Wie das Ächzen eines unter furchtbarem Alpdruck sich wälzenden tönt es uns aus den Werken des noch sehr jungen Österreichers Alfred Kubin entgegen, an dessen getuschten Federzeichnungen hier vor kurzem ein feinsinniger Kunstsammler mit starkem Erfolg zum Verleger wurde1). Seelisch ist die Grundlage jenes Erschrecken vor dem Leben, eine Erfahrung, die jedem feiner Geformten zwischen seinem 12. und 25. Lebensjahre eigen wird und die ihren letzten Grund darin hat, dass wir noch immer missverständlich die logischen Gesetze unserer Sprachbildung als anspruchsvolle Begriffsforderungen an die thatsächlich weder gute noch schlechte, sondern einfach bildmässig vorhandene Umwelt anlegen. Plastisch geht die Erbfolge phantastischer Grausensbildungen von Hieronymus Bosch über den ältesten Brueghel, dessen Neapler dem feuchten Tod entgegenirrende Blinden sicherlich Kubin’s warme Bewunderung wecken würden, Goya,Rops und die gedankenbeschwei teren Blätter Klinger’s. Diesen drei wurde mit Bewusstsein Einwirkung verdankt, vor allem Goya, dessen voller Nassätzungston für die Licht- und Schattenteilung der Blätter massgebend wurde. Da ist es natürlich zu rügen, dass man in Zeichnungen, die nur durch photographische Nachbildung vervielfältigt werden, die Wirkung von Radierungen nachzubilden sucht; das nächste, was dem Künstler, der ja jetzt durch verschiedenes Âusstellen und durch die Mappe einen Namen und damit freie Arme bekommen hat, obliegt, ist die Erlernung graphischer Techniken.
Betrachten wir die einzelnen Blätter, so sehen wir zunächst auf einer von Felswänden umschlossenen Bühne eine nackte magere aber junge Frauengestalt, die verhüllten Hauptes mit einer Harke die wimmelnde Ameisenschar der Menschen, wie der Croupier in Monte-Carlo das Gold, einstreicht: »Des Menschen Schicksal«. In der »Stunde der Geburtlegt an einer Mauer ein Wesen, das noch zu schwanken scheint, ob es sich für die Karriere eines Hummers oder für die einer Kreuzspinne entscheiden soll und das ausserdem an einer Art Pferdefuss laboriert, ein neues Menschenkind, wie der Fisch seinen Laich, ins Wasser. »Der Angstschrei« zeigt uns einen — wirklich ohne genügende Vorstudien gezeichneten — Tiger pfeilgetroffen, dem auf Ästen zwei condorartige Vögel zusehen: der eine mit stumpfem Glotzen, der andere mit der wissenden Miene eines häufigen Börsenbesuchers. »Das Pendel« nennt Kubin eines seiner eindrucksvollsten Stücke: ein schlangenartiges Ungetüm liegt zusammengeballt über einem Felsenthor (der Übergang vom Stein in das ungewisse Dunkel der Tiefe ist gut herausgebracht!), wo ein Mensch an dem lang herabhängenden Schwänze des Tieres mit beiden Händen ängstig sich festhält. Man fühlt, wie an der glatten trockenen Schlangenhaut die Hände langsam hinuntergleiten. Hier ist ein quälender Traum unmittelbar aufs Papier gebracht. Auf der Erde bleiben wir mit dem »Schwächling«: ein junger bartloser Mensch in einem weiten pelzbesetzten Glockenrock, die dünnen Knöchel in feine Damenschuhe, die Hände in weite Manteltaschen gesteckt, geht sorgfältig vor sich hinblickend in einem sauberen Rundwege um Hügelland. Mit einnehmender Herbheit hat der Künstler dem Jüngling etwas von den eigenen Zügen gegeben. Wenig erfreulich ist »Macht«: eine Art Robbe mit strahlend starrendem Schnurrbart, die über einem Fiaufen von verschiedenartigen, aber nicht sehr gut gezeichneten Skeletten thront; von starkem gespenstischen Eindruck aber »Epidemie«: in weiter schneebedeckter Land
1) Faksimiledrücke nach Kunstblättern von Alfred Kubin. Herausgegeben und verlegt von Hans von Weber, München 1903. Preis der Mappe (15 Blatt) 20 Mark.
