KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTOEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr.^13 Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903
Nr. 12. 8 Januar
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
DÜSSELDORFER BRIEF
In unserer Kunsthalle ist in den letzten Monaten ein frischer Hauch deutlich zu verspüren.
Es ist zu hoffen, dass er anhält und endlich auch dem besseren kunstfreudigen und kaufkräftigen Publikum den Weg hinunter weist in das alte Hochwasserterrain alias Künstlerfriedhof alias permanente Kunstausstellung der Kunsthalle.
Es ist ein recht erfreuliches »Stelldichein« unserer Talente, dem wir den mit Recht so beliebten und oft heissersehnten Zettel »Verkauft« in vielen Exemplaren gewünscht hätten.
Aber es ist, als ob das Interesse der oberen Zehntausend, sagen wir im Düsseldorfer Falle: oberen Hundert, einzig und allein von dem modernen Kunstgewerbe gefangen genommen würde. Und in der That: es sind da, besonders bei Leven auf der Elberfelder Strasse, zum Teil so ausserordentlich eigenartige reizvolle Dinge ausgestellt, dass es selbst Familienvätern, die sich nicht zu den oberen Hundert rechnen dürfen, schwer wird hier vorbeizugehen ohne sehnsüchtige und resignierte Blicke. Besonders geschmackvoll ist hier das Licht hereingezogen. Es stehen da allerhand Leuchter und Lampen von einem Reiz der Form und Farbe, dass sie sich wohl kaum übertreffen lassen dürften.
Und doch darf 9ich die Malerei nicht unterkriegen lassen. Die Künste sollen und müssen ihre Kräfte willig dem Gewerbe herleihen, eine Verbindung, aus der diese entzückenden Werke entstehen — aber sie sollen niemals auf Eigenwirkung Verzicht leisten, sollen sich stets das Recht Vorbehalten, mit allen Mitteln der Technik sich selbst zu predigen, den allerdirektesten Weg zum Menschenherzen immer wieder von neuem zu suchen und zu gehen.
Und so ist denn auch viel Gutes augenblicklich in der Kunsthalle beieinander, wenigstens für gesunde Herzen, die nicht nur immer das Allerneueste aus Paris oder Skandinavien haben müssen, sondern sich noch unverdorbenen Geschmack und Freude an gesunder heimischer Kunst bewahrt haben.
Die Hauptwand des grossen Saales ziert, an Stelle des nach Aachen gesandten Rocholl’schen lebensgrossen Hengstes, eine Sammlung von dreizehn Bildern und Skizzen von Dirks. Mit frischen Kräften ist er vom Nordseestrande, seiner Heimat, zurückgekehrt, hat seine Eindrücke in virtuos und mächtig hingesetzten Bildern gegeben, und aus diesen urwüchsigen, farbensprühenden Sachen weht der frische Geruch des Seetangs, die salzige Luft der Waterkante.
Ihrer Frische und Unmittelbarkeit verdanken sie denn auch in der Künstlerschaft einen unbestrittenen Erfolg, wenigstens in dem Teil derselben, welcher noch nicht
zurückschrickt vor unmittelbarer Aussprache, und dem das Wort »Ausgeglichen« nicht über alles geht. Und hierzu zählt alles, was vorwärts will, was strebt, was frisch und kräftig ringt.
Ein jeder wird nun seine Lieblinge darunter haben. Aber man sehe sich nur einmal die Bilder »Am Deich«, »Am Quai«, »Hafenstadt im Winter«, »Ebbe« an. Und jenes reizvolle graue Bild »Ein Abhang mit Obstbäumen an nebeligem Tage«.
Zwischen die Dirks hat sein Freund Schneider-Didam eine Anzahl frisch und geistvoll aufgefasster Porträts hineingestreut.
Vier Bilder von Kröner mit ausserordentlich reizvollen Einzelheiten locken zu Halt und Studium. Vor allem die Birkhahnbalz mit ihren gelben Gräsern über moorigem Grunde, und am Horizont, mit wenigen Meisterstrichen hingesetzt aber unendlich verstanden und fein: Birken und Kiefern.
»Auf Auslug«: ein Fuchs in vorzüglich gestimmter Frühlichtlandschaft.
A. Lins hat da eine halb lebensgrosse Schimmelstute mit Fohlen, über die Apfelzweige ihre spielenden Schatten streuen und Sonnenlichter huschen. Ein Bild von sehr guten Eigenschaften.
Zwei Bilder von Nikutowski, auf den schon wiederholt hingewiesen wurde. »Warburg«, das grössere, zeigt dieses altertümliche westfälische Bergnest an der Diemel, wie es vom Berge herabklettert zum Fluss mit roten, feingetönten Dächern, hohen Mauern und Türmen. Nikutowski liebt es, wie einstmals Ludwig Richter und Schwind, mit offenem treuen Auge durch die deutschen Gaue zu pilgern, hier sich an einem Bergnest festzusaugen, dort am Flüsschen zu sitzen und einem alten halbverkommenen Bürgerlein zu Leibe zu gehen, wie es da, wie eine Henne über ihre Kleinen, die Wacht hält über ein Häufchen Häuser mit roten Dächern, sei es Dorf oder Stadt.
Und immer fein. Immer giebt’s da einen Hauch Romantik, wie’s scheint unbewusst. Nichts Gewolltes, nur Gefühltes.
Und wieviel giebt’s da noch für Nikutowski zu entdecken: in Franken, Thüringen, Lothringen. Er steht erst am Anfang und hat, mit seinem feinen Spürsinn, mit seinem ausserordentlichen Gefühl für solche Reize, noch ein herrliches Leben voll Entdeckungen und Auferweckungen vor sich. Er fusst fest und unerschütterlich in den kleinen vergessenen Winkeln Deutschlands, lässt andere nach Holland und Belgien gehen und geht rüstig und unentwegt seine stillen Wege weiter. Glück auf!
Die »Löwen« von Felix Eulenburg. Das Lebensmüde, Depossedierte dieser Käfiglöwen ist vorzüglich. Dies Bild reiht sich würdig seinen früheren »Königstigern« an.