OTTO BAURIEDL
LICHTER AM WILDEN KAISER


OTTO BAURIEDL


Von Richard Braungart


E


s gibt Leute, die allen Ernstes behaupten,
die Dinge um uns (und wohl auch wir selber) existieren gar nicht wirklich, sondern nur in unserer Vorstellung, und durch diese. Diesen Satz könnte man natürlich auch so formulieren: Die Dinge existieren so oft, haben so viele Erscheinungsformen, als es Men
schen gibt; denn nicht zwei Menschen sehen ein und dasselbe Ding absolut gleich. Man sieht ja die Dinge nicht nur mit den physischen, sondern auch mit den geistigen Augen; d. h. unsere ganze Lebenserfahrung, alles, was wir von den Dingen und ihren Beziehungen zu
einander und zu uns wissen, spielt beim Sehen eine wichtige Rolle. Und sind schon die physischen Augen unendlich verschieden, so sind es die geistigen noch mehr. Kurz und gut: es ist leicht zu begreifen, daß niemand irgend etwas, einen Menschen z. B. oder
Sämtliche Reproduktionen dieses Aufsatzes sind nach Originalen, die uns Brakls Kunsthaus, München, zur Verfügung stellte, hergestellt.
eine Landschaft, genau so sieht wie ein anderer. Und daraus folgt ohne weiteres, daß die Leute, deren Metier es ist, über ihre Eindrücke von den Dingen mit Pinsel und Leinwand zu referieren, über den gleichen Gegen
stand oft gänzlich verschieden aussagen. Und wenn dieser Gegenstand die Natur ist, so resultiert daraus, daß niemals zwei Landschaftsmaler das gleiche Motiv ganz gleich malen.
Diese Feststellung ist nicht so unwichtig, als man vielleicht annehmen mag; denn sie erklärt uns mühelos, wie es kommt, daß uns
immer wieder Maler mit der Schilderung tausendmal gemalter Dinge fesseln und erfreuen können. Wir fühlen eben immer das Be
sondere, das Andere und Neue, und werden darum nicht satt, uns das alte Motiv stets wieder von neuem variieren zu lassen. Was wäre z. B. schon öfter, und man möchte meinen, erschöpfender behandelt worden als eine Sommerwiese, ein Laubwald, ein Gebirgstal, verschneite Berge, blühende und herbstbunte