KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13
Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 9. 18. Dezember
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandiung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
WIENER BRIEF
Von Ludwig Hevesi
Ausstellungen an allen Ecken und Enden. Mindestens sieben gleichzeitig, und dazu Versprechungen von -— oder Drohungen mit — neuen. Glücklicherweise kann sich der Berichterstatter allerlei Abbreviaturen erlauben. Fangen wir mit dem Künstlerhause an, dessen Katalog 1075 Nummern zählt. Ein Teil davon ist freilich in Deutschland sattsam bekannt. Ein grosser Saal voll Porträts von Max Koner (Kaiser Wilhelm, Du Bois-Reymond, Menzel, v. Werner obenan) belebt hier das Andenken des Berliner Realporträtisten neu, der zwischen Gussow’s Salonglätte und Gustav Richter’s Salonfarbigkeit gewiss eine notwendige Rückschlagserscheinung war. Andere Räume sind mit Nachlasssachen Otto Faber du Faur’s gefüllt, darunter Studien zu seinem Hamburger »Wörthund Stuttgarter »Champigny«. Ein grosses »Bazeillesist für ihn besonders bezeichnend; Kriegsgeschichte in Farbenflecke aufgelöst. Eine noch grössere »Ambulanz hinter einer Barrikade« verrät, dass er bei wachsendem Massstab, als Deutscher der Pilotyzeit, doch am Modell kleben blieb. Wieder andere Räume hat ein Münchner Kunsthändler aus seinen älteren Vorräten gefüllt. Viel berühmte Namen, mit meist minderen Bildern. Segantini nicht zu erkennen. Dagnan - Bouveret auch nicht. Dafür Lenbach’s knisternde »Saharet« und ein sitzender Bismarck in ländlichem Zivil. Die Masse des Einheimischen bietet vor allem viel Stoff für österreichische Kunstgeschichte und Wiener Lokalkunst. Kaiserlicher Rat Wilhelm Boschan hat über 400 Wiener Veduten ausgestellt, die er der Modernen Galerie schenkt. Die wertvolle Sammlung, die während eines Menschenalters entstanden ist, verewigt unter anderem eine Menge malerische Wiener Winkel, die schon verschwunden sind oder verschwinden werden. Gewesenes und werdendes Wien in bunter Reihe. Es sind köstliche Motive darunter. Man muss froh sein, dass einstweilen noch das krumme und lahme »Griechengassiexistiert, und die Schönlaterngasse und das »Ratzenstadl«, und alle die windschiefen und terrassenhaften Lokalitäten um »Maria Stiegen« und »St. Ruprechther. Die altväterisch gescheiten Hausformen und angealterten Tünchen dieser Stadtteile haben einen
malerischen Reiz, der durch keine, noch so falsche Secession ersetzt werden kann. Und wie viele Generationen Wiener Aquarellisten, Gouachisten, Pastellisten und Bleistiftzeichner haben sich daran die Jahre her geübt. In der Sammlung gehen sie bis auf Sigmund von Perger (1829), Gerstmayer (1830), Wiegand (1835), Franz Alt (1843) und Wiesböck (1853) zurück. Rudolf Alt ist nur mit einem kleinen, ungemein farbenstarken Blatte (Schlosstheater in Schönbrunn) vertreten. Die neueren Generationen, die Farbenseher wie Ludwig Hans Fischer, die Bauzeichner wie Bernt, die modernen Stimmungsmenschen wie Pippich, Graner, Geller, Tomec, kommen vielfach vor. Sehr auffallend sind die tieftonigen Kircheninterieurs von Alfred von Fflügl, auf den man erst jetzt recht aufmerksam wird. Ein ähnliches Interesse erregt die Ausstellung von Originalentwürfen für die Illustrierung des vom Kronprinzen Rudolf begründeten Werkes: »Die österreichischungarische Monarchie in Wort und Bild«. Dieses Werk war und blieb eine Hochburg des österreichischen Holzschnittes, während ringsum die illustrierende und illustrierte Welt photomechanisch und autotypisch wurde. Die mitarbeitenden Künstler aber bilden eine ganze Kunstgeschichte. Da sieht man die zierlichen, hell in hell wirkenden Federzeichnungen Schindler’s, die so spezialistisch empfundenen Barockarchitekturen Ohmann’s, die stilllebenhaften Werkstattscenen und Fabriksscenerien Charlemont s, die aquarellhaften Lebensbilder Passini’s, Falat’s u. s. w. Es ist eine Galerie im kleinen. An ihrer Spitze steht Kronprinzessin Stephanie mit zwei sauberen Bleistiftzeichnungen aus Gries. Zwei besondere Kollektionen haben die Maler Theodor Bruckner und Emil Strecker ausgestellt. Bruckner malt elegante Menschen in graulich-grünlich-rosiglichen Dämmerstimmungen, die sich aber noch nicht recht setzen wollen, Strecker haust in Dürnstein an der Donau und geht Freilichterscheinungen nach, die den Landeskundigen sehr anheimeln, ln dem gemischten Teile der Ausstellung fallen zwei junge Plastiker auf. Der in Rom lebende Zumbuschschüler Ignaz Weirich hat für den Markgrafen Alexander Pallavicini einen mächtigen ehernen Crtizifixus gearbeitet, dessen ernster Stil, ein Realismus mit gewissen leisen Zügen von Modernheit,
