und Marmortreppen malen und sich von einem anderen Künstler die Figuren und alles übrige hineinmalen lassen. Die Skulptur ist auf diesen Ausstellungen immer sehr schwach vertreten: von dem Russen Bernstamm sind einige in die Plastik übertragene Photographien da, von Geröme ein hausbackener Tubabläser und von Jacquot mehrere banale weibliche Statuetten, die den Beweis ihrer Daseinsberechtigung schuldig bleiben.
KARL EUGEN SCHMIDT.
NEUES AUS VENEDIG
Noch immer haben die rings um die Reste des Glockenturmes vorgenommenen Bohrversuche nicht erlaubt, die letzten Reste desselben abzutragen. Diese Versuche haben auf der Seite der Bibliothek bei drei Meter Tiefe festen undurchdringlichen Grund ergeben, gegen Norden, sowie an anderen Stellen bis zu 20 Meter Tiefe, zuerst eine Sandschicht, dann feste Thonerde von hellgrauer Farbe zu Tage gebracht. Man will durch diese Versuche feststellen, mit welchen Elementen des Grundes man zu rechnen hat bei der neuen Fundierung, beziehungsweise Verstärkung der alten Fundamente des Turmes. Von der Bestrafung der als schuldig erkannten und abgesetzten höchsten Baubeamten hat das Ministerium abgesehen. Der Billigkeit entsprechend hat der Unterrichtsminister erklärt, dass der Einschnitt in den Turm, welcher dessen Einsturz mit herbeigeführt habe, nur auf Befehl des Vorgesetzten von dem Untergebenen ausgeführt worden sei und somit dieser nicht den Sündenbock abgeben könne und kein Grund vorliege, den sonst tüchtigen Mann ans dem Amte zu entfernen. Mittlerweile hat die Sammlung für den Wiederaufbau fast U/s Million erreicht. Höchst sonderbar erscheint, dass man in Mailand einen Wettbewerb ausgeschrieben hat mit grossen Prämien für die besten Entwürfe zum Wiederaufbau des Campanile. Kein Mensch hier und noch weniger die Regierung wird sich um das Resultat dieser Konkurrenz kümmern.
ln der Frarikirche ist viel gearbeitet worden. Der Turm ist ringsum in seinen Fundamenten mit eingetriebenen riesigen Pfählen umgeben worden, welche dem Fortschreiten der Senkung desselben Einhalt thun sollen. Die ganze erste Arkade links vom Hauptportal bis zum Canovamonument ist jetzt eingerüstet. Dieser ganze Teil der Kirche muss abgetragen und neu aufgebaut werden.
In S. Giovanni e Paolo ist nun das grosse Gerüst fertig, welches das Herabnehmen des grossen gemalten Fensters ermöglicht. Die betreffende Wand über dem Seitenportal muss abgetragen und neu errichtet werden. Man hat in alter Zeit, um Nischen zu schaffen, für die beiden Altäre (mit den Gemälden des Rocco Marconi und Lorenzo Lotto) die Mauer, unbegreiflicher Weise, um zwei Drittel geschwächt. So war die gefährliche Senkung unausbleiblich. Also auch hier von Senkung des Untergrundes keine Rede.
Der Zustand der alten Prokuratien hat neuerdings weiteres Einrüsten der Arkaden nötig gemacht. Sechzehn Pilaster in der langen Reihe müssen vollkommen erneuert werden. Man hat endlich mit den Maurerarbeiten begonnen und die Besitzer der betreffenden Teile des Gebäudes gezwungen, Hand anlegen zu lassen. Die Architekten, Maurer und Steinmetzen hatten nie so viel Arbeit als gerade jetzt. Die Regierung hat ihrerseits die weitgehendsten Versprechungen gemacht. So hat Venedig, welches mehr als je die Sympathien des Auslandes hat, keinen Grund mehr, über die Knausereien der Regierung in Rom zu klagen.
