zum Gericht, stürzen die Verdammten hernieder, eilen die Seligen aus der Tiefe empor, erheben sich die zu Richtenden aus der Erde, nimmt der Höllenfürst die Verworfenen entgegen.
Seite an Seite mit dem Weltenrichter erblickte in visionärer Erhebung der Seele der Meister das Erwachen der Toten, das Stürzen, das Jammern der Verfluchten; sah er die Massen zum Himmel emporstreben, hörte er mit den Seligen das Wort: auf ewig verflucht! — Wer dem Künstler nachfühlen will, der muss sich zunächst räumlich zu ihm hinaufdenken, mit ihm in den unmessbaren weiten Raum hinabblicken — erst dann wird der Beschauer ahnen können, wie in seinem Innersten der wie von Ewigkeit zu Ewigkeit denkende und schauende einsame Gigant unter den Malern und Menschen erschüttert war. Wie anders Rubens, der Maler des Barocks. Er sieht in seinen malerischen Schöpfungen gleichen Inhalts von unten nach oben, von der Erde zum Himmel mit kleinen Menschenaugen — Michelangelo schaut mit den Augen des Ewigen in die Welt des wesenlosen Scheines von oben nach unten, vom Himmel zur Erde.
Was im dichtenden Künstlerherzen wie jenseits der Erdenwelt erlebt war — der verstandesmässig schaffende Maler hätte keine, wenn man so sagen darf, wahrheitsgemässere Komposition finden können. Michelangelo wollte wie seine mittelalterlichen Vorgänger (z. B. Oberzell, Pisa, Giotto, Lochner, Fra Angelico) und im Gegensätze zu Fra Bartolomeo und Rubens die heiligen Personen auch körperlich als die dominierenden bezeichnen. Es war dies eine Aufgabe, die bei der gewaltigen Höhe des Freskos schwer zu lösen war. Michelangelo schob zu diesem Behufe Christus beziehungsweise dessen Umgebung in den vordersten Grund, so dass alle anderen Gründe zurückgedrängt wurden. Der Höllenfürst, die Höhle, die Auferstehenden, die scheinbar am Bildrande stehen, haben thatsächlich — vom Bilde aus — mehr oder weniger den Platz auf dem zweiten Plane zugewiesen bekommen. Hierdurch wurde es dem Künstler ermöglicht, den aus den Tiefen herausschwebenden Heiland die unteren Massen beherrschen zu lassen. Michelangelo musste allerdings diese Anordnung, die handelnden Personen im ersten Grunde aufzustellen, schon deshalb wählen, weil er kein Helldunkelmaler war. Der Meister hat auch erst durch dies Arrangement das Bild räumlich in seine Gewalt bekommen. Dieser Eindruck wird durch das von ausgesprochen malerischen Erwägungen veranlasste Vordrücken des rechten Flügels wesentlich verstärkt. Der Maler bringt uns durch die Einfügung dieser sich einer Diagonale etwas nähernden Linie besonders stark das unwiderstehliche Weitereilen der oberen Regionen voll zum Bewusstsein. Michelangelo hat aber auch den Raum in der Tiefendimension durchaus überzeugend dargestellt. Er lässt, wie bemerkt, Christus von dichten Wolken getragen aus Weltenfernen hernieder- und hervorschweben, den ganzen Hintergrund sich mit Gewölk erfüllen, aus dem Verdammte und Selige hier und da auftauchen, vor dem
sie herabstürzen, und in dem sie zum Himmel emporstreben. Michelangelo operiert ganz offenkundig mit einem unabsehbar sich erstreckenden Raum; denn die aus dem Wolkenschleier hervorkommenden Gestalten sind entweder im Verhältnisse zu den andern Personen sehr klein oder nur andeutungsweise in Umrissen (sie werden fast stets übersehen) gemalt. Michelangelo hat offensichtlich die verhüllenden, aber wiederum einen gewissen Tiefenblick gestattenden Dunstmassen als Hilfsmittel herangezogen, um einen sich in alle Ferne verlierenden Raum zu schildern, dessen Illusion mit anderen malerischen Mitteln zu erzwingen er sich ausser Stande sehen musste. In diesem Augenblicke übertraf Michelangelo als Maler entschieden Signorelli in dessen Malereien zu Orvieto. Allerdings können wir ja heute nicht mehr völlig sicher darüber urteilen, inwieweit Michelangelo wirklich illusionistisch gewirkt hat — nach den uns verbliebenen Resten hat er seine Absicht fraglos erreicht gehabt. Es dürfte überhaupt meines Erachtens angebracht sein, in Michelangelo ein wenig mehr den Maler zu betonen und nicht so überwiegend den Plastiker beziehungsweise den Maler- Plastiker. Justi hat wohl auf einen richtigen Weg hingewiesen. Aus durchaus malerischem Empfinden heraus hatte z. B. der Meister die oberen Teile seines Freskos heller gehalten als die unteren. Er unterstützte also die lineare Komposition durch die Kraft des Tones, der namentlich bei der mit sehr sicherem Takte erwählten, den seelischen Ausdruck steigernden Monochromie mit besonderer Sorgfalt zu stimmen war.
