KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13
Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 1 und 2. 16. Oktober
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt» monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver. lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. ar.
ZUM FÜNFZIGJÄHRIGEN ROMJUBILÄUM VON
JOSEPH VON KOPF
Am 13. Oktober 1852 zog ein junger armer Bauernsohn und Bildhauer, Joseph Kopf, durch die Porta del Popolo in Rom ein. Die glühende Sehnsucht nach der »Stadt der Städte«, die einst mit starker Hand das Erbe griechischer Kunst an sich gerissen und es dann an alle Völker ausgeteilt hatte, in der Michelangelo’s Schöpfergeist gewirkt hatte, die war erfüllt, aber das war auch für Jahre das einzige Ergebnis dieser Romfahrt, die gleich Seume’s Spaziergang zum grössten Teil per pedes apostolorum ausgeführt war. Harte Arbeit als Stuhlschnitzer bei einem päpstlichen Schweizer, Gesellendienste in Ateliers anderer Bildhauer, abendliches und nächtliches Studium im eigenen dürftigen Quartier, um die Lücken technischer und allgemeiner Bildung auszufüllen, so war die Signatur der ersten römischen Jahre. Wenn Professor von Kopf, der vielbeschäftigte, von Königen
und Fürsten begünstigte Bildhauer, der beneidete Besitzer zweier grosser Ateliers in Rom und Baden
Baden — das letztere ein Geschenk des Grossherzogs von Baden — auf jene Jahre der Not und Entbehrung und die folgenden seiner Sturm- und Drangperiode zurückblickt, so geschieht es mit Dank und in der Erkenntnis, dass es dem wirklichen Künstler noch mehr als anderen Sterblichen frommt, vom Leben in harte Zucht genommen zu werden. Auch für ihn ist, um mit dem Goethe der »italienischen Reise« zu reden, Rom die hohe Schule geworden, auch er ist geprüft und geläutert worden. Wie das bei Kopf geschehen ist, hat er selbst eingehend, anspruchslos und charakteristisch beschrieben: Die »Lebenserinnerungen eines Bildhauers« geben nicht nur vielfältiges Material für eine Geschichte der letzten fünfzig Jahre deutschrömischen und künstlerischen Lebens, sondern auch,
eingesprengt in das Mosaik der Mitteilungen, Hinweise auf die Entwickelung des Künstlers. Welch weiter Weg vom Erstlingswerk in Marmor des Siebenundzwanzigjährigen, einem Relief »Abraham verstösst Hagar«, das von König Wilhelm I. von Württemberg angekauft wurde und Kopf’s Lebensschifflein in sichere Bahnen leitete, von warmer und gemütvoller,
aber etwas weicher und posierender Auffassung bis zu den in Formen und Charakter scharf und sicher herausgearbeiteten Reliefporträts eines Böcklin und Richard Voss, die schon dem neuen Jahrhundert angehören und wahrlich keinen Niedergang im Schaffen des fünfundsiebzigjährigen Meisters erkennen lassen! Nicht nur der Drang der Bestellungen, auch innere Hinneigung, das Bewusstsein, in der verbindenden Bethätigung von angeborenem Schönheitsgefühl und erworbener Fähigkeit scharfer Charakteristik das Höchste leisten zu können, hat es gefügt, dass Bildnisreliefs und -Büsten in den letzten Jahrzehnten Kopf in erster Linie in Anspruch genommen haben. Sein römisches Atelier in der Künstler- und Modellstrasse Margutta ist eine Porträtgalerie bedeutender und hochstehender Persönlichkeiten der letzten fünfzig Jahre. Die milden Züge Kaiser Wilhelm’s des Guten haben hier die gleiche treffende und vergeistigende Verkörperung gefunden wie die prononcierten Leo’s XIII., friedlicher als sie es oft im Leben gethan, stehen hier Archäologen von Ruf neben Diplomaten, Schriftsteller neben Künstlern, Kirchenhistoriker neben Naturforschern. Hier muss man Professor von Kopf aufsuchen: hier findet man den liebenswürdigen und fesselnden Erzähler, bei dem man überall auf Bewährung seines Ausspruches stösst, »wenn du einen Menschen kennen lernen willst, so modelliere ihn«, den stets hilfsbereiten Menschen, den feinsinnigen Sammler, dem es in der heiligen Roma, in Ägypten und
Joseph v. Kopf