Die verschütteten Kaufgewölbe unter den Neuen Prokuratien sind wieder eröffnet worden. Am meisten hat sich das so stark beschädigte Kunstluxusgeschäft des Cavaliere Bottacin der wiederhergestellten Passage zu erfreuen und geht erstarkt aus der Katastrophe hervor.
Der Turm von S. Stefano ist nun vollkommen bis oben eingerüstet und mit Eisenbändern umgeben. Was weiter geschehen soll, muss sich in diesen Tagen zeigen. Die vierzehn Tage Frist, welche sich die Stadtverwaltung zur Entscheidung noch gegönnt hat, sind verstrichen.
Es dürfte von Interresse sein zu erfahren, dass eine Kommission eingesetzt wurde zur Prüfung des Schadens, welchen die Dampfer des Kanal Grande den dort befindlichen Palästen zufügen. Architekt Sardi hat in seiner Relation diesen als ganz ausserordentlich bewiesen und hervorgehoben,dass besonders die kleinen Dampfschaluppen der Marine durch ihre wahnsinnig schnelle Fahrt für den grössten Schaden verantwortlich sind. Den Palastbesitzern empfiehlt er die Konsolidierung der Fundamente mehr im Auge zu haben, als selbst die Erhaltung der Fassade.
Ich wiederhole, dass alle sensationellen Berichte in den Wiener, besonders aber amerikanischen Zeitungen von Senkungen allüberall in das Reich der Fabeln zu verweisen sind.
Venedig, Mitte Januar 1903 a. wolf.
BERLINER BRIEF
Die Gemälde, die der in Paris lebende Spanier Hermen Anglada zur Zeit hier bei Eduard Schulte ausstellt, sind wohl geeignet, die Hochachtung, die uns die Werke eines Sorolla y Bastida, eines Zuloaga und anderer vor der jüngsten Kunst ihres und seines Vaterlandes beigebracht haben, wenn nicht zu erhöhen, doch wieder aufzufrischen. Was an Anglada’s Arbeiten vor allem anzieht und interessiert, ist eben das durchaus Spanische in ihnen, und es spricht für die Stärke und Ursprünglichkeit von Anglada’s Talent, dass der nationale Charakter trotz aller offenbar nicht unbedeutenden Pariser Einflüsse so deutlich und zwingend aus allen seinen Bildern redet. Eine ganze Reihe von ihnen entnimmt ihren Gegenstand dem Nachtleben des »Seine-Babels«, und das dieser Gegenstand in Anglada’s Behandlung etwas Angenehmes hätte, kann man durchaus nicht behaupten. Alte, total verbrauchte, von Leidenschaften entstellte Lebemänner, verblühte Courtisanen, menschliche Ruinen, deren Leichenfarbe sie eher tot als lebendig erscheinen lassen — kurz das Versumpfte, Wurmstichige, Verseuchte — das ist das Gebiet, dem dieser Maler seine Vorwürfe, wie es scheint, mit besonderer Vorliebe entnimmt. Er sucht durch krasse koloristische Gegensätze, zuweilen sehr stark übertreibend, das Laster in seiner Scheusslichkeit und seinem dennoch »pikanten Reiz« farbig zu charakterisieren, er bemüht sich offenbar, seinen Schilderungen etwas Dämonisches zu verleihen. Aber wäre all dies Farbenspiel, dessen man oft genug erst froh wird, wenn man den hier durchaus nicht als Nebensache behandelten »litterarischen« und entschieden auch auf Sensationslust berechneten Inhalt überwunden, nicht ebenso stark, nicht viel erfreulicher vorzuführen gewesen, wenn der Maler andere Vorwürfe gewählt hätte? Dass Bilder, wie die »Letzte Soirée«, das einen alten, ekelhaften Roué im Gespräch mit einem alten abgetakelten, greulichen Frauenzimmer zeigt, oder wie das der »Morphinistin«, aus deren fahlgrünlichgrauem Gesicht zwei verglaste grünliche Katzenaugen wie blödsinnig ins Leere starren, trotz all dieser Scheusslichkeit durch ihren künstlerischen Gehalt, durch das feurige Temperament, das in ihnen pulsiert, fesseln, das spricht allerdings wiederum für die Stärke der
KARL EUGEN SCHMIDT.
