VERMISCHTES
In den nächsten Wochen wird in Leipzig ein neues Kunstwerk in Erscheinung treten, das zweifellos eine lebhafte Erörterung hervorrufen wird: Otto Greiner’s Ölgemälde »Odysseus und die Sirenen«. Dem sehr umfangreichen Bilde hat der Künstler in den letzten sechs Jahren seine Hauptkraft zugewandt. Es wird in den nächsten Wochen in Leipzig eintreffen und zur Ausstellung kommen.
München erhält demnächst auch einen grossen, modern ausgestatteten Kunstsalon. Die Gebrüder Heinemann werden nämlich unter Aufgabe ihrer alten mangelhaften Räume sich durch Emanuel Seidel am Maximilianplatz ein Gebäude für ihren Zweck errichten lassen.
Die diesjährige VII. Kunstausstellung der Berliner Secession wird schon am 5. April eröffnet und dauert bis 15. Juli. Die Generalversammlung der Secession hat den Maler Professor Wilhelm Trübner in Frankfurt a. M. und den Bildhauer Tuaillon zu Berlin in den Vorstand gewählt.
Der Kunsthistoriker Eugen Müntz hat seinen handschriftlichen Nachlass der Bibliothèque Nationale in Paris vermacht. Die Manuskripte füllen ungefähr siebzig grosse Kasten. Einen grossen Teil hat Müntz bereits verarbeitet und veröffentlicht. Mehrere Kasten sind mit den Materialien zu einem Korpus der Mosaiken angefüllt, welches Müntz unter Mitwirkung vieler Fachgenossen herausgeben wollte. Die Bibliothek von Eugen Müntz ist von der Buchhandlung Joseph Baer & Co. in Frankfurt a. M. durch Kauf erworben worden. Sie wird auf 15 bis 20000 Bände geschätzt.
Rom. Die reiche Sammlung klassisch-antiker Goldschmiedearbeiten des russischen Gesandten am Quirinal, A. J. von Nelidow, ist eben in einer Prachtausgabe bei K. W. Hiersemann in Leipzig erschienen, und damit ist alles, was der Sammelfleiss eines Privatmannes vereinigt hat, dem Dienste der Wissenschaft erschlossen worden. Erläutert und beschrieben sind die einzelnen Stücke von Dr. Ludwig Pollac. Der Text ist in deutscher Sprache abgefasst.
e. st.
ERWIDERUNG
In Nr. 10 der Kunstchronik vom 24. Dezember 1902 findet sich pag. 162 ein Referat meiner Broschüre »Über Farbensehen und Malerei«, München 1901 bei Ernst Reinhardt.
Der Herr Referent meint, dass »solche Beobachtungen, wie die Schrift sie mitteilt, als ganz abnorme, mehr pathologisch als physiologisch interessante Fälle betrachtet werden«. Diese Ansicht des Herrn Referenten ist irrig. Erstens funktionieren die Augen der betreffenden Personen nach Sehschärfe u. s. w. völlig normal, jede pathologische Funktion fehlt, speziell die Lichtempfindung ist ihrem ganzen Umfang nach intakt und auch die Farbenempfindung ist nur qualitativ von der Norm verschieden.
Zweitens ist der Zustand dieser qualitativ vom Normalauge verschiedenen Empfindung der Farben so verbreitet
und physiologisch so wichtig und interessant, dass sich die physiologische Forschung der letzten Jahrzehnte vorwiegend mit ihm beschäftigt hat.
Es ist sehr bedauerlich, dass der Kunst- und speziell der Malunterricht nicht so von diesen Forschungen auf physikalischem und physiologischem Gebiete beeinflusst wird, als es im Interesse einer gedeihlichen Entwickelung der Kunst wünschenswert wäre.
