zu einer selbständigen künstlerischen Technik sich entwickelten.
Zu den in der Anmerkung Seite 63 genannten fünf Exemplaren eines Papierreliefs der Verkündigung lässt sich ein sechstes mit dem Monogramm im Museum zu Lübeck hinzufügen.
Ein dankenswertes Verzeichnis stellt am Schlüsse das Werk des Meisters zusammen, ein ausführlicher Anhang bringt urkundliche Belege. garl steinacker.
Giovanni Segantini. Sein Leben und sein Werk. Herausvom k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht. Text von Franz Servaes. Wien, Gerlach & Co. Preis geb. K. 120 = M. 100.
Diese jüngst im Kommissionsverlage von Martin Gerlach in Wien erschienene grosse Monographie über den berühmten österreichischen Maler italienischer Zunge Segantini umfasst neunzehn Bogen Text biographischen und kunstkritischen Inhalts von je acht Seiten in Querfolio, geschrieben von dem Schriftsteller Dr. Franz Servaes, der in ministeriellem Aufträge deshalb auch die benötigten Reisen machte, und dreiundsechzig Kunsttafeln, hergestellt von sechzehn hervorragenden Kunstanstalten und photographischen Instituten, wobei ausser der Photographie die Heliogravüre in Farben für einfache Töne (der sogenannte Kombinationsdruck) und Drei- und Vierfarbenautotypien zur Anwendung kamen. Beigegeben ist mit Erwähnung des Besitzes ein nach Möglichkeit zeitlich geordnetes Verzeichnis der Ölgemälde des Meisters aus der Mailänder Zeit (1878—1881), der Zeit in der Brianza (1881—1886), dem Aufenthalte in Savognin (1886—1894) und der letzten Lebenszeit in Maloja (1894—1899), umfassend 132 Nummern. Auch die Zeichnungen und Pastelle, 110 Nummern, werden aufgeführt. Nicht genug: Es folgt der Litteraturnachweis, und zwar werden zuerst Segantini’s eigene Niederschriften, sodann die kritischen Betrachtungen zu Lebzeiten und diejenigen nach dem Tode des Künstlers angegeben.
Zunächst einige Worte über den Text. Schon die aufgezählten Beigaben des Werks, sodann die ausführliche aktenmässige Sicherheit in der Darstellung der Lebensumstände stellen eine Summe von äusserer Arbeit und unverdrossener Mühwaltung dar. Aber nun erst die geistige Anspannung bei Beurteilung der Werke, bei ihrer Erklärung und Würdigung, ferner die bei der inneren Kritik geforderte, oft zunächst nur dunkel gefühlte Begriffsbestimmung des Merkmals gerade dieser persönlichen Kunst, darauf die Bestimmung der Eigenmerkmale jedes Einzelbildes! Nie zeigt der Verfasser zufolge seiner Beherrschung des Stoffes die bekannte Verlegenheit, die sich durch die Phrase zu maskieren sucht, sein Stil ist der spontane Ausdruck seiner herzlichen Begeisterung. Hervorzuheben ist seine Darstellung des Arguments der Bilder, die Erläuterung ihrer Komposition, die Darlegung des künstlerischen Fortschritts besonders bei wiederholtem Motiv, das Eingehen auf die besondere Maltechnik, die Würdigung der menschlichen Eigenschaften des Künstlers, die ergreifende Schilderung der letzten Lebensstunden desselben. Zuweilen freilich wird seine Begeisterung zu heiss, so dass sie den Leser ernüchtert, anstatt ihn mit fortzureissen. — Beispiele: Bei der »Strickerin am Zaun« empfindet er »etwas von jener grossen brausenden unzerstörbaren Poesie, die alles Leben, das sich in Reinheit offenbart, durchflutet«. Auf dem »Tod« erscheint ihm die drohende Wolke »ein so berauschendes Gebilde, dass er von Wonne durchdrungen, Lobgebete leise murmelt«. Gegenüber demselben Bilde sei es, meint er, unmöglich, sich »kleinen Schmerzgefühlen zu überlassen, auch wenn man die ganze Menschheit weinen