NEUES AUS VENEDIG
Noch immer haben die rings um die Reste des Glockenturmes vorgenommenen Bohrversuche nicht erlaubt, die letzten Reste desselben abzutragen. Diese Versuche haben auf der Seite der Bibliothek bei drei Meter Tiefe festen undurchdringlichen Grund ergeben, gegen Norden, sowie an anderen Stellen bis zu 20 Meter Tiefe, zuerst eine Sandschicht, dann feste Thonerde von hellgrauer Farbe zu Tage gebracht. Man will durch diese Versuche feststellen, mit welchen Elementen des Grundes man zu rechnen hat bei der neuen Fundierung, beziehungsweise Verstärkung der alten Fundamente des Turmes. Von der Bestrafung der als schuldig erkannten und abgesetzten höchsten Baubeamten hat das Ministerium abgesehen. Der Billigkeit entsprechend hat der Unterrichtsminister erklärt, dass der Einschnitt in den Turm, welcher dessen Einsturz mit herbeigeführt habe, nur auf Befehl des Vorgesetzten von dem Untergebenen ausgeführt worden sei und somit dieser nicht den Sündenbock abgeben könne und kein Grund vorliege, den sonst tüchtigen Mann ans dem Amte zu entfernen. Mittlerweile hat die Sammlung für den Wiederaufbau fast U/s Million erreicht. Höchst sonderbar erscheint, dass man in Mailand einen Wettbewerb ausgeschrieben hat mit grossen Prämien für die besten Entwürfe zum Wiederaufbau des Campanile. Kein Mensch hier und noch weniger die Regierung wird sich um das Resultat dieser Konkurrenz kümmern.
ln der Frarikirche ist viel gearbeitet worden. Der Turm ist ringsum in seinen Fundamenten mit eingetriebenen riesigen Pfählen umgeben worden, welche dem Fortschreiten der Senkung desselben Einhalt thun sollen. Die ganze erste Arkade links vom Hauptportal bis zum Canovamonument ist jetzt eingerüstet. Dieser ganze Teil der Kirche muss abgetragen und neu aufgebaut werden.
In S. Giovanni e Paolo ist nun das grosse Gerüst fertig, welches das Herabnehmen des grossen gemalten Fensters ermöglicht. Die betreffende Wand über dem Seitenportal muss abgetragen und neu errichtet werden. Man hat in alter Zeit, um Nischen zu schaffen, für die beiden Altäre (mit den Gemälden des Rocco Marconi und Lorenzo Lotto) die Mauer, unbegreiflicher Weise, um zwei Drittel geschwächt. So war die gefährliche Senkung unausbleiblich. Also auch hier von Senkung des Untergrundes keine Rede.
Der Zustand der alten Prokuratien hat neuerdings weiteres Einrüsten der Arkaden nötig gemacht. Sechzehn Pilaster in der langen Reihe müssen vollkommen erneuert werden. Man hat endlich mit den Maurerarbeiten begonnen und die Besitzer der betreffenden Teile des Gebäudes gezwungen, Hand anlegen zu lassen. Die Architekten, Maurer und Steinmetzen hatten nie so viel Arbeit als gerade jetzt. Die Regierung hat ihrerseits die weitgehendsten Versprechungen gemacht. So hat Venedig, welches mehr als je die Sympathien des Auslandes hat, keinen Grund mehr, über die Knausereien der Regierung in Rom zu klagen.
Die verschütteten Kaufgewölbe unter den Neuen Prokuratien sind wieder eröffnet worden. Am meisten hat sich das so stark beschädigte Kunstluxusgeschäft des Cavaliere Bottacin der wiederhergestellten Passage zu erfreuen und geht erstarkt aus der Katastrophe hervor.
