Worten ab. Dabei zeigt er eine merkwürdige Unfähigkeit zu unterscheiden zwischen dem, was er vermutet, und dem was er zu beweisen vermag. Die dreilürmige Anlage sei in Erfurt erfunden, die »Grille« eines spätgotischen Baumeisters, »neu, aber nicht gerade schön«, sie habe »der Neuheit wegen auf einigen Dörfern und in einigen Kleinstädten Nachfolge« gefunden. Dem gegenüber ist zu bemerken: l. dass es eben das Wesen der Meister der Spätgotik ist, das zu schaffen, was alle akademischen Zöpfe »Grillen« nennen — die ganze Albrechtsburg ist eine solche! — 2. dass der Dom zu Erfurt wohl nur Herrn Schäfer und auch ihm wohl nur zu der gegenwärtigen Polemik als »nicht gerade schön« erscheint, und dass die angeblichen Dörfer und Kleinstädte, deren Kirchen die dreitürmige Anlage erhielten, nach Gurlitt’s Buch folgende sind: Ansbach, Dresden, Kolberg, Konstanz, Leipzig, Loburg, Lommatzsch, Mühlhausen, Öderan, Rochlitz, Stettin, Zerbst u. a. m. Wer die Schäfer’schen Ausführungen liest, der wird sich erstaunt fragen: Wen hofft Schäfer mit seinen biedermännisch klingenden Plaudereien zu überzeugen? Ist das nicht ebenso wie in der Heidelberger Schlossbau- Angelegenheit die vollkommene wissenschaftliche Ohnmacht? Schäfer hat ein bestimmtes Vorbild vor Augen: den Magdeburger Dom. Diesen nun kopiert er, obgleich die Verhältnisse in Magdeburg und in Meissen ganz verschieden sind. Seine ganze Kunst besteht darin zu sagen: in Magdeburg wirkt der Turm gut — also wird er auch in Meissen gut wirken! Und diese Kunst bethätigt er damit, dass er einen neuen Entwurf (1901) macht, der nun auch die Turmspitze von Magdeburg entlehnt. Natürlich kann man dieser Anlage nicht nachsagen, dass sie hässlich sei, sie ist ganz stattlich. Aber nach Meissen passt sie ganz und gar nicht: Die Turmanlage wird den Meissner Domberg erdrücken, wie die berühmte Brühl’sche Terrasse zu Dresden von dem Lipsius’schen Akademiebau erdrückt worden ist. Der Domberg wird zum Sockel der Türme gemacht und dadurch wird das herrliche Stadtbild von Meissen zerstört. Das ist ja das Verhängnisvolle an solchen Restaurierungen: das Neue überwältigt das Alte, während doch das Alte geschützt werden soll. Überdies werden die vier Türme — Schäfer will auch den Bruder des höckerigen Turmes diesem ganz ähnlich ausbauen — ein ganz unerfreulich stacheliges Bild geben und die vornehme Ruhe und Geschlossenheit im Umriss zerstören und zerreissen. Die Westtürme aber brauchen einen einheitlichen ruhigen Abschluss nach oben, der sich in die Umrisslinie des Burgberges von allen Seiten wohlthuend einordnet, nicht sie zu beherrschen trachtet. Diese Bedenken werden durch das Modell, das der Dombauverein jetzt hat anfertigen lassen, vollauf bestätigt. Wir haben schon früher erwähnt, dass Schäfer in einem Entwurf einen falschen Schatten eingesetzt hat, durch den die Wirkung der alten Bauteile zu Gunsten der Schäfer’schen verschoben wird. Der Vorstand des Dombauvereins hat sich nicht gescheut, trotzdem den Schäfer’schen Entwurf wieder abzubilden, anstatt ihn gebührend zurückzuweisen. Erfreulicherweise hat er wenigstens die gleichfalls falsche Perspektive nicht aufgenommen. Im übrigen wird nicht einmal ein Grundriss der gesamten Turmaufbauten gegeben.
