fernten Momente riicken nach ihrer innern Verbindung zu-
sammen  ),

Die kleinen Statuetten in den Bogen iiber der Thire stellen
im Allgemeinen die himmlische Glorie dar, welche den Hei-
land im Bogenfelde umgiebt, der innerste an dieses Relief
granzende Bogen enthalt zwélf Engel und zwar die der einen
Seite Kronen, die der andern Rauchfasser tragend, vielleicht
als eine abgektirzte Andeutung der verschiedenen Engelschére,
etwa der Throne oder Herrlichkeiten durch die Krone, der Tu-
genden durch die Rauchgefasse, wahrscheinlicher bloss als An-
deutung der Hymnen, welche sie zur Ehre des Himmelskénigs
singen. Der zweite Bogen enthalt vierzehn Propheten, der
dritte sechszehn alltestamentarische Konige, der vierte acht-
zehn Patriarchen. Ausserdem ist aber in der Spitze jedes die-
ser vier Bogen noch eine aufrechtstehende Gestalt, gewisser-
massen ein plastischer Schlussstein, angebracht. In der Reihe
der Engel, ein Engel mit einer Sonne, in den drei anderen
Reihen die Personen der Trinitét; und zwar ber den Pro-
pheten der heilige Geist in der Stellung eines Betenden mit
aufgehobenen Handen, iiber den Kénigen Christus mit Schwert
und Weltkugel, aber den Patriarchen endlich Gott der Sch6-
pfer, der dem alten Testamente allein bekannt war. Endlich
stehen aber auch wieder diese Himmelskreise mit den Statuen
in den Thiirgewdnden, tiber denen sie sich befinden, in inniger
Verbindung. Auf der rechten Seite des Beschauers befindet
sich unter der Engelreihe auch der Engel der Verkindigung,
der also unmittelbar aus der tiber ihm befindlichen Schaar her-
abgestiegen zu sein scheint, unter den Propheten die Jung-
frau, der Gegenstand ihrer Visionen, tiber der Visitation aber
beginnt die Kénigsreihe mit David, aus dessen Stamm das Heil
hervorgeht, welches Elisabeth begrisst. Auf der gegentiber-
stehenden Seite hat von den drei Magiern der erste, unter der
Kénigsreihe, eine ruhige, aufrechte Haltung und deutet also
die kénigliche Wirde an. Der zweite weiset mit der Hand
auf die Jungfrau und erscheint mithin prophetisch, wie die
iiber ihm beginnende Reihe. Der dritte endlich kniet und ist
daher anbetend wie die Engel; auch schwebt itber ihm ein En-
gel, der also aus der Schaar seiner dartiber befindlichen Bri-
der herabgestiegen erscheint, um als Stern die Weisen des
Morgenlandes zu fihren. Es liegt augenscheinlich in der Folge
dieser Reihen eine Steigerung von der irdischen Kénigswirde
zum Prophetenthum und endlich zu der anbetenden Anschauung.
Der Zusammenhang der Patriarchen mit dem Christenthum und
dem Judenthum ist an sich deutlich, sonderbar nur, dass un~
mittelbar tber der Gestalt der Kirche Eva, tiber der der Syna-
goge Adam steht, womit entweder eine sehr tiefe mystische
Andentung oder gar keine gegeben ist.

Es ist uns, da wir an eine leichtere, mehr naturalistische
Kunst gewdhnt sind und von ihr eine unmittelbare Verstand-
lichkeit und eine Einwirkung auf die Stimmung erwarten, viel-
leicht schwer, uns mit dieser tiefdurchdachten Composition zu
befreunden. Die Zeitgenossen aber waren nicht nur mit dieser
Symbolik im Ganzen vertraut, sondern ihnen waren auch die
einzelnen Beziehungen mehr oder weniger gelaufig; sie waren
daher im Stande, schnell die Bedeutung des Ganzen zu wir-
digen und dadurch Lust zu gewinnen, um auch in langsamerer
Betrachtung das Einzelne durchzugehen. Dann aber verstan-
den sie auch die feineren Motive im Gesichlsausdruck und in
der Wendung der Gestalten, auf welche der Kiinsller durch
jene symbolischen Beziehungen gefihrt war, und durch welche
er versucht hatte, sie zu versinnlichen,
	1) Ganz ahnlich, aber weniger geistreich, ist die Darstellung im Bogen-
felde des Portals der Lorenzkirche zu Nurnberg.
	Ich habe diese Composition so ausfiihrlich beschrieben, nicht
blos weil sie eine der sinnreichsten, sondern auch eine der
conservirtesten ist. Denn leider ist ein so genaues Verstind-
niss nur in wenigen Fallen méglich, weil theils die Figuren
mehr oder weniger fehlen oder bei Reparaturen ganz unpassend
versetzt sind, theils aber auch die Beziehungen dunkel und aus
irgend einem wenig oder gar nicht bekannten theologischen
Schriftsteller entnommen waren.

