vor den schlimmsten Auswüchsen bewahrt. Von der Hochflut der Prachtwerke blieb das Publikum verschont, dafür wurde die Illustration der Wochenblätter, selbst die Zeichnung von Tagesereignissen durchschnittlich mit mehr künstlerischem Verständnis hergestellt als bei uns. Die Zeitschriften, die bei uns vielfach Beförderer der Geschmacklosigkeit waren, sind dort tatsächlich überwiegend Verbreiter des Geschmacks geworden. In dem „Penny Maga
zine“, das 1832 von Charles Knigth begründet wurde und das Vorbild des deutschen Pfennig- Magazins ward, in den großen Journalen, die heute noch in allen englischen Bürgerhäusern
Eingang finden: dem „English Magazine“, „Art Magazine“, „Quiver“, „Cassel’s Magazine“, „Art Journal“, „Good Words“, „Sunday Magazine“ und all den anderen, vor allem aber in den größten und wichtigsten Erzeugnissen der perio
dischen Literatur: den „Illustrated London News“ und dem „Graphic“ (Abb. 76), wurde dafür gesorgt, daß das Publikum vor kunstverlassener Schluderarbeit bewahrt blieb. Der heutige Stand
des englischen Kunstgewerbes zeigt, welche schönen Früchte eine solche künstlerische
Volkserziehung tragen kann. Als das „Penny Magazine“ erschien, war noch der Kupferstich und vor allem der Stahlstich als Illustrations
mittel beliebt, dann aber eroberte sich der leichter herzustellende Holzschnitt in kurzer Zeit das ganze Gebiet. Die „Illustrated London News“, von Herbert Ingram begründet, waren bereits volkommen auf den Holzschnitt gestellt. Hier gaben sich nun im Laufe der Jahre alle bekannten Maler ein Rendez-vous. Landseer, Leslie, Wilkie und viele andere treffen wir im Mit
arbeiterkreise dieses Journals. Im Jahre 1869 trat dann der „Graphic“ als gewichtiger Konkurrent daneben auf. W. L. Thomas, sein Begründer und Direktor, hatte das Prinzip, die jüngere Künstlergeneration heranzuziehen. Mit Arbeiten
für die Anfangs-Jahrgänge des „Graphic“ hat z. B. der junge Herkomer, dem es damals recht schlecht ging, seine ersten größeren Einnahmen sich erworben. Eine Eigenart des englischen Holzschnittes aber beruht darin, daß unter den Technikern so wenig wie unter den Zeichnern nach Bewick einzelne hervorragen, die durch ihre Arbeit plötzlich einen Umschwung herbei
führen oder neue Wege eröffnen. Auch hier liegt der Wert der englischen Leistungen in
dem Zusammenarbeiten gleichmäßig geschulter Kräfte, bei denen die Gesamtheit wichtiger ist als die einzelnen Mitglieder.
Nordamerika trat eigentlich überhaupt erst in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts in die Kunstgeschichte und damit auch für unser Sondergebiet in die Zeit ein, wo von einer eigenen Entwickelung die Rede war. Aber die schnelllebigen Amerikaner holten
rasch nach, was sie versäumt hatten, und der amerikanische Holzschnitt ward bald ein wich
tiger Teil der modernen graphischen Kunst. Gewiß gab es schon vor 1850 jenseits des Ozeans Maler, Zeichner und Holzschneider. Sie standen naturgemäß durchweg unter dem
bestimmenden Einfluß Englands. Alexander Anderson, der den offiziellen Titel eines „Vaters des amerikanischen Holzschnitts“ führt, war ein Nachahmer Bewicks, der, so gut es gehen wollte, die Art des englischen Meisters kopierte.
Dann kamen aus Europa selbst, abermals aus England, spekulative Xylographen herüber, die in der Neuen Welt verwerten wollten, was sie zu Hause gelernt hatten. Die ganze Glätte und Kälte der Bewick-Schule, ihre stahlstich
artige Manier fand hier ihr Echo. Nur ein
Vollblutamerikaner ragt in jener Zeit aus der Menge der schlecht und recht arbeitenden Holzschneider hervor: A. V. S. Anthony, der artistische Leiter der Firma James R. Osgood & Co. in Boston, die eine große Menge illu
strierter Bücher auf den Markt brachte. Von Anthony, kann man sagen, stammt die eigent
liche amerikanische Holzschneiderschule her, deren Wesen sich durchaus von dem der europäischen Xylographie unterscheidet. Dieser Grundunterschied beruht darin, daß der amerikanische Holzschnitt absolut und radikal Ton
schnitt ist, daß er skrupellos auf das Malerische ausgeht, ohne daß auch nur im mindesten das Gefühl vorwaltet, daß man damit Wege einschlägt, die dem Wesen dieser Kunst von Plause aus fremd sind. Das kann nicht Wunder nehmen; denn die amerikanische Kunst ist so glücklich und so unglücklich, keine Tradition zu besitzen. Sie springt im XIX. Jahrhundert plötzlich auf den Plan, nicht eigentlich organisch aus dem Volkstum herausgewachsen, sondern gewissermaßen auf