Aus der Hauptversammlung ist noch zu erwähnen, dass in den Vorstand gewählt wurden die Herren Geh. Reg.-Rat Baurat Hossfeld in Berlin, Dezernent für das Kirchenbauwesen im preussischen Ministerium des Innern und Stadtbaurat Prof. Licht in Leipzig (sehr komisch wirkte bei dieser Wahl, dass verschiedene Mitglieder des Dombauvereins erst unterrichtet werden mussten, wer Hossfeld ist). Weiter teilte der Vorsitzende mit, dass mit Genehmigung des Finanzministeriums Baurat Krüger in Meissen den Dombauverein in den bautechnischen An
gelegenheiten vertritt, dass die Kasse des Kultusministeriums die Verwaltung des Dombauvermögens übernommen hat, dass die Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler in Sachsen künftighin fortdauernd von allen Fortschritten der Arbeiten am Dom auf dem Laufenden erhalten werden soll, dass ein Dombauführer angestellt worden ist und dass der Bau auf fünfeinhalb Jahre berechnet ist. Ein für den Vorstand nicht sehr erfreuliches Zwischenspiel in der Versammlung brachte das Auftreten eines Sohnes des verstorbenen Bildhauers Hofrat Andresen in Meissen. Dieser hat die Gründung des Dombauvereins angeregt und durchgeführt und hat auch mit dem Berliner Architekten Sehring einen Plan zur Ergänzung des Meissner Domes hergestellt. Der jüngere Herr Andresen hielt nun dem Vorstand in scharfer Weise vor, wie undankbar er sich gegenüber dem Gründer des Dombauvereins verhalten habe, indem er dessen Entwurf nicht einmal zum Wettbewerbe zugelassen habe. Der Vorsitzende ging über diesen berechtigten Vorwurf zur Tagesordnung über, ohne auch nur die Versammlung darüber zu befragen. Endlich ist zu melden, dass Oberbaurat Schäfer-Karlsruhe vom Vorstand einstimmig zum Dombaumeister gewählt worden ist. ln dem Vertrag soll angeblich ausdrücklich die »Einreichung der Pläne« verlangt und ihre Ausführung abhängig gemacht sein von der Genehmigung der beteiligten Ministerien, des Landeskonsistoriums und des Domkapitels. Diese Vorsicht ist gewiss sehr zu billigen und auch durchaus am Platze. Was wird denn nun aber, wenn die Pläne beanstandet werden müssen, wie die bisherigen, wenn Schäfer das nicht leisten kann, was man von ihm im Interesse des berühmten Stadtbildes und des berühmten Bauwerkes fordern muss? Nur der umgekehrte Weg war richtig: erst Pläne, die allseitig Zustimmung finden und dann Anstellung des Dombaumeisters. Aber freilich dieser Weg war ungangbar für den Vorstand des Meissner Dombauvereins, dazu hat er sich viel zu sehr durch sein bisheriges Vorgehen festgelegt. Paul Schumann.
Ultner Münsterrestauration. Entgegen den früheren Jahren, in welchen für den Ausbau des Münsters noch erhebliche Mittel zur Verfügung standen, sind schon vor Jahresfrist Einschränkungen am Arbeitspersonal, sowie an projektierten Arbeiten erfolgt, welche die Aufsicht eines ständigen Architekten am Platz nicht notwendig machen. Deshalb hat Architekt Bauer seinen Wohnsitz wieder nach München verlegt. Nachdem die Neidhardskapelle von Maler Loosen im Vorjahre ausgemalt worden war, wurde die Ausstattung derselben in Angriff genommen: Die beiden trefflichen Frührenaissance-Altäre, sowie die Predella auf dem östlichen Altartisch wurden durch Maler Ruedorfer in München einer sorgfältigen Restauration unterzogen. Die Fenster wurden teilweise mit alten Resten von Glasmalereien, welche von Hofglasmaler Burckhardt in München mit Geschick zusammengesetzt wurden, geschmückt.
Die Kapelle reiht sich jetzt mit den restaurierten Steinepitaphien, Totenschildern und Bildwerken würdig den anderen Räumlichkeiten des Münsters an. Die Herstellung eines neuen Sockels am Sakramentshäuschen und des damit in Verbindung stehenden Bodenbelags wurde gleichfalls ausgeführt. Am Hauptturm wurde ein Teil des südwestlichen Strebepfeilers mit seinen Wimpergen und Masswerken erneuert und zur obersten Helmspitze eine Steigleiter hergestellt. Die Restauration der Bildwerke am Brautportal wurde durch Bildhauer Bronni besorgt, die noch sichtbaren Malereien an den Wandflächen gereinigt, sowie die Spuren früherer Gemälde fixiert. Auch der architektonische Teil des Portals wurde in Stand gesetzt und das schon früher entfernte Denkmal der Weihe des Münsters an der Ostwand der Portalhalle wieder ein