KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13
Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 10. 24. Dezember
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
FLORENTINER NEUIGKEITEN
Aus dem Bargello ist allerlei zu melden. Supino, der feinsinnige Kenner italienischer Kunst, sucht nach besten Kräften den Bestand der Sammlungen zu vermehren und in der Aufstellung, soweit es der Mangel an Raum ermöglicht, dem guten Geschmack die Führerrolle zuzuerteilen. Letzthin hat er ein schönes, für diese Skulpturensammlung besonders wertvolles Stück erwerben können. Es ist das Fragment eines grösseren Ganzen, einer Kanzel oder eines Weihwasserbeckens, eine Säule mit den Gestalten dreier Jünglinge, Ministranten, die dem Kult bestimmte Gerätschaften tragen. Mit den Schultern sind sie einander verbunden, sonst jede für sich; zwischen den Hinterköpfen ist ein Kapitäl sichtbar. Die Köpfe, leider nicht ganz frei von Beschädigung, sind anmutig beseelt, in allen Einzelheiten mit feinem Gefühl für das Wesentliche behandelt. Das Werk, früher bei Bardini, stammt aus Bologna. Supino denkt an Fra Guglielmo; mir scheint es an Qualität diesem überlegen. Jedenfalls repräsentiert es in der Sammlung die Pisanoschule aufs beste.
Das Werk hat seinen Platz in dem Michelangelosaal des Erdgeschosses gefunden. Hier hat Supino eine bedeutsame Änderung vorgenommen. Michelangelo’s Bacchus ist an die seinem früheren Standort gegenüberliegende Wand gerückt und auf ein drehbares Postament gestellt worden. Nun kann man das unbegreiflich vollkommene Jugend werk auch von der Rückseite betrachten, was ja früher nicht möglich war; man gewinnt ganz neue Eindrücke von der Statue; die hohe Vollendung der Rückenpartie weckt staunende Bewunderung vor dem Können eines Menschen, der doch eben erst seine Laufbahn begonnen. Man begreift hier, wie diese Statue den »Davidpräludiert.
Dass bei der Neuaufstellung das Feigenblatt gefallen ist, wird allgemein als höchst erfreuliches Novum in Florenz begrüsst werden.
Dem Bacchus gegenüber hat jetzt der »David« (früher als Apollo gedeutet) seine Aufstellung gefunden, der früher so vereinsamt im zweiten Stock stand. So umschliesst jetzt dieser Saal alle Werke Michelangelo’s, die der Bargello sein Eigen nennt, mit Ausnahme der wegen ihrer Grösse in den verhältnismässig kleinen Raum nicht zu bannenden Skulpturen: des sterbenden Adonis und des »Sieges«.
In den Räumen des zweiten Stockes musste mancherlei geändert werden, weil die Skulpturen aus Santa Maria Nuova unterzubringen waren. Sie haben in dem kleineren Eingangsraum an den beiden Wänden neben den Fenstern ihre Stelle gefunden. Für Verrocchio’s Terrakottamadonna hätte man wohl etwas unbeengteren Raum gewünscht; schon deshalb, damit eine isolierte Aufstellung die Auf
merksamkeit des Publikums auf diese hübsche Darstellung der Madonnengruppe aus der zweiten Hälfte des Quattrocento lenkte.
Der grosse Raum der Marmorskulpturen hat durch Änderungen ausserordentlich gewonnen. Er macht jetzt einen festlichen, höchst reizvollen Eindruck. Neu hier aufgestellt ist das Marmorrelief mit dem Tod der Tornabuoni (früher im Nebenzimmer). In die Mitte der Hauptwand hat Supino die zwei unvollendeten Reliefs von Luca della Robbia gebracht und damit diese beiden Werke, die am reinsten von allen Quattrocentoskulpturen griechischen Geist offenbaren, in die ihnen gebührende Beachtung gerückt.
Alles in allem: viel Erfreuliches; besonders erfreulich, dass man stets die Hand eines Mannes spürt, der unter gegebenen, nicht immer günstigen Bedingungen die geschmackvollste Lösung zu finden weiss.
Aus dem archäologischen Museum kommt die erfreuliche Meldung, dass es gelungen ist, die Fran^oisvase, die durch einen unbotmässigen Aufseher vor mehr als zwei Jahren zertrümmert wurde, wiederherzustellen. Der Direktor der Sammlung hat in der Zeitschrift »Atene e Romavom Oktober darüber Bericht erstattet. Der Restaurator der Vase, Pietro Zei, ist übrigens jetzt berufen, ein anderes in Stücke gebrochenes Kunstwerk wieder zusammenzusetzen, Sansovino’s Madonnenstatue, die beim Einsturz des Campanile von San Marco zerbrach.
Auch sonst kann man mit Genugthuung beobachten, dass für die Monumente der Stadt gesorgt wird, nicht nur für die Erhaltung, sondern auch für ihre Wiederherstellung in den ursprünglichen Zustand. Einige Beispiele. Das Kloster neben San Miniato ist an der Fassade von Gerüsten verstellt. Man kann aber sehen, was geschieht: die herrlichen gotischen Fenster, die zugemauert waren, werden wieder geöffnet und damit dem Gebäude der alte, harmonische Anblick wiedergegeben. Im Mediceerpalast der alten Via larga — jetzt sagt man Palazzo Riccardi und die Strasse heisst Via Cavour — wird im Hof gearbeitet und die schöne alte Sgraffitodekoration wird bald wieder der Architektur zum Schmuck gereichen. Im Hof vonSanLorenzo lagern grosse, zugerichtete Architekturteile am pietra serena; mit ihnen soll die Treppe zur Laurenziana, Michelangelo’s Schöpfung, endlich fertiggestellt werden. Man sieht aus diesen Beispielen, dass es an Aktivität nicht fehlt.
Von einer bedeutsamen Erwerbung der Uffizien wird hoffentlich binnen kurzem berichtet werden können.
Die Firma Brogi, die in der jüngsten Zeit wieder eine sehr rege Thätigkeit entfaltet und Vorzügliches in der Wiedergabe von Skulpturen zur Schau bringt, bereitet jetzt Kataloge von allen ihren photographischen Aufnahmen vor. Ein vorläufiger Auszug, die mehr für das grosse Publikum berechneten Werke umschliessend, ist bereits