KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13 Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903
Nr. 8. 4. Dezember
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
NÜRNBERGER KÜNSTLERBRIEF
Lange war in Nürnberg nicht so viel von Kunst und künstlerischen Dingen die Rede wie in den letzten Wochen. Es war, wie wenn ein Strom künstlerischer Begeisterung die Stadt durchflutet, der selbst diejenigen mit sich riss, die sonst künstlerischen Angelegenheiten mehr kühl gegenüber zu stehen pflegen. Der Ruhm der grossen Altmeister hat den Wunsch und die Sehnsucht nach einem neuen künstlerischen Leben geweckt. Die künstlerischen Kräfte regen sich und Kunstfreunde sind da, die bereit sind, bedeutende Mittel zu spenden. Auf das deutlichste trat dies hervor bei dem grossen Feste, das der Künstlerverein seinen beiden jüngsten Ehrenmitgliedern, dem Bürgermeister der Stadt, Geh. Hofrat von Schulz und Kommerzienrat Ludwig von Gerngros am 29. Oktober dieses Jahres aus Anlass der Errichtung des Neptunbrunnens auf dem Nürnberger Marktplatz veranstaltet hat. Als in der festlichen Stimmung angeregt wurde, die Mittel zu einem schon längst erwünschten Künstlerhause zu beschaffen, erklärten sich sofort vier Herren bereit, zusammen 150000 Mark zu stiften, im Verlaufe des Abends wurden noch weitere 100000 Mark gezeichnet und jetzt ist die Summe schon auf 350000 Mark gestiegen. Schon der Neptunbrunnen dankt dem Opfersinn eines kunstbegeisterten Mannes sein Dasein. Seine Errichtung war nur dadurch möglich, dass der erwähnte Herr von Gerngros die zu seiner Ausführung nötigen 80000 Mark spendete. Aus unbekannten Gründen war die Aufstellung des von dem Bildhauer Georg Schweigger und dem Goldschmied Christoph Ritter in den Jahren 1660—1667 zur Erinnerung an das Nürnberger Friedensmahl vom Jahre 1649 ausgeführten, für den Nürnberger Marktplatz bestimmten Neptunbrunnens unterblieben, und wohlverpackt lagen die Teile im Bauhofe, als gegen Ende des 18. Jahrhunderts Zar Paul I. das Ganze um 66000 fl. erwarb und inmitten eines Sees im Schlosspark von Peterhof aufstellen liess. Er ist leider nicht das einzige Werk geblieben, das Nürnberg in jener traurigen Zeit für immer eingebüsst hat. Bald folgten der Abbruch und Verkauf des ohne Zweifel eingeschmolzenen Vischer’schen Rathausgitters, die Zerstörung des Schaugebäudes und die Veräusserung des Jamnitzer’schen Tafelaufsatzes. Es lag nahe, dass
das aus Not und Niedrigkeit neuerstandene und wieder seine Stärke fühlende Nürnberg rückgängig zu machen wünschte, was damals geschehen war, und da solches nicht anging, wenigstens soviel als möglich den angerichteten Schaden wieder gut zu machen suchte. So wurde eine silbervergoldete Wiederholung des Jamnitzer’schen Tafelaufsatzes erworben und im Rathause aufgestellt, und so keimte der Wunsch auf, den Neptunbrunnen in einer Bronzewiederholung auf dem Marktplatz aufzustellen. Die erste Anregung dazu hatte im Jahre 1881 Professor Friedrich Wanderer gegeben. Mit Hilfe eines 1896 hergestellten und seitdem in der Katharinenkirche Nürnbergs aufgestellten Gipsabgusses und auf Grund der vorhandenen Abbildungen, welche verschiedene Abweichungen von der Peterhofer Aufstellung zeigten, wurde das Werk ausgeführt. Den Guss besorgte in vorzüglicher Weise die Erzgiesserei von Lenz in Nürnberg. Die Bewunderung, welche der Brunnen bei vielen findet, vermag ich nicht unbedingt zu teilen. Ich betrachte seine Errichtung in erster Linie als die Abtragung einer alten Ehrenschuld, vermag aber nicht anzuerkennen, dass er uns künstlerisch viel zu sagen hätte. Als Schöpfung einer Zeit, die nach Bode’s Ausdruck für »die deutsche Plastik die Zeit des tiefsten Verfalls ist« und welche gekennzeichnet ist »durch ein allmähliches Ausklingen bildnerischerThätigkeitin leerer, oberflächlicher Formenschönheit, die schliesslich zum Absterben fast aller selbständiger Triebe desselben führt«, vermag er eine reine künstlerische Befriedigung nicht zu gewähren. Man braucht nur die Gestalten der Augsburger und Münchner Brunnen, besonders die herrlichen Figuren des Herkulesbrunnens in Augsburg, mit denen dieses Brunnens zu vergleichen, um sofort den Manierismus zu erkennen, dem die deutsche Kunst mit dem Ende des 16. Jahrhunderts verfallen war. Auf jenen Werken ruht noch der Abglanz der grosszügig dekorativen Kunst Giovanni’s da Bologna, während hier vieles stark manieriert erscheint. Was sich in Wurzelbauer’s Jugendbrunnen ankündigt, kommt hier in voller Stärke zur Erscheinung. An Naturstudium haben es die Künstler nicht fehlen lassen, aber dennoch fehlt den Gestalten das rechte Leben. Am besten gelungen sind die nach den Seiten ausspringenden Seepferde, die einen für die damalige Zeit merkwürdigen klassischen Zug haben. So ist