KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTOEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13 Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903
Nr. 6. 20. November
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
EUGEN MÜNTZ (1845—1902)
Das letzte Mal, als ich die Ehre hatte, Eugen Müntz zu sehen, schien er mir müde, und ich hätte ihn beinahe zuerst gar nicht erkannt, so sehr war er abgemagert; das war vor einigen Monaten in seiner Wohnung rue de Condé.
Alle Kunsthistoriker oder Sammler, die hier einmal ein paar angenehme Augenblicke der kolossalen Thätigkeit des Gelehrten abgerungen haben, werden sich des pittoresken Eindruckes seines Arbeitskabinetts erinnern, das vollgepfropft war mit Stolen, kirchlichen Geräten, Messgewändern, die auf den Möbeln umherlagen, mit geschnitzten Truhen, Tapisserien und mit einer Bücherfülle, die fast die Bretter zu erdrücken drohte. In diesem hohen hellen Gemache, das sein Licht von einem Garten empfing, unter dieser Aufhäufung von Kleinkunst, schien Müntz wie ein Weiser aus alter Zeit, ein Faust, der das Buch des Lebens befragt; aber dies war nur eine täuschende Aussenseite, denn der Gelehrte entpuppte sich bald als ein Weltmann, liebenswürdig, gastfrei, weit herumgekommen in der Pariser Gesellschaft und ganz und gar kein Klostermönch; was auch immer manche Leute über ihn gesagt haben, er war doch wohlwollend und hilfsbereit. Ich meinerseits werde niemals die Herzlichkeit vergessen, mit der er mich unter seine Mitarbeiter für eine Kunstpublikation aufnahm, ein Unternehmen, das er bis zum letzten Atemzuge geleitet hat; er ist auf der Bresche gestorben.
Eugen Müntz war am 11. Juni 1845 in Soultzsous-Forëts im Eisass geboren. Die Berufung zum Kunsthistoriker schien ihm nicht gleich zu winken, denn er machte zunächst juristische Studien. Bald wurde er aber zum Mitgliede der französischen Schule in Rom berufen, und der Aufenthalt in der ewigen Stadt wurde für seine Laufbahn bestimmend. Im Jahre 1878 wurde er vom Minister an die Kunstschule berufen und zwar zur Leitung der Bibliothek, der Archive und des Museums; hier erklomm er alle Stufen der Beamtenlaufbahn und in diesem Kreise spielte sich sein ganzes berufliches Leben ab. Er hatte eine hohe Meinung von seinen Ämtern und man verdankt es seinem Eifer, unterstützt von dem seiner trefflichen Mitarbeiter, dass die Kunsthistoriker und Schüler heute in der Bibliothek der Kunstschule
derart reiche Ernte an Materialien und Dokumenten aufgehäuft und vorbereitet finden. Auch soll nicht vergessen sein, dass Müntz in den Jahren 1885 bis 1893 Taine als Professor der Kunstgeschichte unterstützte, ebenfalls an der Kunstschule. Aber alle Arbeiten, so zeitraubend sie waren, haben Müntz nicht davon abgehalten, eine beträchtliche Anzahl von Büchern und Artikeln zu verfassen und es war nur eine gerechte Anerkennung seines Lebenswerkes, wenn die Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften ihn 1893 unter ihre Mitglieder aufnahm.
Der grösste Teil seiner Werke ist Italien, dem Papsttum und der Renaissance gewidmet; so die Bemerkungen über die Mosaiken Italiens (1874—1892), die Kunst am Hofe der Päpste während des 15. und 16. Jahrhunderts (1878 —1898), die Vorläufer der Renaissance (1881); Raffael, sein Leben, sein Werk, seine Zeit, erste Auflage 1881, seitdem drei Auflagen erschienen; ein kleiner Band über Raffael kürzlich in der Sammlung Grands Artistes publiziert; Studien über die Geschichte der christlichen Malerei und Ikonographie (1882); die Geschichtsschreiber und Kritiker Raffael’s (1884); Donatello (1885); die Renaissance in Italien und Frankreich zur Zeit Karl’s VIII. (1885); die Bibliothek des Vatikans im 16. Jahrhundert (1887); die Sammlungen der Mediceer im 15. Jahrhundert (1887); die Bibliothek des Vatikans im 15. Jahrhundert (1887) unter Mitwirkung von Fabre; die Altertümer der Stadt Rom im 14., 15. und 16. Jahrhundert (1887); ikonographische und archäologische Studien über das Mittelalter (1888); Florenz und Toskana (1897); die päpstliche Tiara vom 8.—16. Jahrhundert (1897); Geschichte der Kunst während der Renaissance I: Italien, die Primitiven (1888), II: Italien, das goldene Zeitalter (1892), III: Italien, das Ende der Renaissance (1895); Leonardo da Vinci (1899); Petrarca, sein Kunstsinn, sein Einfluss auf die Künstler, seine und Lauras Bildnisse, die Illustrierung seiner Schriften (1901) unter Mitwirkung vom Prinzen d’Essling.
Dieser Gruppe wäre noch seine »Geschichte der Webekunst« anzufügen, von der seit 1882 mehrere Auflagen erschienen sind, »Der Palast der Päpste in Avignon« (1886—1892), »Das Schloss von Fontainebleau (1886)« zusammen mit Emil Molinier und zahlreiche Artikel der Gazette des beaux Arts, bei der er