war man also schon in Deutschland in der »bonne peinture«, als von Belgien her die koloristische Sintflut hereinbrach. Nicht ganz so ungetrübt ist der Genuss, vor den beiden Bildern, die aus dem Besitz der Witwe zweier um das deutsche Kunstleben hochverdienter Männer, des feinsinnigen Kunstfreundes und Schriftstellers Konrad Fiedler und des Generalmusikdirektors Hermann Levi, in die Galerie gelangt sind. Das Porträt der ehemaligen Eigentümerin von Böcklin erweckt wenigstens etwas widerstreitende Empfindungen. Der Körper ist schemenhaft, Hals und Hände scheinen von einem Anfänger herzurühren. Aber die Landschaft mit dem blühenden Obstbaum und den hellen Birkenstämmen, die Art, wie der schwarze Hut gegen den leicht bewölkten Frühlingshimmel gesetzt ist, und die Zusammenstellung der blauen und grünen Farben des Kleides ist so urböcklinisch, dass das Werk doch eine interessante Bereicherung unserer Böcklinsammlung darstellt. Bei Feuerbach’s grossem Ricordo di Tivoli sind die Gestalten des Mandoline spielenden Jungen und seiner in die heroische Landschaft hinausschauenden kleinen Zuhörerin äusserst poetisch, als malerische Leistung aber ist das Bild doch nicht ganz unbedingt zu gemessen. Freudigst willkommen zu heissen ist die Erwerbung zweier kleiner Bilder von Spitzweg, »Der Herr Pfarrer« und »Dorfstrasse«. Die kecken roten und blauen Tupfen auf dem ersteren unterstützen in der reizendsten Weise die Drolligkeit des Motivs. Einen reichen Zuwachs hat die Frankfurter Schule erhalten durch eine farbig reizvolle Skizze »Schneewittchen und die Zwerge« von Viktor Müller, den man bisher in Berlin vergeblich suchte, eine zarte, an Hans Thoma erinnernde Taunuslandschaft mit Wiesen und Apfelbäumen von Peter Barnitz und vor allem ein ganz hervorragendes Herrenbildnis von Wilhelm Trübner aus dem Jahre 1876. ln seiner ungemein vornehmen Zusammenstellung diskreter grüner und schwarzer Töne, aus denen die Fleischtöne, die weissen Manschetten und das rotbraune Leder des Hutes wirkungsvoll hervortreten, ist es keine günstige Nachbarschaft für die Freilichtbilder von Dettmann (Fischerkirchhof), Hans Herrmann (Fischerdorf) und Otto H. Engel (Friesische Mädchen), die daneben etwas grell und aufdringlich erscheinen. Das wertvollste von ihnen ist wohl das Dettmann’sche mit seiner feinen Regenstimmung und den orangegelben und blaulila Blumen. Eine schöne Beleuchtungsstudie ist Friedrich Kailmorgen s »An die Arbeit«, ein Fluss mit Booten im frühen Morgengrauen, mit dem sich blendendweisses elektrisches Licht und rotglühender Feuerschein mischen. Robert Weise’s »Dame in Landschaft« ist in der flüchtigen Bewegung des Vorüberschreitens, in der Farbenzusammenstellung und auch in der grosszügigen Komposition sehr wirksam. Die Linie des braunroten Berges im Hintergründe markiert sehr kräftig den Augenpunkt, beeinträchtigt aber etwas den Ausdruck des Gesichtes, das sie gewissermassen in zwei Teile schneidet.
Die Porträtsammlung der Nationalgalerie, die schon jetzt zum Teil für sich aufgestellt ist und wohl einmal ähnlich der Londoner National Portrait Gallery zu einem eigenen Institut ausgestaltet werden wird, ist um vier Werke vermehrt worden, von denen das Bildnis Friedrich Rückert’s von der noch in Weimar lebenden Malerin Bertha Froriep, das einzige authentische aus seinem Alter, wohl das wertvollste ist. Das Gneistporträt von Lepsius leidet darunter, dass es nicht nach dem Leben, sondern nach Photographien gemalt worden ist, Lenbach’s auf Bestellung des Staates gemalter Begas gehört nicht zu den Werken, die seinen Ruhm dauernd bewahren werden, und das Veitbildnis von Eduard von Heuss hat hauptsächlich historischen Wert.
