PARISER BRIEF
Herr Benedite, der Konservator des hiesigen, im ehemaligen Gewächshause des Luxembourgpalastes untergebrachten modernen Museums, hofft wieder einmal, bei der Regierung seinen Plan durchdrücken zu können und einen neuen Museumsbau zu veranlassen. Wie elend die Räume des Luxembourg sind, ist an dieser Stelle schon mehreremal hervorgehoben worden und weiss jeder Besucher von Paris. Die dritte Republik hat eben für alles Geld, ausser für Kunstzwecke, und was man sich im Auslande rühmend von der staatlichen Kunstpflege in Frankreich erzählt, ist eitel Dichtung oder Irrtum. Einzelne Städte haben in den letzten dreissig Jahren schöne Museen errichtet. Rouen und Amiens können sich solcher monumentaler und zugleich zweckentsprechender Bauten rühmen. Paris vermehrt zwar die Zahl seiner Museen fast von Jahr zu Jahr, aber stets handelt es sich um Schenkungen und Stiftungen: ein reicher Sammler oder Künstler vermacht der Stadt oder dem Staate sein Haus mit allem, was darinnen ist, und so besitzt Paris ein neues Museum. Mitunter hat der Stifter sein Haus so eingerichtet, dass es den Zwecken eines Museums entspricht, wie dies z. B. bei dem Musée Guimet der Fall ist, häufiger aber eignet sich das Haus nicht mehr zu Museumszwecken als jedes andere geräumige Privathaus. Ein ordentlicher und wirklicher Museumsbau ist in ganz Paris nicht zu finden, wenigstens nicht für Kunstzwecke. Man hatte gehofft, die Weltausstellung würde dem Mangel abhelfen und der modernen Kunst passende und würdige Unterkunft verschaffen, aber diese Hoffnungen sind in die Brüche gegangen: der grosse Kunstpalast ist für die alljährlichen Salons und andere Ausstellungen bestimmt worden, und in dem kleinen Palast bringt man gegenwärtig allerlei kunstgewerbliche Sammlungen unter, die in den letzten Jahren der Stadt geschenkt worden sind. Herr Benedite aber, der sich wieder um eine Hoffnung ärmer sah, wendet sich nun neuerdings an die Regierung und unterbreitet ihr einen Vorschlag, den er schon seit mehreren Jahren bei jeder Gelegenheit vorbringt, ohne dass er bisher Gehör gefunden hätte. Er will die zu dem Neubau erforderlichen fünf Millionen durch eine Lotterie zusammenbringen, ohne dass die Sache dem Staat einen Pfennig kosten soll. Die Künstler sollen selber die Sache ermöglichen, indem sie die als Gewinne in der geplanten Lotterie fungierenden Kunstwerke herschenken. Ob damit fünf Millionen aufgebracht werden können, ist zwar sehr fraglich, jedenfalls aber könnte man es versuchen, und wenn der Gewinn nicht ausreichte, könnte man immer noch zu andern Mitteln greifen. Es scheint aber, dass die Regierung aus irgend welchen dunklen Gründen von dem Plane Benedite’s nichts wissen will, denn, wie gesagt, ist dieser Plan schon mehreremal vorgeschlagen worden, ohne jemals ernstliche Unterstützung im Parlamente zu finden. Offenbar halten die Gesetzgeber der Patrie des arts derartige Fragen für ihrer Würde nicht angemessen, zumal die Künstler und Liebhaber sich selten um die Politik kümmern und sich am Wahltage nicht an die Urne zu drängen pflegen. Leute aber, die nicht stimmen, sind für den Abgeordneten völlig uninteressant.
