junger amerikanischer Maler — auch einige deutsche waren mit dabei — aufgethan hatte. Munkâcsy war so freundlich, mir unter diesen Herren einen Platz anzuweisen. Wir malten Studien nach dem lebenden Modell, Köpfe, Akte, und es war von grösstem Interesse für uns, wenn er uns lehrte, wie man die Natur anschauen müsste. Korrigiert hat er eigentlich nicht — er malte lieber das Falsche gleich von neuem und dann war es für die Schüler ein schmerzliches Vergnügen, wenn er die ganze Sache, auch wenn wir noch so viel Mühe daran gehängt hatten, dick mit Asphalt einseifte, dann wieder die hellsten Lichter aufsetzte und nun den ganzen Kopf in kurzer Zeit hineinmodellierte. Auch in den verzweifeltsten Situationen war auf diese Weise bald Rat geschafft. — Ich muss bekennen, dass wir ihn dann um seine Sicherheit ehrlich beneideten.
Später, als er im Sommer 1880 an dem Christus vor Pilatus malte, hatte ich erst recht die interessanteste Gelegenheit, ihm zuzuschauen. Mit ganzer Seele war er dann bei der Arbeit. Auf der Riesenleinwand war er in seinem Fahrwasser. Bei der Untermalung schwelgte er geradezu in seinem Bitume, mit rasendem Feuer war er bei der Arbeit, in Hemd und Unterhosen — es war sehr heiss — wie ein Anstreicher, die Ärmel aufgeschürzt, wütete er auf dem Bilde herum, bis ihn endlich die Ungeduld packte und er mit der vollen Hand in die Farbe fuhr und so immer breiter zu Werke ging. Es kam dann vor, dass er in diesem Aufzug zu einem Ateliernachbarn, einem alten französischen Maler, hinüberging, um sich etwas zu verschnaufen. Ich habe einige Zeit, bevor Munkâcsy dieses Bild begann, in demselben Riesenatelier an der avenue Montaigne mein erstes Bild, das ich im Pariser Salon 1880 ausstellte, la Chanteuse, gemalt — Munkâcsy war so freundlich, mir das Atelier für einige Monate zu überlassen. — Er kam in dieser Zeit der liebenswürdigsten Weise hie und da zu mir und lehrte mir die so einfache, aber doch nicht genug befolgte Regel, alles und jedes, was zu einem Bilde gehörte, nicht bloss die Figuren, sondern auch die Gegenstände, kurz alles, was auf dem Bilde vorkam, direkt vor der Natur zu studieren. Das habe ich seitdem nicht aus der Acht gelassen. Das Bild hatte nachgerade im Salon einen unerwarteten Erfolg, wurde bemerkt und günstig kritisiert und fand schliesslich auf Munkäcsys freundliche Empfehlung einen Käufer. In seinem Hause war er sowie auch seine Gemahlin von grösster Liebenswürdigkeit und Gastfreiheit. Ich entsinne mich einer grossen Soirée, wo es von Herzogen, Ministern, auch vielen Künstlern wimmelte. Bastien Lepage fiel mir besonders auf durch die grosse Aufmerksamkeit, die Munkâcsy für diesen hatte. Er schätzte ihn unter den französischen Malern besonders, ich muss gestehen, dass ich damals nur sehr wenig von ihm wusste und gesehen hatte und dass das Wenige mir, im Banne der Munkäcsy’schen Kunst, nur sehr wenig gefiel.
Im Sommer 1880, als Munkäcsy das Bild Christus vor Pilatus malte, musste ich auf eine weitere Unter
weisung von seiner Seite verzichten, er war zu beschäftigt, doch sah ich ihn, wie ich schon gesagt, häufig vor seinem angefangenen Bilde, auch häufig in seinem Hause oder im Hause des Malers Eug. Jettei, mit dem er ganz besonders befreundet war.
Seit meinem Pariser Aufenthalt bin ich mit Munkäcsy nie wieder länger zusammen gewesen, auch bin ich nie wieder seitdem in Paris gewesen. Unser Verkehr hat sich nur auf seltene schriftliche Nachrichten beschränkt, die mir aber zu meiner Freude offenbar machten, dass er mit Sympathie und Interesse an meinen künstlerischen Bethätigungen teilnahm.
Ich habe niemals ein Hehl daraus gemacht, dass ich ihm sehr viel verdanke, da er mir den schwierigen Schritt von einem kunstfreudigen Dilettantismus zur Kunst zu thun half. Sein sehr anregendes Beispiel, die Stunden in seinem Atelier, wenn ich ihm bei der Arbeit zuschaute, seine Belehrungen halfen mir damals in Paris entschieden sehr viel mehr als alles, was ich vorher in München betrieben hatte, die Freundlichkeit, mit der er sich des vollständig unbekannten Kollegen angenommen hat, kann ich niemals genug anerkennen. Wenn ich auch seitdem in meiner eigenen Kunst sehr weit von der seinen abgewichen bin und die frühere Abhängigkeit von ihm wohl kaum noch heraustritt, so habe ich für ihn und seine Kunst noch immer die grosse Sympathie und habe für viele seiner Schöpfungen dieselbe Bewunderung noch heute, wie ich sie damals als junger Maler dem Meister gegenüber mit Begeisterung bezeugte.
In meiner Wohnung habe ich ein Werk Munkäcsys, das Porträt einer ungarischen Tragödin, das mir vor einigen Jahren ein Münchner Kunsthändler überlassen hat Die schönen warmen und tiefen Farben des Bildes erfreuen mich wie damals, als ich den »Pilatus« anstaunte. Es scheint bald nach der Zeit des Pilatus entstanden zu sein.
VENETIANISCHER BRIEF
Noch war die angstvolle Aufregung, in welche Venedig durch den Einsturz des Campanile versetzt wurde, nicht gewichen; da bekam sie neue Nahrung, durch den gefürchteten Einsturz des Campanile der Kirche S. Stefano, eines der höchsten der Stadt, dessen bekannte starke Neigung in den letzten Jahren bedrohlich zugenommen hat. Sie betrug 1,65 und hat nun weitere acht Centimeter in den letzten Jahren zugenommen. Es wurden sämtliche Wohnungen in der Nähe des Turmes geräumt. — Ruhige Besonnenheit kehrte jedoch in die Gemüter zurück, nach dem ersten Alarme. Die Abtragung des Turmes schien nun beschlossen, und man begann mit den Vorarbeiten hierzu. Der Campanile von S. Angelo stürzte im vorigen Jahrhundert ein, nachdem der Versuch, ihn lotrecht zu stellen, gelungen schien; derjenige der Carita, stürzte in den Canal Grande, andere wurden damals zur Hälfte abgetragen. Der Turm von S. Stefano stammt in seiner jetzigen Gestalt aus dem Jahre 1544. Auf den uralten morschen Unterbau häufte man damals eine allzugrosse Last, welche dieser nun heute nicht mehr zu tragen im stände ist, und ganz wie bei S. Marco, der Hauptgrund des gefürchteten Einsturzes ist. Ohne das Unglück von S. Marco hätte sich wohl zunächst niemand