Michelangelo hat aber nicht nur im Hinblick auf die Gesamtanlage, sondern auch bezüglich aller Einzelarbeit auf das strengste gefolgert. Wo stand der Künstler, als er das jüngste Gericht malte, wo ist der Horizont des Bildes? Etwa um Kopfhöhe über dem Haupte Christi. Dort scheidet sich Aufsicht und Untensicht. Die Eckgruppen mit dem Kreuz und der Säule sind mit Untensicht, alle anderen Figuren mit Aufsicht gezeichnet; wobei ein paar kleine Fehler mit unterliefen. Das Rost des Laurentius ist später hinzugefügt. Derjenige also, der das Werk künstlerisch richtig sehen will, muss sich etwas höher als der Heiland steht stellen. Michelangelo offenbart hier als schaffender Künstler ein Vorstellungsvermögen, das das des Rubens entschieden übertrifft. Denn Rubens hat seine beiden Gemälde, in denen er das jüngste Gericht schildert — wie auch den Sturz der Verdammten — in der entschieden leichteren, weil uns natürlicheren Ansicht von unten nach oben gemalt.
Michelangelo’s Ausdrucksmittel werden im einzelnen »ausschliesslich der plastischen Phantasie« zugewiesen, sowohl im Hinblick auf die einzelnen Personen, wie hinsichtlich der Gruppenbildung; ohne »eine viel reichere Mannigfaltigkeit der Stimmungen, als sie im allgemeinen angenommen wird«, zu leugnen. Diese Bemerkungen haben zweifelsohne ihre Berechtigung, bedürfen aber einer schärferen Fassung. Sie sind, allgemein gesprochen, in ihrem ersten Teile nicht stichhaltig, so lange man Signorelli als Maler in seinen Fresken zu Orvieto gelten lassen
Seite an Seite mit dem Weltenrichter erblickte in visionärer Erhebung der Seele der Meister das Erwachen der Toten, das Stürzen, das Jammern der Verfluchten; sah er die Massen zum Himmel emporstreben, hörte er mit den Seligen das Wort: auf ewig verflucht! — Wer dem Künstler nachfühlen will, der muss sich zunächst räumlich zu ihm hinaufdenken, mit ihm in den unmessbaren weiten Raum hinabblicken — erst dann wird der Beschauer ahnen können, wie in seinem Innersten der wie von Ewigkeit zu Ewigkeit denkende und schauende einsame Gigant unter den Malern und Menschen erschüttert war. Wie anders Rubens, der Maler des Barocks. Er sieht in seinen malerischen Schöpfungen gleichen Inhalts von unten nach oben, von der Erde zum Himmel mit kleinen Menschenaugen — Michelangelo schaut mit den Augen des Ewigen in die Welt des wesenlosen Scheines von oben nach unten, vom Himmel zur Erde.
