DIE KIRCHE VON SUNDBORN
ÜBERM BERGE.
Ich habe mich bedeutend herausgemacht, seit ich euch zum ersten Mal mein Heim zeigte. Nun hab’ ich zwei Heime, das alte und dann den Schulhaushalt in Falun.
Es gibt keinen Menschen, der es so gut hat wie ich; doch was kann ich dafür? Die, welche mich womöglich darum beneiden, bitte ich um Ver
zeihung, dass ich so gehandelt; aber noch steht es all und jedem frei, es mit Fleiss (der Gesundheit und Wohlstand fördert, manche Gelegenheit zur Sünde verhindert, uns bösen Trieben zu widerstehen hilft und beiträgt zu Trost und Sinnesstärke im Missgeschick) etwa im selben Stile zu bekommen.
Aber vielleicht ziehn sie es vor, Geld auf der Bank zu haben. Wie ihr wollt es lebe die individuelle Freiheit!
Sonntagabend ging ich mit den Kindern hier von Sundborn über den Berg, den Pferdeberg, nach Falun, ein Weg von zwei Stunden. Ich habe
den Kniff, ein Butterbrot in die Tasche zu stecken und, während ich mich auf den allzu steilen Berg hinaufquäle, zu mir selbst zu sagen: »Halt dich ’ran, alter Junge; wenn du oben bist auf der Spitze, darfst du schmausen!» Dann endlich auf dem Hochplateau pflanze ich mich auf einen Baumstumpf, pflanze ein Butterbrot in mich hinein, pflanze mir darnach eine Cigarre in den Mund, und dann geht’s fröhlich hinab, bis ich in der Residenz bin. So renne ich oft und laufe wie ein Pferd zwischen meinen beiden Heimen, ln Falun, gestern, stand ich um sechs Uhr morgens auf und machte mich auf den Weg. So strolchte ich im Glanz der Morgensonne an der Kirche Koppavbergs vorbei, die unendlichen Hügel hinan und den Waldweg, den Richteweg, dahin.
Es ist Spätsommer, Mücken und Motten sind weg — der Nachtfrost hat das Pack mitgenommen — und alles ist nun wie im Himmelreich: es fehlt nichts daran. Denn frisch und grün, mit glitzerndem Morgentau, war es im Wald, und mein liebes Butterbrot steckte unangerührt in der Tasche...
Da kam plötzlich ein kleiner weisser Hund und schnüffelte an meinem Bein herum; aber er sagt’ nichts und ich sagt’ auch nichts, aber drin im Walde stimmte eine schöne männliche Stimme an: »Herrliches Land, der Freiheit Stammort auf Erden». Wie man sieht, war der Mann seines Lebens froh an diesem schönen Morgen, und froh, ein solches Vaterland’zu haben. Er ahnte nicht, dass nur wenig Schritte von ihm ein anderer glücklicher Mensch ging, wenn auch still wie eine Kirchenmaus.
Vermutlich war der singende Mann ein Jäger, denn die Rebhuhnjagd hatte am Tage vorher angefangen. Ich nahm die Beine unter den Arm. Wie ich seinen Gesang in der Ferne summen hörte und mein Butterbrot in
meinem innersten Bewusstsein verschwunden war, räusperte ich mich und versuchte, ein bischen Gesang zusammenzukrächzen. Es klang wirklich schlimm im Anfang, aber das gab sich, und wie auch ich jubelte: »Noch taugt der Väter Lehre, es lebe der König, die Ehre», da war es — ja, das war es! — wirklich schön.
Ich genoss das selber unbeschreiblich, bis ich beinahe zwei Jungens zu Tode erschreckt hätte, die mit einem grossen Wäschekorb zwischen den
Grasbüscheln lagen und Preisselbeeren pflückten. Aber als ich an ihnen vorbei war, hörte ich plötzlich ihr knabenschrilles »Herrliches Land!»
Jetzt war ich beinah an Sundborns Grenze, und nun kamen die Mädchen des Dorfes von der Weide mit ihren Kühen und Schafen. Als sie die Jungens hörten, kamen sie auch in Zug, und schon sangen auch sie. Dann hat der Gesang nimmer aufgehört: der eine fährt fort, wenn der andre aufhört, und der Wald zwischen meinen beiden Heimen ist der singende Wald.
★ ★ *
DER GEBURTSTAG.
Sundborn, den 3. Oktober 1909.
Heute wird meine Frau fünfzig Jahr. Es ist Sonntag, und es ist Sankt Michaels Tag, Michaelsmesse.
Es ist der Tag der Engel und der Kinder. Auf mein Gebot feiert Karin ihn bei ihrer Mutter — das waren ja die zwei, die dabei waren vor einem halben Säkulum.
Ich trollte mit den Kindern den Weg dahin nach unserer kleinen Kirche. Da waren viele Leute, und da predigte und sang ein junger Mann, und er machte beides gut. Geht, wenn ihr wollt, und hohnlacht über »die schwarzen Priesterröcke»; wenn ich einen Geistlichen sehe, der wirklich erfüllt ist von seiner Aufgabe, dann verehre ich ihn, wie ich alle verehre, die ihren Beruf zu erfüllen suchen auf beste Weise und nach bestem Vermögen.
Als dieses jungen Mannes herrliche Stimme vom Altar her die Kirche erfüllte, als er dann mit bebender Überzeugung Christi machtvolles Wort (Christus war jederzeit Mann, der wirklich Mannheit in sich trug, und
war niemals der »süsse Jesus» der Leser): »Ärgert dich aber dein rechtes Auge, so reiss es aus und wirf es von dir: es ist besser, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde», dann tat das gewiss Gutes in irgend einer Seelenfalte der Gemeinde.
Nach dem Gottesdienst wurde einem Mann eine Medaille verliehen, weil er dreiunddreissig lange Jahre treu den Acker eines anderen bestellt hatte mit Einsicht und Eifer. Es war der alte Propst, der vor dem Altar