Ich bin in der That der einzige, der dieselben in allgemein verständlicher Weise den Künstlern nutzbar zu machen versucht hat und möchte nicht, dass dieser Versuch in so kurzer Form, wie der Herr Referent das thut und zwar auf ganz unsachliche Weise, beseitigt werde; denn die physiologischen Thatsachen, über welche meine kleine Schrift berichtet, lassen sich doch durch eine jeglicher experimentellen Stütze entbehrenden Argumentation, welche sich darauf beruft, »dass scharfsichtige Maler uns lehren, in der Natur auf Farbentöne zu achten, die nur deshalb für uns nicht da waren, weil wir unser Augenmerk nicht auf sie gerichtet hatten« nicht aus der Welt schaffen.
Wenn die »scharfsichtigen« Maler uns so belehren können, sind wir doch weniger scharfsichtig gewesen als jene, das heisst weniger in der Lage, die Farben richtig zu sehen — eben, weil wir sie übersehen haben. Die Aufmerksamkeit ist hier doch nichts weiter, als der Massstab, den die Maler und auch wir selbst an die sinnliche Wahrnehmung anlegen, nicht das Mittel für diese Wahrnehmung. Je schärfer der Sinneseindruck an sich ist, desto weniger Aufmerksamkeit ist zu seiner Wahrnehmung nötig und umgekehrt! Es spricht daher das vom Herrn Referenten angezogene Beispiel im Grunde gegen seine Argumentation und für meine Ansicht.
Wenn bei genauen physikalisch-physiologischen Untersuchungen in vier bis acht Prozent der Menschheit grobe Verschiedenheiten in der Empfindung der Farben und bei dreiunddreissig Prozent leichtere Abweichungen von der Durchschnittsnorm der Farbenempfindung gefunden werden, so ist doch damit festgestellt, dass beinahe ein Drittel der Menschheit die Farben anders empfindet und folglich auch malerisch anders darstellt, als die Mehrheit.
Dass nicht jedes beliebige abweichende Kolorit eines Gemäldes von diesen abnormen Empfindungszuständen herrührt und eventuell allein herrührt, dass auch Verschiedenheit des Geschmackes, des Temperamentes und der Beobachtungsgabe hier mitspielt, darin stimme ich mit dem Herrn Referenten natürlich völlig überein.
Trotzdem werden meine Bedenken gegenüber der sich auf Farbenbeurteilung einlassenden Kritik bestehen bleiben; aber nicht so, wie der Herr Referent sie mir zuschiebt. Denn es wird bei der Rücksichtnahme der Kunstkritik auf verschiedene Farbenempfindungssysteme »der koloristischen Willkür« keineswegs »Thür und Thor geöffnet«. Ich habe vielmehr in meiner Schrift eingehend zu zeigen versucht, dass auch die uns fremd erscheinenden koloristischen Leistungen, sofern sie überhaupt als Kunstwerke angesprochen werden können, harmonisch gefügt bleiben und darum gegenüber unkünstlerischen farbigen Malereien bei einer rein sachlichen Kritik ihren Kunstwert nicht verkennen lassen.
Weimar im Januar 1903. e. raehlmann.
Inhalt: Wiener Brief. Von Ludwig Hevesi. — Adolfo Venturi, La Galleria Crespi in Milano. — Thomas Dennerlein f. — Amtsniederlegung von Begas. — Rom, Forschungen in den Katakomben. — Rom, Archäologisches Institut. — Würzburg, Verfall von Baudenkmälern. - Berlin, ein neues Bild von Schongauer; Paris, Gallische Skulpturen; Neueinrichtung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe; Ankauf für das Leipziger Museum; Stille im Karlsruher Kunstleben. — Wettbewerb um eine Plakette. — Preissteigerung von Gemälden Segantini’s; Kunstauktion bei Lepke. — Neues Kunstwerk in Leipzig; Kunstsalon in München; Kunstausstellung der Berliner Secession; Nachlass Eugen Müntz betreffend; Rom, Sammlung von Goldschmiedearbeiten. — Erwiderung.
Herausgeber und verantwortliche Redaktion: E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13.
Druck von Ernst Hedrich Nachf., G. m. b. H., Leipzig.