Was im dichtenden Künstlerherzen wie jenseits der Erdenwelt erlebt war — der verstandesmässig schaffende Maler hätte keine, wenn man so sagen darf, wahrheitsgemässere Komposition finden können. Michelangelo wollte wie seine mittelalterlichen Vorgänger (z. B. Oberzell, Pisa, Giotto, Lochner, Fra Angelico) und im Gegensätze zu Fra Bartolomeo und Rubens die heiligen Personen auch körperlich als die dominierenden bezeichnen. Es war dies eine Aufgabe, die bei der gewaltigen Höhe des Freskos schwer zu lösen war. Michelangelo schob zu diesem Behufe Christus beziehungsweise dessen Umgebung in den vordersten Grund, so dass alle anderen Gründe zurückgedrängt wurden. Der Höllenfürst, die Höhle, die Auferstehenden, die scheinbar am Bildrande stehen, haben thatsächlich — vom Bilde aus — mehr oder weniger den Platz auf dem zweiten Plane zugewiesen bekommen. Hierdurch wurde es dem Künstler ermöglicht, den aus den Tiefen herausschwebenden Heiland die unteren Massen beherrschen zu lassen. Michelangelo musste allerdings diese Anordnung, die handelnden Personen im ersten Grunde aufzustellen, schon deshalb wählen, weil er kein Helldunkelmaler war. Der Meister hat auch erst durch dies Arrangement das Bild räumlich in seine Gewalt bekommen. Dieser Eindruck wird durch das von ausgesprochen malerischen Erwägungen veranlasste Vordrücken des rechten Flügels wesentlich verstärkt. Der Maler bringt uns durch die Einfügung dieser sich einer Diagonale etwas nähernden Linie besonders stark das unwiderstehliche Weitereilen der oberen Regionen voll zum Bewusstsein. Michelangelo hat aber auch den Raum in der Tiefendimension durchaus überzeugend dargestellt. Er lässt, wie bemerkt, Christus von dichten Wolken getragen aus Weltenfernen hernieder- und hervorschweben, den ganzen Hintergrund sich mit Gewölk erfüllen, aus dem Verdammte und Selige hier und da auftauchen, vor dem
sie herabstürzen, und in dem sie zum Himmel emporstreben. Michelangelo operiert ganz offenkundig mit einem unabsehbar sich erstreckenden Raum; denn die aus dem Wolkenschleier hervorkommenden Gestalten sind entweder im Verhältnisse zu den andern Personen sehr klein oder nur andeutungsweise in Umrissen (sie werden fast stets übersehen) gemalt. Michelangelo hat offensichtlich die verhüllenden, aber wiederum einen gewissen Tiefenblick gestattenden Dunstmassen als Hilfsmittel herangezogen, um einen sich in alle Ferne verlierenden Raum zu schildern, dessen Illusion mit anderen malerischen Mitteln zu erzwingen er sich ausser Stande sehen musste. In diesem Augenblicke übertraf Michelangelo als Maler entschieden Signorelli in dessen Malereien zu Orvieto. Allerdings können wir ja heute nicht mehr völlig sicher darüber urteilen, inwieweit Michelangelo wirklich illusionistisch gewirkt hat — nach den uns verbliebenen Resten hat er seine Absicht fraglos erreicht gehabt. Es dürfte überhaupt meines Erachtens angebracht sein, in Michelangelo ein wenig mehr den Maler zu betonen und nicht so überwiegend den Plastiker beziehungsweise den Maler- Plastiker. Justi hat wohl auf einen richtigen Weg hingewiesen. Aus durchaus malerischem Empfinden heraus hatte z. B. der Meister die oberen Teile seines Freskos heller gehalten als die unteren. Er unterstützte also die lineare Komposition durch die Kraft des Tones, der namentlich bei der mit sehr sicherem Takte erwählten, den seelischen Ausdruck steigernden Monochromie mit besonderer Sorgfalt zu stimmen war.
Michelangelo hat aber nicht nur im Hinblick auf die Gesamtanlage, sondern auch bezüglich aller Einzelarbeit auf das strengste gefolgert. Wo stand der Künstler, als er das jüngste Gericht malte, wo ist der Horizont des Bildes? Etwa um Kopfhöhe über dem Haupte Christi. Dort scheidet sich Aufsicht und Untensicht. Die Eckgruppen mit dem Kreuz und der Säule sind mit Untensicht, alle anderen Figuren mit Aufsicht gezeichnet; wobei ein paar kleine Fehler mit unterliefen. Das Rost des Laurentius ist später hinzugefügt. Derjenige also, der das Werk künstlerisch richtig sehen will, muss sich etwas höher als der Heiland steht stellen. Michelangelo offenbart hier als schaffender Künstler ein Vorstellungsvermögen, das das des Rubens entschieden übertrifft. Denn Rubens hat seine beiden Gemälde, in denen er das jüngste Gericht schildert — wie auch den Sturz der Verdammten — in der entschieden leichteren, weil uns natürlicheren Ansicht von unten nach oben gemalt.
Michelangelo’s Ausdrucksmittel werden im einzelnen »ausschliesslich der plastischen Phantasie« zugewiesen, sowohl im Hinblick auf die einzelnen Personen, wie hinsichtlich der Gruppenbildung; ohne »eine viel reichere Mannigfaltigkeit der Stimmungen, als sie im allgemeinen angenommen wird«, zu leugnen. Diese Bemerkungen haben zweifelsohne ihre Berechtigung, bedürfen aber einer schärferen Fassung. Sie sind, allgemein gesprochen, in ihrem ersten Teile nicht stichhaltig, so lange man Signorelli als Maler in seinen Fresken zu Orvieto gelten lassen