sähe«. Erinnern nicht ^derartige Überschwenglichkeiten an Schiller’s erste dichterische Periode? Allen Ernstes behauptet der Verfasser, Segantini habe einmal, unter einem Brückenbogen kauernd, um nicht ins Wasser zu fallen, mit einem Auge geschlafen — als ob der Schlaf eine Funktion des Auges und nicht des Gehirns wäre! Einmal verkündet sich die Naturliebe des Künstlers wie mit Fanfarenstössen! Uno di piü ist mit »das Neugeborene« nicht bezeichnend übersetzt — eine Hirtin schützt ein neugeborenes Lamm vor strömendem Regen — der Titel will besagen: »Auch das noch!« oder: »Ungelegen gekommen! Ein Überflüssiges!« Auch die Worte Segantini’s: La vita non puö avere valore che per il godimento dei sensi intellettuali übersetzt Servaes gesucht, ja unrichtig mit: Nur wo unser geistiges Wesen zur Sinnenfreude durchdringt, kann das Leben einen Wert haben — während sie einfach bedeuten, das Leben könne nur Wert haben durch die Freude, die das geistige Empfinden aus der Erkenntnis gewährt. Die Bezeichnung der in der Berliner Nationalgalerie befindlichen, auch in unserem Werke wiedergegebenen bekannten Pastellzeichnung des Meisters: La Fede, übersetzt Servaes mit »Glaubenszuversicht« ohne einen Grund angeben zu können, weshalb denn nur hier eine religiöse Beziehung vorliegen soll. Die Deutung dieser anscheinend dunklen Benennung ist meines Erachtens folgende: Entweder ist la Fede die bekannte gekürzte Koseform für den Rufnamen Fedele, womit die eimertragende weibliche Hauptperson des Pastells im Vordergründe bezeichnet wird — der Artikel la darf nicht auffallen, da ihn weibliche Taufnamen bei Kürzungen und in Koseformen häufig erhalten — oder la Fede heisst »die Zuversicht«, welche augenscheinlich alle Personen der Zeichnung gegenüber dem offenen Essenfeuer, das wir links im Hintergründe sehen und dessen qualmender Rauch sogar ins Freie bricht, offenbaren: hat doch selbst die vor dem Feuer stehende Kuh eine furchtlose ruhige Haltung! Religiöse Empfindungen können hier unmöglich auch nur angedeutet sein. Die niederdeutschen Idiotismen, die der.Verfasser seiner Diktion einreiht, wie sabbern, däftig — sie deuten offenbar auf seine Heimat — will ich nicht tadeln, aber doch dürfte sich mancher geneigte Leser dadurch bei der Lektüre aufgehalten fühlen. Doch genug der Bemerkungen über den Text, die sich leicht vermehren Hessen. Noch ein Wort über die Tafeln!
Unnötig erscheint es, über die schwarzen oder einfarbig getönten Tafeln zu reden; vorzaubern sollen einen Segantini die Farbenautotypien! Segantini gehört zu den Künstlern, welche aus eigener Anschauung oder Erfindung, möchte man sagen, die lichterzeugende Oscillation der Ätherteilchen farbig durch den »Divisionismus« (warum das abscheuliche Wort? warum nicht lieber, wenn es denn ein Fremdwort sein soll, Diärese oder Diathese?) wiederzugeben unternahmen. Der in seiner Bergwelt abgeschiedene Meister hatte weder vorher ein Bild in dieser Technik gesehen, noch hatte er das diese Technik erläuternde und befürwortende Werk des Belgiers Paul Signac über den Franzosen Eugene Delacroix oder den Neoimpressionismus, wie man auch die Lichtanalytik nennt, gelesen. Segantini aber kam nicht auf Punkte oder Flecken (auf die Fleckentechnik kamen selbst begabte Anfänger von allein gar nicht selten), sondern setzte die ungebrochenen Farben mit dem Spitzpinsel in kurzen Strichen diagrammatisch auf die Breitfläche, harmonisierte sie durch Komplementärfarben und streute, um an gewissen Stellen die Täuschung durchleuchteter Luft zu erhöhen, sogar zerstäubte Goldoder Silberblätter von gewissen Nüancen in die Farbenzwischenfurchen. Man muss nun gestehen, dass die Tafeln unseres Werkes, welche Bilder dieser Technik wiederzugeben versuchen, leisten, was bei der immerhin geringen