schaft giesst das riesengross stapfende Skelett aus einem Sacke die giftige Saat über das Dach eines einsamen Gehöftes. Vortrefflich ist durch die Kleinheit, in der der rechts emporstarrende winterliche Wald gegen die säulenhaften Knochen des Ungeheuers erscheint, das Unermessliche der feindlichen Gewalt zum Bewusstsein gebracht. Das schwächste der Blätter ist »Hungersnot«: ein verhüllter Reiter, der einen Menschenkopf auf der eingelegten Lanze aufgespiesst hat und auf einem hinterrücks plötzlich zum Skelett werdenden Pferde dahersaust: man denke hier einmal an Dürer’s Kohlezeichnung »König Tod« oder an Böcklin! Laut und stark wirkt dagegen »der Krieg«. Ein nackter Mann, den Kopf von einem mächtigen, nur die Augen sichtbar lassenden antiken Helm verdeckt, den linken Arm im gewaltigen fast viereckigen Schilde, holt er mit der Rechten, die eine etwas billig aus einer Hantel und einem Wiegemesser zusammengesetzte Waffe hält, zum Schlage ausundhebtzugleichden unmässigangeschwollenen, unförmigen Fuss, um ein Heer, das mit fliegenden Fahnen ihm entgegenzieht, niederzustampfen. Es ist, als würden haushohe Schallbecken von ehernen Fäusten angeschlagen! »Nach der Schlacht« sehen wir eine Schar dunkler Vögel vom Seesufer sich erheben, um auf einer hellen Hügelkette sich niederzulassen, — erst bei näherem Zusehen erkennen wir unter den Formen der Hügelreihe Kopf, Arm und Brustkorb eines ungeheuren liegenden Menschen — also ein Bilderrätsel, das doch etwas arg an die Spielecke der Familienblätter gemahnt. Eine gewaltige auf freiem Felde ausgestreckte Mannesleiche begegnet uns auch in der folgenden Scene »Wissenschaft«. Ein Affe, nachdenklich die Kralle vor die kurze Stirn führend, ein dickes Buch unter dem anderen Arm, kriecht auf dem Toten herum. Das fahle Licht, das unter schwerem Dunkel her vom Horizonte auf die Brust des Liegenden fällt, wirkt künstlerisch erfreulicher als der etwas alltägliche Gedanke, der bereits in der Schülerscene des Faust zur Genüge ausgesprochen ist. Von eigenster Stimmung ist »das Grausen«. Ein Schifflein, dessen Mast zerbrach, trägt zwei dicht in ihre Mäntel gehüllte Menschen dem begrabenden Wellenberge entgegen. Da — mitten aus der Welle wächst wie ein Pilz ein riesengrosser, fast entfleischter Menschenkopf empor. Die knöchernen Kiefer verschieben sich wie im Sprechen, das rechte Auge blickt matt und wehmütig, das linke Auge aber ist in auftreibender Krankheit zu fürchterlicher Kugelgestalt angeschwollen und leuchtet in düsterstem Glanz! Ist hier bei allem Grässlichen doch nur etwas zweifellos tief Erlebtes Bild geworden, so habe ich allerdings für das folgende Blatt »Die Todesstunde« kein freundlicheres Wort als das von einem meiner Bekannten gebrauchte »Panoptikumseffekt«. An einem Turme sind unter den Ziffern einer Uhr Menschenköpfe angebracht: Bürgersmann, Bankier, Gelehrter, Dirne, Zänkerin. Der Zeiger ist ein türkischer Säbel. Mit dem Schlage der Stunde schneidet die Waffe jedesmal einen der Köpfe ab. Der fällt dann in ein unten bereitgehaltenes Netz. Wenig- Neues sagt uns »Der beste Arzt«. Eine hagere Frau mit halbnacktem Oberkörper, halbkahlem Schädel, merkwürdigerweise mit einem um den Flals gehängten Medaillon am Bande, drückt einem in weit mehr als seiner ganzen Länge ausgestreckten Mädchen, das ergeben die Hände aneinanderlegt, die Augen zu. Mit vielem versöhnt das Schlussstück der Folge: »Versunken, Vergessen«. In dunkelster Nacht sitzt ein gewaltiges steinernes Wesen, gleich einer Memnonssäule die Hände auf die Knie legend, auf niedrigem Steinblock. Graniten eckig sind Arme und Beine, in harter runder Linie gewölbt die Brust. Auf kropfigem Flalse erhebt sich ein Vogelkopf mit kühnem mächtigen Schnabel und kleinem, kaum sichtbaren Auge.