J. F. Raffaelli, der bekannte Maler von Pariser Veduten und Ansichten aus der Umgegend von Paris, macht in diesem Augenblick Propaganda für eine technische Neuerung in der Ölmalerei. Es handelt sich darum, nicht mehr mit flüssigen Farben und Pinseln zu arbeiten, sondern die Ölfarbe gleich den Pastellfarben in trocknen Stäbchen herzustellen und sie genau ebenso zu benutzen wie die Pastellstäbchen. Raffaelli selbst arbeitet schon lange nach
diesem Verfahren, das seinen Bildern ein ganz eigentümliches, in der That an Pastelle erinnerndes Aussehen giebt. Im Grunde ist dieses Verfahren nur die logische Folge des Pointillismus. Sobald man einmal auf die Mischung der Farben auf der Palette verzichtete, die ja die Flüssigkeit der Farben bedingt, sobald man sich daran gewöhnte, die unvermischten Farben auf der Leinwand nebeneinander zu setzen, musste es früher oder später einem Maler einfallen, dass es sich im Grunde besser nach der Pastellmanier mit trocknen Farbenstäbchen, als mit Palette, Pinsel und flüssigen Farben arbeiten lässt. Die Arbeit wird jedenfalls dadurch ganz bedeutend vereinfacht, der Maler braucht überhaupt kein Werkzeug mehr, er verliert nicht die auf die Palette gebrachten und eingetrockneten Farbenreste, er braucht sich der lästigen Arbeit des Pinselreinigens nicht jeden Abend zu unterziehen, und was dergleichen materielle Vorteile mehr sind. Im übrigen aber wird sich wohl die Farbenmischung neben der Arbeit mit ungemischten Farben behaupten, und somit wird das Verfahren Raffaelli’s den flüssigen Ölfarben sicherlich noch nicht ihr Ende bereiten.
Die kleinen Ausstellungen, welche in den Winlernionaten die Räume der Kunsthändler füllen, haben begonnen: bei Georges Petit ist wie alljährlich der Keramiker Lachenal mit einigen dreihundert neuen und alten Erzeugnissen seiner Fabrik erschienen. Ich sage »seiner Fabrik«, weil das Wort hier am Platze ist. Lachenal versteht es vortrefflich, alle neuen Entdeckungen der französischen Keramiker alsbald geschickt nachzuahmen und auf dem Markte zu verwerten. Selber giebt er sich nicht mit neuen Untersuchungen ab, sondern das überlässt er andern. Seine Ausstellungen geben also jedes Jahr eine erweiterte und verbreiterte Übersicht über die Keramik des letzten Jahres, wie sie sich im Frühjahr in den beiden Salons präsentierte. Ausserdem kauft er Modelle von Bildhauern an, die mitunter interessant sind, und führt sie in Keramik aus. Sein Material ist nicht das feuersteinharte Steinzeug, das in so grosser Flitze hergestellt wird, dass nur sehr wenige Farben standhalten, sondern ein viel weicheres, einer weit geringeren Hitze ausgesetztes Material, das ihm die Erzielung aller gewünschten Nüancen ermöglicht. Da die neuere Keramik, die in Frankreich durch den von japanischen Arbeiten beeinflussten Jean Carriès eingeführt worden ist, im Grunde mindestens ebensosehr Kuriosität wie Kunstwerk ist, indem nämlich das Feuer mit der schliesslichen Farbengebung mehr zu thun hat als der Künstler und somit bei dem Steinzeng oder Grès niemals ein Stück dem anderen durchaus gleich ausfällt, haben die aus weicherem Material und bei geringerem Feuer hergestellten Erzeugnisse einen erheblich geringeren Wert als die Scharffeuertöpfereien. Ihrem Aussehen nach stimmen sie allerdings vollkommen mit dem echten Grès überein; während man aber aus diesem mit dem Stahl Funken schlagen kann, könnte man aus Lachenal’s Arbeiten bei einer solchen Probe höchstens Scherben herausschlagen.