Unter den Skulpturen nimmt Wilhelm von Ruemann’s sitzendes Mädchen den ersten Rang ein. Mögen die Beine und der untere Teil des Rumpfes ein wenig konventionell und nüchtern sein, der Kopf, der Hals, der Ansatz des Rückens und der Brust machen mit ihrer unendlich zarten und doch ganz individuellen Durchbildung das Werk zu einem der allerbesten, die in Deutschland in den letzten Jahren entstanden sind. Ein Meisterwerk, zu dessen Erwerbung man die Leitung der Galerie nicht minder beglückwünschen kann, ist die männliche Bronzebüste des Belgiers Lagae. Wie hier in einem momentanen Ausdruck der ganze Charakter vollkommen erschöpft wird, das findet nur bei Rodin seinesgleichen. Wieviel lebendiger und künstlerischer wirkt die impressionistische Weise Lagae’s — der übrigens zuweilen auch klassisch streng arbeitet — als die von Manier streifende Einzeldurchbildung des Italieners Canonica, dessen auf der letzten Berliner Kunstausstellung angekaufter Damenbüste deshalb durchaus nicht alles Verdienst abgesprochen werden soll. Erwähnt seien auch Max Kruse’s Holzbüste einer alten Frau, Hugo LedereFs, von einem männlichen und einem weiblichen Centaur getragene bronzene Schale und Nikolaus Friedrich s Bronzefigur »Sandalenbinder«. — Von den Erwerbungen der Handzeichnungssammlung sind zwei Blätter von Leibi, fünf von Spitzweg, eins von Schnorr, zwei heroische Landschaften von Goethe’s Freund Kniep und eine sehr duftige und zarte aquarellierte Bleistiftzeichnung von Paul Baum »Neapel« als besonders schön und charakteristisch ausgestellt worden.
o.
DER STREIT UM DAS STUTTGARTER
LUSTHAUS
Durch den Brand des Hoftheaters am 20/21. Januar vorigen Jahres sind die Reste des ehemaligen, von Herzog Ludwig von Württemberg in den Jahren 1586—93 erbauten grossen Lusthauses freigelegt worden, und sofort trat der Gedanke bei den Kunstfreunden auf, eine Wiederherstellung dieses vielbewunderten Gebäudes anzustreben. Nachdem bekannt worden war, dass sich ein Komitee, an dessen Spitze der Hofmarschall Ihrer K. Hoheit der Herzogin Eugen von Württemberg steht, gebildet hat und sich auch andere Vereine der Sache angenommen haben, bemächtigte sich die Lokalpresse der Angelegenheit und es entspann sich ein Kampf für oder gegen den Plan, der sich auch in auswärtigen Blättern fortgesponnen, dort aber zumeist in ungünstigem Sinne, das heisst gegen eine Wiederaufrichtung des Lusthauses sich ausgesprochen hat.
Dass eine Zeit, wo die Heidelberger Schlossfrage, der Streit in Meissen, der Kampf um die Hohekönigsburg u. s. w. die Gemüter in Aufregung brachte, nicht gerade günstig für einen neu auftauchenden grossen Restaurationsplan sein konnte, ist einleuchtend. Wer aber der Sache näher steht, wer die Geschichte der allmählichen Zerstörung des Lusthauses kennt, und den Wert des Gebäudes nicht allein als ein Denkmal der ausgebildetcn deutschen Renaissance, sondern als den alleinigen Vertreter einer besonderen Gattung von Gebäuden dieser Zeit, der sogenannten Lusthäuser, zu schätzen weiss, wird dem Gedanken einer Erneuerung nicht feindselig gegenüber stehen.
Dazu kommt noch, dass wir durch die aufopfernde Thätigkeit eines jungen Architekten (Beisbarth) in der glücklichen Lage sind, die genauesten Aufnahmen des ganzen Gebäudes zu besitzen und was fast noch schwerwiegender ist, wir haben nahezu vollständig den plastischen Schmuck im Original erhalten, welcher teils beim Neubau des Hoftheaters in den Jahren 1845/46, teils bei einer späteren Bauveränderung herausgenommen wurde
Die Porträtsammlung der Nationalgalerie, die schon jetzt zum Teil für sich aufgestellt ist und wohl einmal ähnlich der Londoner National Portrait Gallery zu einem eigenen Institut ausgestaltet werden wird, ist um vier Werke vermehrt worden, von denen das Bildnis Friedrich Rückert’s von der noch in Weimar lebenden Malerin Bertha Froriep, das einzige authentische aus seinem Alter, wohl das wertvollste ist. Das Gneistporträt von Lepsius leidet darunter, dass es nicht nach dem Leben, sondern nach Photographien gemalt worden ist, Lenbach’s auf Bestellung des Staates gemalter Begas gehört nicht zu den Werken, die seinen Ruhm dauernd bewahren werden, und das Veitbildnis von Eduard von Heuss hat hauptsächlich historischen Wert.