Der Turm von S. Stefano ist nun vollkommen bis oben eingerüstet und mit Eisenbändern umgeben. Was weiter geschehen soll, muss sich in diesen Tagen zeigen. Die vierzehn Tage Frist, welche sich die Stadtverwaltung zur Entscheidung noch gegönnt hat, sind verstrichen.
Es dürfte von Interresse sein zu erfahren, dass eine Kommission eingesetzt wurde zur Prüfung des Schadens, welchen die Dampfer des Kanal Grande den dort befindlichen Palästen zufügen. Architekt Sardi hat in seiner Relation diesen als ganz ausserordentlich bewiesen und hervorgehoben,dass besonders die kleinen Dampfschaluppen der Marine durch ihre wahnsinnig schnelle Fahrt für den grössten Schaden verantwortlich sind. Den Palastbesitzern empfiehlt er die Konsolidierung der Fundamente mehr im Auge zu haben, als selbst die Erhaltung der Fassade.
Ich wiederhole, dass alle sensationellen Berichte in den Wiener, besonders aber amerikanischen Zeitungen von Senkungen allüberall in das Reich der Fabeln zu verweisen sind.
Venedig, Mitte Januar 1903 a. wolf.
BERLINER BRIEF
Die Gemälde, die der in Paris lebende Spanier Hermen Anglada zur Zeit hier bei Eduard Schulte ausstellt, sind wohl geeignet, die Hochachtung, die uns die Werke eines Sorolla y Bastida, eines Zuloaga und anderer vor der jüngsten Kunst ihres und seines Vaterlandes beigebracht haben, wenn nicht zu erhöhen, doch wieder aufzufrischen. Was an Anglada’s Arbeiten vor allem anzieht und interessiert, ist eben das durchaus Spanische in ihnen, und es spricht für die Stärke und Ursprünglichkeit von Anglada’s Talent, dass der nationale Charakter trotz aller offenbar nicht unbedeutenden Pariser Einflüsse so deutlich und zwingend aus allen seinen Bildern redet. Eine ganze Reihe von ihnen entnimmt ihren Gegenstand dem Nachtleben des »Seine-Babels«, und das dieser Gegenstand in Anglada’s Behandlung etwas Angenehmes hätte, kann man durchaus nicht behaupten. Alte, total verbrauchte, von Leidenschaften entstellte Lebemänner, verblühte Courtisanen, menschliche Ruinen, deren Leichenfarbe sie eher tot als lebendig erscheinen lassen — kurz das Versumpfte, Wurmstichige, Verseuchte — das ist das Gebiet, dem dieser Maler seine Vorwürfe, wie es scheint, mit besonderer Vorliebe entnimmt. Er sucht durch krasse koloristische Gegensätze, zuweilen sehr stark übertreibend, das Laster in seiner Scheusslichkeit und seinem dennoch »pikanten Reiz« farbig zu charakterisieren, er bemüht sich offenbar, seinen Schilderungen etwas Dämonisches zu verleihen. Aber wäre all dies Farbenspiel, dessen man oft genug erst froh wird, wenn man den hier durchaus nicht als Nebensache behandelten »litterarischen« und entschieden auch auf Sensationslust berechneten Inhalt überwunden, nicht ebenso stark, nicht viel erfreulicher vorzuführen gewesen, wenn der Maler andere Vorwürfe gewählt hätte? Dass Bilder, wie die »Letzte Soirée«, das einen alten, ekelhaften Roué im Gespräch mit einem alten abgetakelten, greulichen Frauenzimmer zeigt, oder wie das der »Morphinistin«, aus deren fahlgrünlichgrauem Gesicht zwei verglaste grünliche Katzenaugen wie blödsinnig ins Leere starren, trotz all dieser Scheusslichkeit durch ihren künstlerischen Gehalt, durch das feurige Temperament, das in ihnen pulsiert, fesseln, das spricht allerdings wiederum für die Stärke der