Ein Beispiel, wie man die Darstellung der verschiedenen Portale
im Zusammenhang brachte, gewahrt der Minster in Strasburg.
Das Mittelportal giebt den eigentlich historischen Theil der Heils-
lehre. Unten am Mittelpfeiler die Jungfrau, auf den Seiten alt-
testamentarische Kénige und Propheten, gleichsam ihr physischer
nnd geistiger Stammbaum. Im Bogenfelde ist die Geschichte
Christi vom Einzuge in Jerusalem bis zur Himmelfahrt darge-
stellt, und in den Bogen geben kleine Gruppen das Wesent-
liche des alten und neuen Testaments. Von aussen anfangend
enthalt der erste Bogen die Schépfungsgeschichte bis zur Flucht
Cains, der zweite die Patriarchen, der dritte die Martyrien der
Apostel, der vierte die Gestalten der Evangelisten und Kirchen-
lehrer, der fiinfle endlich Wunder Christi, welche offenbar we-
gen ihres Vorranges und ihrer Verbindung mit den Darstel-
lungen des Bogenfeldes mit Verletzung der historischen Reihe
die innerste Stelle einnehmen. Das Seitenportal zur Linken
des Beschauers zeigt im Tympan die Jugendgeschichte Christi,
die Anbetung der Konige, Maria Reinigung, den Kindermord,
die Flucht. Die Statuen bestehen gréssentheils in gekrénten
Jungfrauen, Tugenden, welche die Laster niedertreten, viel-
leicht auch Sybillen nebst einem Propheten. Am andern Sei-
tenportale zeigt das (zerstért gewesene, aber getreu herge-
stellte) Relief des Bogenfeldes die Auferstehung und das Ge-
richt, wahrend in den Statuen die klugen und thérichten Jung—
frauen mit dem Brautigam angebracht sind,

Alle drei Portale stehen also in einem innern Zusammen-
hange, den der Beschauer wie im Buche von der Rechten zur
Linken lesen soll, Zuerst die vorbereitende Gnade, die Tu-
gend, verbunden mit den lieblichen Scenen der Kindheit Christi,
tberhaupt also die ahnungsvolle Frithzeit. Im Mittelportal die
eigenlliche Heilslehre, durch die Propheten verkindigt, durch
die alttestamentarische Geschichte vorbereitet, in Christi Er-
denwandel geoffenbart, in der Kirche verherrlicht. Das dritte
endlich giebt die letzten Dinge, die grosse Lehre der Wach-
samkeit in den Jungfrauen, die Hinweisung auf das Gericht. )

Aehnlich ist die Darstellung in den drei Portalen des Doms
zu Amiens. Das erste zeigt die Geschichte der Jungfrau;
sie steht am Mittelpfeiler, umgeben von Gestalten, welche die
Prophezeiung und ihre Geschichte bis zur Geburt andeuten.
Salomon, die Kénigin von Saba, die drei Magier, Herodes,
dann Verkiindigung, Visitation und Prasentation in sechs Fi-
guren. Im Tympan ihre weitere Geschichte bis zu ihrer Kré-
nung im Himmel, in den Bogen Engel und ihre Genealogie.
Das Mittelportal giebt nun wieder das Héhere. Am Pfeiler die
	1) Der Giebel uber dem Mittelportal hat eine ziemlich dunkle Darstellung.
Man sieht zunachst tiber der Bogenspitze einen greisen Konig, wabrscheinlich
Salomon; hdher hinauf die gekrénte Jungfrau mit dem Kinde; ganz in der
Spitze das Brustbild des Schépfers, als ein Greis mit fliessendem Barte auf-
gefasst, mit dem Nimbus des Kreuzes. Yom Throne der Jungfrau gehen aul
jeder Seite sieben Stufen, die Hohe des Giebels ausfillend, herab, auf wel-
chen ebensoviele Lowen aber in verschiedenen Stellungen stehen; unter ihnen
Schlangen und andere unreine Thiere , vielleicht also die Tugenden und Laster
in symmetrischer Verdoppelung. An der dussern Giebeleinfassung elf musi-
cirende Engel, Teufel unter ihren Fissen. Im Wesentlichen scheint also das
Ganze wiederum die historische Folge, die alttestamentarische Vorbereitungs-
zeit, das irdische Leben des Herrn, seine Einheit mit dem Vater, darzustellen. —