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	tal wieder freigegeben haben, wahrend das Portalfenster so-
gleich in Wirkung getreten und das Mittelschiff sein urspriing-

liches Verhaltniss wieder erlangt haben wiirde. Mit dieser ет-
fachsten und, wie es sich jetzt herausstellt, auch schénsten und
zugleich wohlfeilsten Stellung, konnte sich der Orgelbauer und
der Stiflungsrath nicht vereinigen, und zwar, weil die Orgel
an diesem Orte der Gemeinde zu entfernt sei und der Prediger
keine Resonanz finde. Ein zweiter Entwurf von demselben Ar-
chitekten beantragte nun, die Orgel vor den grossen Scheide-
bogen der Thurmhalle, an die anstossenden Wandungen des
Mitlelschiffes zu stellen; sie bestande aus zwei, durch eine leichte
eiserne Briicke verbundenen Theilen. Die Windkdsten waren
an die Rtickseiten der Wandungen gekommen und der Balkon
wiirde sich bis vor und sogar um die Pfeiler herum gezogen
haben, wahrend das Orgelwerk und das Balkon- Personal der
Gemeinde naher gekommen waren, als selbst bei der jetzt be-
liebien Stellung. Im Fall aber nur ein Theil als lebendiges
Werk eingerichtet werden wollte, was auch fiir die пб ое
Wirkung hinlanglich ware, so kénnte natirlich die Verbindungs-
Briicke wegbleiben. Aber auch diese Stellung wurde abgelehnt,
und es scheint, dass die erhobenen technischen Schwierigkeiten
des Orgelbaues den Ausschlag dazu gegeben haben, obgleich
im Miinster zu Aachen eine dhnlich getheilte, ebenfalls grosse
und neue Orgel, jedoch mit langerer Tractur, als Muster fiir
die Ausftihrbarkeit einer solchen Orgelstellung steht. Mitller-
weile wurde dem Stiftungsrathe von anderer Seite her eine
dritte Stellung proponirt, welche das neue Werk um ca. 15 —
20 Fuss hinter den mehrgedachten Scheidebogen stellt, so dass
es von den vorspringenden Gewanden desselben theilweise ver~
deckt wiirde; auch sollte diese Orgel wieder auf einem Ge-
woélbe in der vorderen, der Ostlichen, Halfte der Thurmhalle
ruhen. Im Ganzen betrachtet, ware aber die neue Stellung der
Hauptsache nach, gleich der alten, auch hilte sie auf das Innere
im Wesentlichen dieselbe nachtheilige Einwirkung, ja sogar
eine noch schlimmere, da eine gréssere Orgeldimension auch
vine gréssere Flache des Portalfensters verdecken muss. Gegen
diesen Plan waren, wie man s. Z. vernahm, von der K6nigl.
Wirtb. Kunstschuldirection wiederholt griindlich motivirle Ein-
wendungen erhoben worden, wobei nicht unterlassen worden
sein soll, ernstlich dem Stiftungsrath zu bedenken zu geben,
dass eine Wiederholung des Hauptfehlers der alten Stellung ein
hdchst beklagenswerthes Ereigniss sein, und dem scharfsten
Tadel der Mit- und Nachwelt nicht entgehen wiirde. Auch
der Kélner Dombaumeisier Zwirner soll damals sein, von ihm
dringend gewiinschtes Gutachten dahin abgegeben haben, dass
die oben geschilderte, vom Minster -Baumeister Mauch zuerst
beanlragle Orgelstellung an der Portalwand den Vorzug ver-
diene, und dass er sich nur freué, wenn die Zeit komme, in
welcher das Minster von seinem Bogen~Durchgang befreit
werde, welcher so lange zur Schmach seines Erbauers gestanden.
Doch alle amllich eingeholten Gutachten von Architekten und
alle ausseramtlich gegebenen Warnungen, wobei wir insbeson-
dere auf die Correspondenz der Allgemeinen Zeilung a. a. O.
hinweisen, blieben unbeachtet, —- wenigstens ohne Erfolg!
Héren wir nun aber auch, was tiber diesen Bau der offizielle
Bericht im VI. Heft der Verhandlungen des Vereins fiir Kunst
und Allerthum in Ulm und Oberschwaben, 1849 S. 22 sagt:
»Die Differenzien, welche tiber dic der neuen Orgel zu gebenden
Stellung obwalteten, waren zunichst Ursache des Verzuges,
bis in obgenanntem Zeitpunkt* (Marz, 1848), ,,von Seiten der
Konig]. Regierung (des Donaukreises) ,,dahin entschieden wurde,
dass die vom Stiftungsrath, auf das Gutachten des Orgelbauer
Walker in Ludwigsburg, der stadtischen Baumeister Rupp
in Reutlingen und Thran in Ulm vorgeschlagene Stellung (nim-