Betrachten wir die einzelnen Blätter, so sehen wir zunächst auf einer von Felswänden umschlossenen Bühne eine nackte magere aber junge Frauengestalt, die verhüllten Hauptes mit einer Harke die wimmelnde Ameisenschar der Menschen, wie der Croupier in Monte-Carlo das Gold, einstreicht: »Des Menschen Schicksal«. In der »Stunde der Geburtlegt an einer Mauer ein Wesen, das noch zu schwanken scheint, ob es sich für die Karriere eines Hummers oder für die einer Kreuzspinne entscheiden soll und das ausserdem an einer Art Pferdefuss laboriert, ein neues Menschenkind, wie der Fisch seinen Laich, ins Wasser. »Der Angstschrei« zeigt uns einen — wirklich ohne genügende Vorstudien gezeichneten — Tiger pfeilgetroffen, dem auf Ästen zwei condorartige Vögel zusehen: der eine mit stumpfem Glotzen, der andere mit der wissenden Miene eines häufigen Börsenbesuchers. »Das Pendel« nennt Kubin eines seiner eindrucksvollsten Stücke: ein schlangenartiges Ungetüm liegt zusammengeballt über einem Felsenthor (der Übergang vom Stein in das ungewisse Dunkel der Tiefe ist gut herausgebracht!), wo ein Mensch an dem lang herabhängenden Schwänze des Tieres mit beiden Händen ängstig sich festhält. Man fühlt, wie an der glatten trockenen Schlangenhaut die Hände langsam hinuntergleiten. Hier ist ein quälender Traum unmittelbar aufs Papier gebracht. Auf der Erde bleiben wir mit dem »Schwächling«: ein junger bartloser Mensch in einem weiten pelzbesetzten Glockenrock, die dünnen Knöchel in feine Damenschuhe, die Hände in weite Manteltaschen gesteckt, geht sorgfältig vor sich hinblickend in einem sauberen Rundwege um Hügelland. Mit einnehmender Herbheit hat der Künstler dem Jüngling etwas von den eigenen Zügen gegeben. Wenig erfreulich ist »Macht«: eine Art Robbe mit strahlend starrendem Schnurrbart, die über einem Fiaufen von verschiedenartigen, aber nicht sehr gut gezeichneten Skeletten thront; von starkem gespenstischen Eindruck aber »Epidemie«: in weiter schneebedeckter Land
1) Faksimiledrücke nach Kunstblättern von Alfred Kubin. Herausgegeben und verlegt von Hans von Weber, München 1903. Preis der Mappe (15 Blatt) 20 Mark.
