KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13
Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 16. 13. Februar
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver
lagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein ft Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
DIE GALERIE HENNEBERG IN ZÜRICH
Von Hermann Kesser
Jüngst ging durch die deutsche Presse eine Notiz, die in kunstfreundlichen Kreisen und insonderheit auf dem deutschen Kunstmarkt viel von sich reden machte: Herr Henneberg, der Besitzer jener grossen Galerie moderner Meister am Züricher See sei daran, seine Sammlung zu
verkaufen und eine Anzahl von Museen hätten Vertreter entsandt, um mit Henneberg in Unterhandlung zu treten. Diese Nachricht beruht auf Thatsachen: An nahezu siebzig Bilder sind heute schon in Privatbesitz übergegangen, die grossen deutschen Museen haben allerdings bis heute noch keine Verkäufe abgeschlossen, mit Ausnahme der Hamburger Kunsthalle. Eine der grössten Galerien in Privat
besitz geht somit ihrer Auflösung entgegen, und das ist immerhin bedauerlich, denn viele Kunstwerke moderner Meister werden dann in die Hände von Privaten über
gehen und damit der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich
sein. Zwar war die Sammlung niemals dem allgemeinen Besuch freigegeben, doch konnten sich kunstliebende Gäste der an Kunstschätzen sonst nicht übermässig gesegneten Limmatstadt dank dem freundlichen Entgegenkommen des Besitzers mühelos Zutritt verschaffen und jeder wird sich wohl gewundert haben, wenn er sah, dass einige unserer besten Meister in dem vom Strome der Kunst abseits ge
legenen Zürich reicher vertreten waren, als sie es bis heute in mancher Kunstzentrale sind. Die vornehmen Räume
des repräsentativen, prächtigen Baues bildeten einen würdigen Hintergrund.
Wir werden uns angelegen sein lassen, ein Bild von dieser Sammlung zu entwerfen, uns nach Möglichkeit auf die bedeutendsten Künstler zu konzentrieren und minorum gentium nur kurz Erwähnung zu thun. Vieles vom Besten ist schon verschwunden und das andere wird nachfolgen; es wird vielleicht später schwierig werden, von der einen oder anderen Schöpfung Kunde zu bekommen und darum
mag es vielleicht dem Kunstfreund und dem Kunsthistoriker
willkommen sein, dass wir über die Galerie in ihrer Vollständigkeit handeln.
In grösseren Kollektionen, denen eigene Gemächer eingeräumt waren, waren Adolf von Menzel, Franz von Lenbach, Franz Stuck und Bruno Piglhein vertreten. Von
Menzel’s grösseren Bildwerken nennen wir den Kasseler Karton: der Einzug der Herzogin Sophie von Brabant, Tochter der heiligen Elisabeth, und ihres Söhnchens Hein
rich, des nachmaligen ersten Landgrafen von Hessen, in Marburg. Menzel fertigte diesen über sechs Meter breiten und über drei Meter hohen Karton im Jahre 1847 >m Auf
träge des Kasseler Kunstvereins, kaufte ihn 1866 zurück und gab ihn später an Henneberg ab. Diese Schöpfung
des jüngeren Menzel ist eine zeichnerische Grossthat; man sieht, wie sich der Künstler schon damals abmühte, auch in ein Historienbild Bewegung und Leben zu bringen; freilich bleibt es für unsere heutigen Begriffe bei dem Be
mühen, wenn auch das Bestreben, mit den alten Traditionen zu brechen, unverkennbar ist, wie man aus der geschickten
Gruppierung der Massen und der Individualisierung der einzelnen Typen leicht ersehen kann. Von der virtuosen Handhabung von Kohle und Blei kann nur das Original einen Begriff geben; eine eingehende Würdigung der Kom
position ergiebt sich bei einer Parallele mit den starren, phrasenhaften Schöpfungen der Zeitgenossen.
Ein historisches Dokument ersten Ranges ist ein unvollendet gebliebenes Ölbild, die Bestattung der Märzgefallenen, die Wiedergabe jener denkwürdigen Scene aus dem Berliner Märzaufstand des Revolutionsjahres 1848. Die gefallenen Freiheitskämpfer werden in schwarzen Särgen am könig
lichen Schlosse vor Friedrich Wilhelm IV. vorbeigetragen. Menzel hat diesen erhabenen Augenblick in grossartiger Weise zur Anschauung gebracht; sein Blick scheint um
flort gewesen zu sein, etwas von der stumpfen Resignation des Volkes mag sich ihm wohl mitgeteilt haben, denn wie ein grosser schwarzer Flor liegt es über dem Bilde, alles
ist nur flüchtig in der Farbe angedeutet, nur das Schwarz der zu Bergen gehäuften Särge, der schwer herabhängenden Trauerfahnen und die Abzeichen der Trauer in der drängen
den Menschenmenge, das tritt aus dem trüben Kolorit des Regentages mit eindrucksvoller Deutlichkeit hervor. Nie habe ich die erschütternde Tragik jener dunklen Tage ans
Deutschlands Vergangenheit durch ein Bildwerk so mächtig
empfunden, wie bei diesem kleinen, anspruchslosen Werke Adolf Menzel’s.
Sein »Bonsoir, Messieurs«, Friedrich der Grosse nach der Schlacht bei Leuthen, wie er sich zu den gefangenen feindlichen Offizieren begiebt, jenes geist- und witz
sprühende Bild aus der Zeit des alten Fritz, darf man wohl
als allgemein bekannt voraussetzen, so dass wir uns nicht weiter darüber verbreiten müssen. Über den Menzel, der in seinen Bildwerken die Zeit des alten Fritz wieder neu aufleben Hess und in glaubwürdiger, historisch getreuer Weise zur Darstellung brachte, ist schon genug geschrieben worden. Ein einzigartiges Genrebild des Künstlers aus der Galerie Henneberg ist seine Piazza d Erbe in Verona. So originell, so realistisch hat noch kein Künstler einen Markt gemalt, und nur dann wird es uns begreiflich, warum Menzel das konnte, wenn wir die unzähligen nnd mit enormem Fleiss gesammelten Studien zu dem Bilde am gleichen Platze gesehen haben. Niehls fehlt, was für einen italienischen, städtischen Obst- und Gemüsemarkt nicht charakteristisch wäre. Alles ist zu sehen, die feilbietenden,
schreienden Marktweiber, die feilschenden Käufer, die