauers Alexander Oppler und des Herrn Emil Taussig (Abb. S. 290), bis zu der feierlich ernsten, süß-herben Monumentalität des Adler
jünglings für das Goethe-Denkmal in Chicago (Abb.geg. S. 296), das im vorigen Jahre entstanden ist. Da freilich kann man vom „Proben“ nicht mehr sprechen. Dieses Werk liegt jenseits des Experiments. Es wirkt durch seine Selbstver
ständlichkeit, durch seine Klarheit und
Durchsichtigkeit. Es ist genial, ohne genialisch zu tun. Hahn hat weder mit diesem
größten Wurf, der ihm gelungen, noch mit all den Werken, die zu diesem vorläufigen
Ziel hinleiten, das Außerordentliche gesucht. Er wollte keine neue plastische Sprache schaf
fen wie Rodin, Maillol oder von den Deutschen Max Klinger und neuerdings die Jüngeren, Hötger, Barlach, Kolbe, Metzner usw. Wie Adolf Hildebrand rief er aus: „Als brauchte man eine neue Sprache, um etwas Neues zu sagen!“ Dennoch und gewiß hat er dieses Neue gesagt. Und hat es — das verstehe ich eben unter Hahns „Vielseitigkeit“ — immer wieder neu gesagt.
Wir haben 1910 in einer Winterausstellung der Münchner Secession eine Uebersicht über Hermann Hahns Werk gewonnen. Welche Vielgestaltigkeit, welcher Reichtum, welche sprudelnde Fülle der Einfälle, Motive, Techniken! Da standen aus dem Jahre 1895 ent
zückende Frühwerke, zwei Bronzestatuetten,
die Adam und Eva darstellen, zierliche, fein durchgebildete Akte, die in ihrer Rassigkeit an den alten Meid gemahnen, obschon sie in ihrem Ausdruck und in ihren raffinierten technischen Möglichkeiten natürlich nicht das Geringste mit diesem Meister der Dürerzeit gemeinsam haben. Aber es darf nicht