José Frappa ist Maler und Bildhauer, er hat alle Medaillen des alten Salons und ist vollberechtigtes Mitglied des neuen. Er malt lustige Mönche in Küche und Keller, Zelle und Garten, als ob er Gehilfe bei Grützner gewesen wäre, Napoleon I. und Pius VII., als ob er bei Louis David Farben gerieben hätte, weibliche und männliche Bildnisse, die beinahe so gut sind wie kolorierte Photographien, Explosionen schlagender Wetter und andere schreckliche Naturereignisse, wie ein Zeichner für das illustrierte Sonntagsblatt des Petit Journal und er modelliert Mönche und Landsknechte wie ein italienischer Zuckerbäcker. Seine Ausstellung umfasst sechzig oder siebzig Bilder, eine Anzahl Zeichnungen und Pastelle und ein
Herr Benedite, der Konservator des hiesigen, im ehemaligen Gewächshause des Luxembourgpalastes untergebrachten modernen Museums, hofft wieder einmal, bei der Regierung seinen Plan durchdrücken zu können und einen neuen Museumsbau zu veranlassen. Wie elend die Räume des Luxembourg sind, ist an dieser Stelle schon mehreremal hervorgehoben worden und weiss jeder Besucher von Paris. Die dritte Republik hat eben für alles Geld, ausser für Kunstzwecke, und was man sich im Auslande rühmend von der staatlichen Kunstpflege in Frankreich erzählt, ist eitel Dichtung oder Irrtum. Einzelne Städte haben in den letzten dreissig Jahren schöne Museen errichtet. Rouen und Amiens können sich solcher monumentaler und zugleich zweckentsprechender Bauten rühmen. Paris vermehrt zwar die Zahl seiner Museen fast von Jahr zu Jahr, aber stets handelt es sich um Schenkungen und Stiftungen: ein reicher Sammler oder Künstler vermacht der Stadt oder dem Staate sein Haus mit allem, was darinnen ist, und so besitzt Paris ein neues Museum. Mitunter hat der Stifter sein Haus so eingerichtet, dass es den Zwecken eines Museums entspricht, wie dies z. B. bei dem Musée Guimet der Fall ist, häufiger aber eignet sich das Haus nicht mehr zu Museumszwecken als jedes andere geräumige Privathaus. Ein ordentlicher und wirklicher Museumsbau ist in ganz Paris nicht zu finden, wenigstens nicht für Kunstzwecke. Man hatte gehofft, die Weltausstellung würde dem Mangel abhelfen und der modernen Kunst passende und würdige Unterkunft verschaffen, aber diese Hoffnungen sind in die Brüche gegangen: der grosse Kunstpalast ist für die alljährlichen Salons und andere Ausstellungen bestimmt worden, und in dem kleinen Palast bringt man gegenwärtig allerlei kunstgewerbliche Sammlungen unter, die in den letzten Jahren der Stadt geschenkt worden sind. Herr Benedite aber, der sich wieder um eine Hoffnung ärmer sah, wendet sich nun neuerdings an die Regierung und unterbreitet ihr einen Vorschlag, den er schon seit mehreren Jahren bei jeder Gelegenheit vorbringt, ohne dass er bisher Gehör gefunden hätte. Er will die zu dem Neubau erforderlichen fünf Millionen durch eine Lotterie zusammenbringen, ohne dass die Sache dem Staat einen Pfennig kosten soll. Die Künstler sollen selber die Sache ermöglichen, indem sie die als Gewinne in der geplanten Lotterie fungierenden Kunstwerke herschenken. Ob damit fünf Millionen aufgebracht werden können, ist zwar sehr fraglich, jedenfalls aber könnte man es versuchen, und wenn der Gewinn nicht ausreichte, könnte man immer noch zu andern Mitteln greifen. Es scheint aber, dass die Regierung aus irgend welchen dunklen Gründen von dem Plane Benedite’s nichts wissen will, denn, wie gesagt, ist dieser Plan schon mehreremal vorgeschlagen worden, ohne jemals ernstliche Unterstützung im Parlamente zu finden. Offenbar halten die Gesetzgeber der Patrie des arts derartige Fragen für ihrer Würde nicht angemessen, zumal die Künstler und Liebhaber sich selten um die Politik kümmern und sich am Wahltage nicht an die Urne zu drängen pflegen. Leute aber, die nicht stimmen, sind für den Abgeordneten völlig uninteressant.
