gesetzt, denn den Zusammenhang zwischen den einzelnen Raumwerten vermag man nur schwer herzustellen. Dass Stuck hier so frei verfährt, kann man angesichts des so anschaulich bildgewordenen Oedankens ruhig in Kauf nehmen.
Auch ein Stuck sches »Laster« ist der Henneberggalerie zu eigen gewesen, in der Stuck’schen Mache »in Farben modelliert«, und sein sattsam bekanntes Selbstporträt mit dem vielgenannten »gefährlichen« Blick.
Einige Pastell-, Kohle- und Federzeichnungen zeigen ihn uns als Meister der Kleinkunst und in seinem künstlerischen Entwickelungsgang.
Stuck ist jedenfalls hier in einer Reichhaltigkeit vertreten gewesen, wie nirgends, und überdies mit einigen seiner reifsten Erzeugnisse. Auf die Stucks und Menzels dürften Gemäldesammlungen, die ihren Bestand nach diesen Richtungen zu erweitern suchen, am ehesten ihr Augenmerk lenken.
Bilder wie die »Kreuzigung«, die »Vertreibung aus dem Paradies« und die Pietâ sollten ihren Ehrenplatz in Galerien wie München, Dresden oder Berlin haben.
Fast in seiner Gesamtheit hatte man den Nachlass des allzu früh verstorbenen, Grosses versprechenden Bruno Piglhdn, der heute fast zu den Vergessenen zählt. Da ist der grossartige Entwurf zu des Künstlers »Moritur in Deo«. Krupp ersah ihn seinerzeit im Atelier des Künstlers und forderte Piglhein auf, ihm das Werk auszuführen. Durch Krupp kam das Gemälde in den Besitz des Kaisers und später der Berliner Nationalgalerie. Die Studie ist fast freier in der Wiedergabe des versöhnenden Gedankens — ein Engel des Himmels drückt dem sterbenden Heiland den Kuss des Mitleids auf die Stirne —, als das Original. Denn hier lenkt nichts den Blick von der ergreifenden Gebärde ab, mit der sich der Tröster zum Menschensohn niederneigt, das zerrissene Farbenchaos accompagniert nur den grossartigen Moment.
Noch zwei Entwürfe, die Kolossalstudie zu des Künstlers weltberühmten Panorama1) und die Studien zur Münchner »Grablegung« sind in der Henneberg-Galerie zu sehen gewesen, der Entwurf zum Panorama von um so erhöhterer künstlerischer Bedeutung, als das vollendete Original zu Grunde gegangen ist. Man weiss, wie Piglhein durch rein malerische Behandlung seines Kreuzigungs-Rundgemäldes den theatermässigen Rahmen der Panoramenmalerei erweitert hat. Die Studie zeigt in allen ihren Einzelheiten, in der feinen räumlichen Behandlung der Architektur, der Landschaft, voll des mächtigsten Stimmungszaubers, der formschönen Linie, die Horizont und Landschaft abgrenzt, in der verständnisvollen Auswahl der malerischen Ausdrucksmittel, den tonigen, harmonischen Farbwerten den Künstler, der überall, aber auch überall, Kunst geben will und nie durch banale Mittel zu sprechen gewillt ist. Piglhein weiss jedes Gebiet seines Schaffens mit seinem bewussten künstlerischen Empfinden zu durchsetzen, auch dann, wenn die Darstellung an Pikanterie streift, wie in einer nicht ganz vollendeten nackten Orientalin, die, im wohligen Haschischrausch befangen, wunschlos von Glück und Wonne träumt. Wie anders giebt hier — wenn die Parallele gestattet ist — dieser Schaffende ein »Bien-ëtre« als Nonnenbruch auf seinem geschmacklosen Marktbild!
Reizvoll ist ein kleines Pastell »Das Modell«, die Rückenansicht eines weiblichen Körpers von wunderbarer Weichheit, auf einem Tische Atelierkram aller Art, drapierte Stoffe, kurz ein Atelierinterieur, das man oft gezeichnet und noch öfter gemalt sehen kann, aber nicht in
i) Kreuzigung Christi, 1892 in Wien verbrannt.
so diskreten, zusammenklingenden Tönen abgestimmt, wie der Fleischton und das blasse Gelb des Vorhangs.