 
	lich in der vorderen Halfte des. Thurmraums auch nach der
Meinung vieler anderer Sachverstindigen) als die vortheilhaf-
ieste beibehalten werden solle.“ — Eine Fortsetzung oder Er-
ganzung dieses Berichtes sagt im VII. Heft des Vereins, 1850
S. 37 weiter: ,,Es war also die Aufgabe, die neue Orgel so
zu stellen, dass 1. dieser Bogen“ (Scheidebogen) ,,mit seinen
Pfeilern in seiner ganzen Profilirung frei bleibt, und 2. die Ar-
chitektur des Orgelgehauses in der Art anzuordnen, dass das
in der Westfronte des Minsterthurmes befindliche Martinsfenster“
(Portalfenster) ,,unverdeckt bleibt. Zu diesem Zwecke wird die
neue Orgel vor das Aufzugloch, ihr Geblase hinter dasselbe
gestellt, die neue Orchester-Galerie zwischen die Pfeiler ge-
riickt und ein neuer Unterbau durch die ganze Lange des
Thurmraumes eingesetzt.“ So ist nun der Unterbau bereits
ausgefithrt, damit aber auch ein langst ersehnter Augenblick
voriber, der Zeitpunkt naimlich, das Miinster von jenem ver-
wiinschten Einbau befreien zu kénnen. — Wie musste es tber-
raschen, dass dieselbe Kénigl. Regierung des Donaukreises im
Marz 1848 die Stellung des Orgelbaues in der vorderen
Halfte der Thurmhalle genehmigte, welche doch bis dahin
an den, von der obersten Aufsichtsbehérde, dem Kénigl. Mini-
sterium des Innern, unterstiitzten und wohl motivirten Gutachten
der Koénigl. Kunstschuldirection fest gehalten, und dem Ver-
nehmen nach sogar im Hinblick auf die ausserordentliche Wich-
tigkeit der Sache den Stiftungsrath dabei an seine moralische
Verpflichtung, ganz Deutschland gegeniiber, eindringlich erin-
nert haben soll! Aber an dieser Marz-Errungenschaft des Stif-
tungsrathes sollte es nicht geniigen! Eine noch gréssere Ueber-
raschung brachte die oben erwahnte Fortsetzung des offiziellen
Berichles (1850), nicht nur ein neues Gewdlbe zu fihren, wie
es fiir die vordere Halfte der Thurmhalle von der Konigl.
Kreis~Regierung im Marz 1848 genehmigt wurde, sondern
dieses Gewdlbe auf die ganze Linge des ,,Thurmraumes“ aus-
zudehnen, also die ganze Thurmhalle mit einem unun-
terbrochenen eingesetzten Unterbau zu verdecken,
damit also auch vollends den letzten Raum, von welchem aus
beim Eintritt durch das Portal ein Blick in die Héhe geworfen
werden konnte, zu tiberbauen! Wenn ibrigens die oben ange-
fihrte Fortsetzung des offiziellen Berichtes (1850) unter Ziffer
1 und 2, Griinde fiir diesen ,,durch die ganze Lange des Thurm-
raumes“ — der Thurmhalle — ,,eingesetzten neuen Unterbau“
anzugeben sich das Anschen giebt, so wird hierauf der sach-
verslindige Leser sogleich selbst entgegnen, dass diese Grtinde
allerdings auch maassgebend bei diesem Bauwesen sein sollen,
dass ihr Zweck jedoch nur bei der Orgelstellung an der west-
lichen Portalwand oder bei der getheilten Stellung vor dem
Scheidebogen, neben der néthigen Beriicksichtigung der Akustik,
vollkommen erreicht worden ware, dass aber bei dem jetzt be-
liebten, die ganze Lange der Thurmhalle einnehmenden Einbau,
der aufgestellten Forderung ganz ungeniigend entsprochen wird.
Der Glanzpunkt der ganzen Sache ist nun offenbar der, dass
das Miinster stalt eines Renaissancge- jetzt einen grossen gothi-
schen Zopf erhalt! Wenn neuere Kunstkritiker am Ulmer Min-
ster tadeln, dass sich sein Inneres zu massenhaft und schwer-
fillig zeige; so liegt der Grund dazu gewiss vorzugsweise darin,
dass seine Raumverhiltnisse gestér! worden sind. Und wenn
ferner die Unterbrechung des Mittelschiff-Gewélbes mit dem
Chore bedauert wird, so hatle um so mehr die schéne Wirkung
der Verbindung des Mittelschiff-Gewdélbes mit dem der Thurm-
halle wieder hervorgehoben werden sollen, welche Anlage be-
kanntlich ein grosser Vorzug des Ulmer Miinsters den anderen
Kathedralen, namentlich dem Strassburger Miinster, gegeniber ist.

Wie die Kirche im Aeussern, ohne Schmuck, bloss durch
ihre kolossale Massen imponiren sollte, so im Innern durch ihre