J. F. Raffaelli, der bekannte Maler von Pariser Veduten und Ansichten aus der Umgegend von Paris, macht in diesem Augenblick Propaganda für eine technische Neuerung in der Ölmalerei. Es handelt sich darum, nicht mehr mit flüssigen Farben und Pinseln zu arbeiten, sondern die Ölfarbe gleich den Pastellfarben in trocknen Stäbchen herzustellen und sie genau ebenso zu benutzen wie die Pastellstäbchen. Raffaelli selbst arbeitet schon lange nach
diesem Verfahren, das seinen Bildern ein ganz eigentümliches, in der That an Pastelle erinnerndes Aussehen giebt. Im Grunde ist dieses Verfahren nur die logische Folge des Pointillismus. Sobald man einmal auf die Mischung der Farben auf der Palette verzichtete, die ja die Flüssigkeit der Farben bedingt, sobald man sich daran gewöhnte, die unvermischten Farben auf der Leinwand nebeneinander zu setzen, musste es früher oder später einem Maler einfallen, dass es sich im Grunde besser nach der Pastellmanier mit trocknen Farbenstäbchen, als mit Palette, Pinsel und flüssigen Farben arbeiten lässt. Die Arbeit wird jedenfalls dadurch ganz bedeutend vereinfacht, der Maler braucht überhaupt kein Werkzeug mehr, er verliert nicht die auf die Palette gebrachten und eingetrockneten Farbenreste, er braucht sich der lästigen Arbeit des Pinselreinigens nicht jeden Abend zu unterziehen, und was dergleichen materielle Vorteile mehr sind. Im übrigen aber wird sich wohl die Farbenmischung neben der Arbeit mit ungemischten Farben behaupten, und somit wird das Verfahren Raffaelli’s den flüssigen Ölfarben sicherlich noch nicht ihr Ende bereiten.
Die kleinen Ausstellungen, welche in den Winlernionaten die Räume der Kunsthändler füllen, haben begonnen: bei Georges Petit ist wie alljährlich der Keramiker Lachenal mit einigen dreihundert neuen und alten Erzeugnissen seiner Fabrik erschienen. Ich sage »seiner Fabrik«, weil das Wort hier am Platze ist. Lachenal versteht es vortrefflich, alle neuen Entdeckungen der französischen Keramiker alsbald geschickt nachzuahmen und auf dem Markte zu verwerten. Selber giebt er sich nicht mit neuen Untersuchungen ab, sondern das überlässt er andern. Seine Ausstellungen geben also jedes Jahr eine erweiterte und verbreiterte Übersicht über die Keramik des letzten Jahres, wie sie sich im Frühjahr in den beiden Salons präsentierte. Ausserdem kauft er Modelle von Bildhauern an, die mitunter interessant sind, und führt sie in Keramik aus. Sein Material ist nicht das feuersteinharte Steinzeug, das in so grosser Flitze hergestellt wird, dass nur sehr wenige Farben standhalten, sondern ein viel weicheres, einer weit geringeren Hitze ausgesetztes Material, das ihm die Erzielung aller gewünschten Nüancen ermöglicht. Da die neuere Keramik, die in Frankreich durch den von japanischen Arbeiten beeinflussten Jean Carriès eingeführt worden ist, im Grunde mindestens ebensosehr Kuriosität wie Kunstwerk ist, indem nämlich das Feuer mit der schliesslichen Farbengebung mehr zu thun hat als der Künstler und somit bei dem Steinzeng oder Grès niemals ein Stück dem anderen durchaus gleich ausfällt, haben die aus weicherem Material und bei geringerem Feuer hergestellten Erzeugnisse einen erheblich geringeren Wert als die Scharffeuertöpfereien. Ihrem Aussehen nach stimmen sie allerdings vollkommen mit dem echten Grès überein; während man aber aus diesem mit dem Stahl Funken schlagen kann, könnte man aus Lachenal’s Arbeiten bei einer solchen Probe höchstens Scherben herausschlagen.
José Frappa ist Maler und Bildhauer, er hat alle Medaillen des alten Salons und ist vollberechtigtes Mitglied des neuen. Er malt lustige Mönche in Küche und Keller, Zelle und Garten, als ob er Gehilfe bei Grützner gewesen wäre, Napoleon I. und Pius VII., als ob er bei Louis David Farben gerieben hätte, weibliche und männliche Bildnisse, die beinahe so gut sind wie kolorierte Photographien, Explosionen schlagender Wetter und andere schreckliche Naturereignisse, wie ein Zeichner für das illustrierte Sonntagsblatt des Petit Journal und er modelliert Mönche und Landsknechte wie ein italienischer Zuckerbäcker. Seine Ausstellung umfasst sechzig oder siebzig Bilder, eine Anzahl Zeichnungen und Pastelle und ein