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13
Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 9. 18. Dezember
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandiung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
WIENER BRIEF
Von Ludwig Hevesi
Ausstellungen an allen Ecken und Enden. Mindestens sieben gleichzeitig, und dazu Versprechungen von -— oder Drohungen mit — neuen. Glücklicherweise kann sich der Berichterstatter allerlei Abbreviaturen erlauben. Fangen wir mit dem Künstlerhause an, dessen Katalog 1075 Nummern zählt. Ein Teil davon ist freilich in Deutschland sattsam bekannt. Ein grosser Saal voll Porträts von Max Koner (Kaiser Wilhelm, Du Bois-Reymond, Menzel, v. Werner obenan) belebt hier das Andenken des Berliner Realporträtisten neu, der zwischen Gussow’s Salonglätte und Gustav Richter’s Salonfarbigkeit gewiss eine notwendige Rückschlagserscheinung war. Andere Räume sind mit Nachlasssachen Otto Faber du Faur’s gefüllt, darunter Studien zu seinem Hamburger »Wörthund Stuttgarter »Champigny«. Ein grosses »Bazeillesist für ihn besonders bezeichnend; Kriegsgeschichte in Farbenflecke aufgelöst. Eine noch grössere »Ambulanz hinter einer Barrikade« verrät, dass er bei wachsendem Massstab, als Deutscher der Pilotyzeit, doch am Modell kleben blieb. Wieder andere Räume hat ein Münchner Kunsthändler aus seinen älteren Vorräten gefüllt. Viel berühmte Namen, mit meist minderen Bildern. Segantini nicht zu erkennen. Dagnan - Bouveret auch nicht. Dafür Lenbach’s knisternde »Saharet« und ein sitzender Bismarck in ländlichem Zivil. Die Masse des Einheimischen bietet vor allem viel Stoff für österreichische Kunstgeschichte und Wiener Lokalkunst. Kaiserlicher Rat Wilhelm Boschan hat über 400 Wiener Veduten ausgestellt, die er der Modernen Galerie schenkt. Die wertvolle Sammlung, die während eines Menschenalters entstanden ist, verewigt unter anderem eine Menge malerische Wiener Winkel, die schon verschwunden sind oder verschwinden werden. Gewesenes und werdendes Wien in bunter Reihe. Es sind köstliche Motive darunter. Man muss froh sein, dass einstweilen noch das krumme und lahme »Griechengassiexistiert, und die Schönlaterngasse und das »Ratzenstadl«, und alle die windschiefen und terrassenhaften Lokalitäten um »Maria Stiegen« und »St. Ruprechther. Die altväterisch gescheiten Hausformen und angealterten Tünchen dieser Stadtteile haben einen
malerischen Reiz, der durch keine, noch so falsche Secession ersetzt werden kann. Und wie viele Generationen Wiener Aquarellisten, Gouachisten, Pastellisten und Bleistiftzeichner haben sich daran die Jahre her geübt. In der Sammlung gehen sie bis auf Sigmund von Perger (1829), Gerstmayer (1830), Wiegand (1835), Franz Alt (1843) und Wiesböck (1853) zurück. Rudolf Alt ist nur mit einem kleinen, ungemein farbenstarken Blatte (Schlosstheater in Schönbrunn) vertreten. Die neueren Generationen, die Farbenseher wie Ludwig Hans Fischer, die Bauzeichner wie Bernt, die modernen Stimmungsmenschen wie Pippich, Graner, Geller, Tomec, kommen vielfach vor. Sehr auffallend sind die tieftonigen Kircheninterieurs von Alfred von Fflügl, auf den man erst jetzt recht aufmerksam wird. Ein ähnliches Interesse erregt die Ausstellung von Originalentwürfen für die Illustrierung des vom Kronprinzen Rudolf begründeten Werkes: »Die österreichischungarische Monarchie in Wort und Bild«. Dieses Werk war und blieb eine Hochburg des österreichischen Holzschnittes, während ringsum die illustrierende und illustrierte Welt photomechanisch und autotypisch wurde. Die mitarbeitenden Künstler aber bilden eine ganze Kunstgeschichte. Da sieht man die zierlichen, hell in hell wirkenden Federzeichnungen Schindler’s, die so spezialistisch empfundenen Barockarchitekturen Ohmann’s, die stilllebenhaften Werkstattscenen und Fabriksscenerien Charlemont s, die aquarellhaften Lebensbilder Passini’s, Falat’s u. s. w. Es ist eine Galerie im kleinen. An ihrer Spitze steht Kronprinzessin Stephanie mit zwei sauberen Bleistiftzeichnungen aus Gries. Zwei besondere Kollektionen haben die Maler Theodor Bruckner und Emil Strecker ausgestellt. Bruckner malt elegante Menschen in graulich-grünlich-rosiglichen Dämmerstimmungen, die sich aber noch nicht recht setzen wollen, Strecker haust in Dürnstein an der Donau und geht Freilichterscheinungen nach, die den Landeskundigen sehr anheimeln, ln dem gemischten Teile der Ausstellung fallen zwei junge Plastiker auf. Der in Rom lebende Zumbuschschüler Ignaz Weirich hat für den Markgrafen Alexander Pallavicini einen mächtigen ehernen Crtizifixus gearbeitet, dessen ernster Stil, ein Realismus mit gewissen leisen Zügen von Modernheit,