schaft giesst das riesengross stapfende Skelett aus einem Sacke die giftige Saat über das Dach eines einsamen Gehöftes. Vortrefflich ist durch die Kleinheit, in der der rechts emporstarrende winterliche Wald gegen die säulenhaften Knochen des Ungeheuers erscheint, das Unermessliche der feindlichen Gewalt zum Bewusstsein gebracht. Das schwächste der Blätter ist »Hungersnot«: ein verhüllter Reiter, der einen Menschenkopf auf der eingelegten Lanze aufgespiesst hat und auf einem hinterrücks plötzlich zum Skelett werdenden Pferde dahersaust: man denke hier einmal an Dürer’s Kohlezeichnung »König Tod« oder an Böcklin! Laut und stark wirkt dagegen »der Krieg«. Ein nackter Mann, den Kopf von einem mächtigen, nur die Augen sichtbar lassenden antiken Helm verdeckt, den linken Arm im gewaltigen fast viereckigen Schilde, holt er mit der Rechten, die eine etwas billig aus einer Hantel und einem Wiegemesser zusammengesetzte Waffe hält, zum Schlage ausundhebtzugleichden unmässigangeschwollenen, unförmigen Fuss, um ein Heer, das mit fliegenden Fahnen ihm entgegenzieht, niederzustampfen. Es ist, als würden haushohe Schallbecken von ehernen Fäusten angeschlagen! »Nach der Schlacht« sehen wir eine Schar dunkler Vögel vom Seesufer sich erheben, um auf einer hellen Hügelkette sich niederzulassen, — erst bei näherem Zusehen erkennen wir unter den Formen der Hügelreihe Kopf, Arm und Brustkorb eines ungeheuren liegenden Menschen — also ein Bilderrätsel, das doch etwas arg an die Spielecke der Familienblätter gemahnt. Eine gewaltige auf freiem Felde ausgestreckte Mannesleiche begegnet uns auch in der folgenden Scene »Wissenschaft«. Ein Affe, nachdenklich die Kralle vor die kurze Stirn führend, ein dickes Buch unter dem anderen Arm, kriecht auf dem Toten herum. Das fahle Licht, das unter schwerem Dunkel her vom Horizonte auf die Brust des Liegenden fällt, wirkt künstlerisch erfreulicher als der etwas alltägliche Gedanke, der bereits in der Schülerscene des Faust zur Genüge ausgesprochen ist. Von eigenster Stimmung ist »das Grausen«. Ein Schifflein, dessen Mast zerbrach, trägt zwei dicht in ihre Mäntel gehüllte Menschen dem begrabenden Wellenberge entgegen. Da — mitten aus der Welle wächst wie ein Pilz ein riesengrosser, fast entfleischter Menschenkopf empor. Die knöchernen Kiefer verschieben sich wie im Sprechen, das rechte Auge blickt matt und wehmütig, das linke Auge aber ist in auftreibender Krankheit zu fürchterlicher Kugelgestalt angeschwollen und leuchtet in düsterstem Glanz! Ist hier bei allem Grässlichen doch nur etwas zweifellos tief Erlebtes Bild geworden, so habe ich allerdings für das folgende Blatt »Die Todesstunde« kein freundlicheres Wort als das von einem meiner Bekannten gebrauchte »Panoptikumseffekt«. An einem Turme sind unter den Ziffern einer Uhr Menschenköpfe angebracht: Bürgersmann, Bankier, Gelehrter, Dirne, Zänkerin. Der Zeiger ist ein türkischer Säbel. Mit dem Schlage der Stunde schneidet die Waffe jedesmal einen der Köpfe ab. Der fällt dann in ein unten bereitgehaltenes Netz. Wenig- Neues sagt uns »Der beste Arzt«. Eine hagere Frau mit halbnacktem Oberkörper, halbkahlem Schädel, merkwürdigerweise mit einem um den Flals gehängten Medaillon am Bande, drückt einem in weit mehr als seiner ganzen Länge ausgestreckten Mädchen, das ergeben die Hände aneinanderlegt, die Augen zu. Mit vielem versöhnt das Schlussstück der Folge: »Versunken, Vergessen«. In dunkelster Nacht sitzt ein gewaltiges steinernes Wesen, gleich einer Memnonssäule die Hände auf die Knie legend, auf niedrigem Steinblock. Graniten eckig sind Arme und Beine, in harter runder Linie gewölbt die Brust. Auf kropfigem Flalse erhebt sich ein Vogelkopf mit kühnem mächtigen Schnabel und kleinem, kaum sichtbaren Auge.