Ergreifende Seelenstimmung spricht aus dem »Centaurenpaar am Meer«. Ein Centaurenpaar in heissliebender Umschlingung wandelt am wogenden, brausenden Meer, der Himmel ist finster; die Natur tobt in ihren aufgeregten Elementen, nur die Leidenschaft des liebenden Paares bleibt unberührt von den Stürmen des Meeres und der Luft; die zwei Lebewesen sind glücklich in ihrem gegenseitigen Besitz und die Elemente scheinen ihnen gegenüber ihrer ineinanderfliessenden Neigung als klein. Das Machtvolle einer grossen Leidenschaft ist noch selten von Künstlerhand so grandios verkörpert worden; in der Idee ist diese Schöpfung ein Meisterwerk, wie es nur die Grossen in der Kunst geschaffen haben. Schade, dass man sich die Gelegenheit entgehen liess, diesen unvergleichlichen Piglhein für Deutschland zu erwerben, er ging durch Schenkung eines Anonymus in den Besitz der Zürcher Kunstsammlung über, zugleich mit Stuck’s »Wein«.
Ein entzückendes Knabenköpfchen von sinnigem Ausdruck, ebenfalls ein Pastell, hebe ich besonders hervor; an malerischen Feinheiten, an technischem Können schlägt es alle »Marion’s« und »Margott’s« um vieles, denn Piglhein wiederholt sich nie. Nicht ein einziges Mal sucht er eine virtuos ausgebildete Seite seines Könnens auf Kosten einer ehrlichen künstlerischen Absicht an den Mann zu bringen. Frei von jeglichem Manierismus, von gewollter Effekthascherei, offenbart er immer wieder neue Seiten seiner Künstlernatur. Er ist malerisch im Sinne der Modernen, ohne ein Moderner sein zu wollen, er ist ein intimer Beobachter der Natur, ohne darum ein Naturalist zu sein, er vermag zu erzählen, ohne genrehaft zu werden, er braucht nur zu wollen und sein künstlerisches Gefühl folgt ihm. Seine Nubierbilder, eine Palastwache, ein Neger in Waffen, ein anderer harfenspielend am Meeresstrand kauernd, eine Nubierin im Spiele mit ihrem Affen, sie sind teilweise im Gröbsten stecken geblieben, teils nahezu fertig gestellt, aber immer finden wir ein anziehendes Element, sei es in der kompositionellen Anlage des einen, in dem glänzenden Schwarz und dem leuchtenden Gelb des anderen, in der flotten, lebensprühenden Bewegung der Natursöhne, oder in der Innerlichkeit der Auffassung. Piglhein kennt auch das Pleinair. Man sehe die luftdurchzitterte Studie »Idyll«, einen nackten Jungen fischend am Bachesrand liegend, umgeben von grünen Wiesen, Natur in Natur. Noch manches wäre zu erwähnen, ich habe nur das Augenfälligste vom Guten herausgegriffen, um des Künstlers Nachlass mit einigen Strichen zu charakterisieren. Henneberg erwarb die Kollektion nach dem Tode des Künstlers (f 1894) von seiner Witwe. Es war meines Wissens sonst an keiner Stelle Gelegenheit, Piglhein’s Lebenswerk so trefflich zu überblicken, seiner künstlerischen Individualität so nahe zu treten, wie in der Galerie Henneberg. (Fortsetzung folgt.)
NEUES AUS VENEDIG
Ich komme soeben aus dem Dogenpalast, wo Tag und Nacht gearbeitet wird. Die durch die Wegräumung der Büchermassen freiwerdenden Wände zeigen jetzt erst, welche Sündenschuld auch nach dieser Richtung der erste Napoleon auf sich geladen hat, indem er Sansovino’s Bibliothek als Palast für sich in Anspruch nahm und die Bücher in den Dogenpalast verwies, wo sie, stets sich vermehrend, unsägliches Unheil angerichtet haben. Der an sich schon kühne Bau war nicht bestimmt, solch ungeheuere Lasten zu tragen, wie sie die Bibliothek und das Archäologische Museum ihm zumuteten, und obendrein