Seleitwort
Mein lieber Meister Zille!
Also 100000 „Straßenkinder“? — Wissen Sie, das ist selbst für ’ne Stadt wie Berlin ’ne ganze Menge! Und ich zweifle keinen Augenblick daran: Ihr schönes und einzigartiges Buch wird auch noch die 200 000 erreichen!
Aber das Buch, die „Kinder der Straße“ felber! Wie es entstanden ist? Ich glaube, da machen sich Ihre Lefer ein ganz falsches Vild davon. Ich weiß es ja, denn wir beide haben fozufagen zufammen angefangen, das Berlin der kleinen Leute künftlerisch und literarisch wieder zu entdecken und neu zu erobern. Was nicht so leicht war! Zuerst wollte nämlich niemand etwas davon wissen! Man war fest überzeugt, mit dem seligen Adolph Glaßbrenner und seinem confrère, Meister Hosemann, sei der „echte Berliner“ für alle Zeiten ausgeftorben... Wir beide fahen und zeichneten unsere Leute auch ganz anders. Der fatirisch-feuilletonistische Stil, den jene beiden vormärzlichen Karikaturisten pflegten, konnte uns nicht mehr genügen; wir wollten ja nicht nur den Berliner With konfervieren und wieder zu Ehren bringen, wir wollten mehr: ein Bild des untersten Berlins sollte erftehen, aus jener Zeit, die bei allem Auffieg Deutschlands, der bitteren Not unter den Allerärmsten nicht zu steuern wußte. Ich glaube, wir waren doch schon ein bischen Propheten, lieber Zille! — Wir sahen die schwärenden Schäden an dem scheinbar so gesunden Volkskörper und haben immer wieder darauf hingewiesen — freilich ohne viel Gehör zu finden!.... Heute nach dem großen Krieg, der unser Land niedergeworfen hat, heute fehen es auch die, die es damals noch nicht glauben wollten: Das Proletariat ist auf dem Marfche und nichts wird es aufhalten!... Ob freilich, um bei Emile Zola zu bleiben, mit dem Proletariat und seinen Zielen auch die lehte große Weisheit und Wahrheit gefchritten kommt, das zu entfcheiden, ist heute keiner im Stande.....Wir lauschen indessen, ob in den Kämpfen, in denen die Volksfeele sich aufbäumt, noch jener Ton hörbar ist, der allein hoffen läßt; ob Wir und Humor uns treubleiben?... Ans wahrlich! Anfre Berliner reißen immer noch Wiße! Vielleicht find die „Kalauer“ „blutiger“ als früher, aber weniger zwerchfellerschütternd sind sie gewiß nicht, als damals, da Adolph Glaßbrenner seinen am Brandenburger Tor haltenden Kremserkutscher sagen ließ: „Mit den da wern Se donich fahren, Ha Iraf! Den sein Pferd hat ja jar keen Vata
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