Unter den Skulpturen nimmt Wilhelm von Ruemann’s sitzendes Mädchen den ersten Rang ein. Mögen die Beine und der untere Teil des Rumpfes ein wenig konventionell und nüchtern sein, der Kopf, der Hals, der Ansatz des Rückens und der Brust machen mit ihrer unendlich zarten und doch ganz individuellen Durchbildung das Werk zu einem der allerbesten, die in Deutschland in den letzten Jahren entstanden sind. Ein Meisterwerk, zu dessen Erwerbung man die Leitung der Galerie nicht minder beglückwünschen kann, ist die männliche Bronzebüste des Belgiers Lagae. Wie hier in einem momentanen Ausdruck der ganze Charakter vollkommen erschöpft wird, das findet nur bei Rodin seinesgleichen. Wieviel lebendiger und künstlerischer wirkt die impressionistische Weise Lagae’s — der übrigens zuweilen auch klassisch streng arbeitet — als die von Manier streifende Einzeldurchbildung des Italieners Canonica, dessen auf der letzten Berliner Kunstausstellung angekaufter Damenbüste deshalb durchaus nicht alles Verdienst abgesprochen werden soll. Erwähnt seien auch Max Kruse’s Holzbüste einer alten Frau, Hugo LedereFs, von einem männlichen und einem weiblichen Centaur getragene bronzene Schale und Nikolaus Friedrich s Bronzefigur »Sandalenbinder«. — Von den Erwerbungen der Handzeichnungssammlung sind zwei Blätter von Leibi, fünf von Spitzweg, eins von Schnorr, zwei heroische Landschaften von Goethe’s Freund Kniep und eine sehr duftige und zarte aquarellierte Bleistiftzeichnung von Paul Baum »Neapel« als besonders schön und charakteristisch ausgestellt worden.
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DER STREIT UM DAS STUTTGARTER
LUSTHAUS
Durch den Brand des Hoftheaters am 20/21. Januar vorigen Jahres sind die Reste des ehemaligen, von Herzog Ludwig von Württemberg in den Jahren 1586—93 erbauten grossen Lusthauses freigelegt worden, und sofort trat der Gedanke bei den Kunstfreunden auf, eine Wiederherstellung dieses vielbewunderten Gebäudes anzustreben. Nachdem bekannt worden war, dass sich ein Komitee, an dessen Spitze der Hofmarschall Ihrer K. Hoheit der Herzogin Eugen von Württemberg steht, gebildet hat und sich auch andere Vereine der Sache angenommen haben, bemächtigte sich die Lokalpresse der Angelegenheit und es entspann sich ein Kampf für oder gegen den Plan, der sich auch in auswärtigen Blättern fortgesponnen, dort aber zumeist in ungünstigem Sinne, das heisst gegen eine Wiederaufrichtung des Lusthauses sich ausgesprochen hat.
Dass eine Zeit, wo die Heidelberger Schlossfrage, der Streit in Meissen, der Kampf um die Hohekönigsburg u. s. w. die Gemüter in Aufregung brachte, nicht gerade günstig für einen neu auftauchenden grossen Restaurationsplan sein konnte, ist einleuchtend. Wer aber der Sache näher steht, wer die Geschichte der allmählichen Zerstörung des Lusthauses kennt, und den Wert des Gebäudes nicht allein als ein Denkmal der ausgebildetcn deutschen Renaissance, sondern als den alleinigen Vertreter einer besonderen Gattung von Gebäuden dieser Zeit, der sogenannten Lusthäuser, zu schätzen weiss, wird dem Gedanken einer Erneuerung nicht feindselig gegenüber stehen.
Dazu kommt noch, dass wir durch die aufopfernde Thätigkeit eines jungen Architekten (Beisbarth) in der glücklichen Lage sind, die genauesten Aufnahmen des ganzen Gebäudes zu besitzen und was fast noch schwerwiegender ist, wir haben nahezu vollständig den plastischen Schmuck im Original erhalten, welcher teils beim Neubau des Hoftheaters in den Jahren 1845/46, teils bei einer späteren Bauveränderung herausgenommen wurde