ARTHUR SCHNITZLER †
Während Wiens Bühnen, Schauspieler, Schriftsteller, Theaterfreunde die ersten Vorhereitungen trafen, Arthur Schnitzlers siebzigsten Geburtstag künstlerisch zu feiern — das wäre im nächsten Mai gewesen — ist er hingesunken, um die Augen für immer zu schließen. Arthur Schnitzler ist nicht mehr! Der Dichter einer Gesellschaft, die schon vor dem Krieg dahingeschwunden, eines eleganten, lächelnden und doch unter Bitterkeit genießenden Wien, in dessen Salons die Anatole auf Frauen
lippen träumerisch Glück suchten und fanden — er weilt nicht mehr unter uns. Er, der in seiner Jugend seihst Anatol gewesen, mit der melancho
lischen Locke, die ihm so lieb in die Stirne fiel, mit dem feinen, ganz leise an die Vorstadt anklin
genden Wienerisch des Smokings, wie es damals nur er und sein jüngerer Freund Hugo v. Hofmannsthal, höchstens noch Hermann Bahr zu spre
chen, hauptsächlich alter zu schreiben verstanden — sein Mund ist für immer verstummt. Seine Hand kalt und starr.
Anatol . . . Unwillkürlich tritt dieser Held der Erstlingsdichtung Schnitzlers dem Freunde seiner Muse vor Augen, wenn er an den beglückten Dich
ter denkt. Es war in den ersten neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als die Gestalten des Anatol-Zyklus zum erstenmal aus dem schlan
ken, zierlichen Buch emporstiegen und an uns vorüberzogen. Da stand ein neues Wien vor uns auf, ein helles, elegantes Geschlecht, das die Lebensfreude aus feinen Lobmeyerschen Kristall
bechern trank, in das einige Tropfen Melancholie gefallen waren. Wie adelte solche Bitterkeit das Getränk! Damals gab es noch glanzvolle Festlichkeiten in der alten Wiener Hofburg. Die goldbetreßten Lakaien reichten im heißen Saale eis
kalte Mandelmilch herum, wundervoll süß — aber immer waren für den Trank auch einige bittere Mandeln ausgepreßt worden. Wienerische Hof
mischung, einzig in ganz Europa: Bitterkeit in der höchsten Faschingslust. Man schluckte durch gol
dene Strohröhrchen lachende Ahnung vom nahen Ende der alten, österreichischen Herrlichkeit!
Das war auch die liebste Mischung, die Schnitz
ler den Gesprächen seiner jungen Wiener Lieblinge gab, diesem Anatol und den Freunden und Freundinnen. Das waren Kinder unserer Stadt, aber so ganz andere, als sie die alten Wiener Lo
kaldichter gezeigt hatten, den feinen Bauernfeld mitinbegriffen. Wiener, die den Cut mit Anstand tragen, Frauen und Mädchen, nicht nur in Haltung bezaubernd, sondern auch gebildet, ja ungezwungen geistreich und doch in ihren Neigungen so unbedenklich, so wahrhaftig wie das Wiener Tor
stadtmädel eines Anton Langer oder Karl Elmar. Das ist, was immer gleich bleibt in allen Frauengenerationen unserer Stadt.
Was aber das eigentlich Künstlerische und das unnachahmlich Persönliche bedeutet, das ist der leichte, feine, glitzernde Vorhang von schwarzem Flor, der uns von Anatol und seiner Gesellschaft trennt, so daß wir nie recht wissen: Leben diese Gestalten oder sind es nur anmutige Gespenster von Fleisch und Blut, die unsere Sprache spre
chen? Dieser Flor, den Schnitzler vor nun fast einem halben Jahrhundert über sein Jünglingswerk hat herabgehen lassen, er ist heute noch nicht auf
gezogen! Und wir sehen auch fast alle späteren Helden seiner Gesellschaftsdramen und der Meistererzählungen immer nur hinter diesem myste
riösen Gewebe aus zartester Gaze, so daß alles in fremde Sphären entrückt scheint, in jenes gedankenvolle Halbdunkel, wo Tag und Nacht, Wirk
lichkeit und Traum einander umarmen, ineinander verschwimmen.
Nichts zauberhafter als solch ein Flor, den ein Künstler mit traumhaften Händen vor sein Werk spannt! Wie viele Dramen spielen in dieser Däm
merung zwischen Sein und Nichtsein, zwischen Himmel und Erde, zwischen Wahn und Erlebnis!
Und wenn wir lange durchblicken durch diesen Vorhang und Anatol uns erscheint und Hofreiter und der Herr von Sala und Beatrice und der junge Medardus, vor allem aber Christine Weyring, die
Schlager Mizzi und der alte Musikus — dann — es ist wie Lichtspielzauber — steht auf einmal die Gestalt Arthur Schnitzlers vor uns. Denn auch er, der Dichter, der die Welt stets allzu anspruchsvoll