Es ist nun aber weniger das vor Augen Stehende, sondern es ist die Stimme, die als Organ und Medium der Poesie gefeiert wird. Und auch im Fall von Nekrassow wird angemerkt, dass sie stimmlichen Ursprungs sei und nicht vom geschriebenen Text zum m ndlichen Vortrag verlaufe, so dass der schriftliche Text eher als beil ufige Fixierung betrachtet werden k nne. Umso erstaunlicher wirkt das Ganze in seiner textlichen Wiedergabe, denn es liegt ein Gedichtband moderner Formulierungen und Strukturen vor, der auch in der bersetzung jeden Vergleich mit Druckwerken westlicher Dichtung aush lt. So steht man als Leser in deutscher Sprache im Vertrauen in die Kunst der bersetzung, aber auch im Vertrauen auf die Intuition vor dem Werk, um den Reichtum einer Poesie von russischer Landschaft, von der Wolga bis zu st dtischen Brennpunkten, vom Weiten zum Nahen, vom Nahen zum Weiten zu versp ren, zu riechen und bei guter Veranlagung zu h ren. (Nebenbei: Das Werk dieses Dichters ist in seiner lyrischen Vielfalt ein wunderbarer Reisebegleiter.) 
Dem Text kommen auch ohne Stimme westliche Erfahrungen mit experimenteller Poesie in schon fast gewohntem Umfange entgegen. Aber da hat im Namen des Dichters ein wesentlicher Einspruch zu erfolgen: Er ist gegen den Begriff des Experimentellen f r seine Dichtung. Richtig. Und eigentlich will ja keiner experimentell schreiben au erhalb eines Semiotik-Seminars. Es waren doch insbesondere die f hrenden Disziplinen der 1950er-Jahre, in deren Rahmen uns stochastisches Schreiben zuerkannt wurde. (Helmut Hei enb ttel am Telefon: Wir sind jetzt Stochasten.) Ganz klar war aber Marinettis Futurismus voller experimenteller Akte und hatten die »W rter in Freiheit« einen experimentellen Nachklang, ohne den selbst Nekrassow nicht ganz auskam. Und von Mallarm z hlen wir die ber hmten Wortfreistellungen als wesentliche Erfahrung hinzu. Und es sind die vielf ltigen konkreten Unternehmungen seit den 1950er-Jahren, denen im Werk Nekrassows fast unmittelbar
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zu begegnen ist: den Wortfolgen, Wortkaskaden, Reihungen, Wiederholungen, Inversionen, den Redewirklichkeiten, dem wei en Blatt und den Konstellationen. Es sind Begegnungen von eigenwilliger Lebendigkeit, so dass man es dem Theoretiker Nekrassow unbedingt abnimmt, wenn er verschiedene bereinstimmungen als eigne Erfindungen reklamiert. Denn wer immer bekennerisch einen Wortschatz nach strenger Methode und Logik regelt, wird sich schlie lich unversehens einmal im Verwandtenkreis der Konkreten Poesie wiedererkennen. Gleiches oder hnliches liegt am gemeinsamen Grund des Einfachen bereit zur Entdeckung und Hebung.

Nun ist ein gro er russischer Beitrag in deutscher Sprache zug nglich geworden, kein abschlie ender der Moderne, denn dazu scheint er zu lebendig und zu abgewandt von irgendwelchen Vergangenheiten, ohne Vorl ufer zum Beispiel aus den eigenen russischen 1920er-Jahren zu benennen. Nein, Nekrassow suchte gleich konkreten Dichtern die Reform in der Komplexit t, die Sprache der Poesie der eigenen Zeit. Sie bekennt sich zur naiven Weltformel der Poesie: »Ich lebe ich sehe «, und sie setzt sie zum Lesen vor Augen. Da wird auch der H rende sehend, der Sehende h rend. Was Poesie ausmacht.