so würden wir bei dem starken Liniengefühl des Künstlers bald eine Anzahl trefflicher Drucke von edler Materialwirkung erwarten können. — Bei weitem grösser ist ein Brustbild im Profil mit nach rechts hin erhobenem Kopf. Der unruhige Blick, die stark vorschwellende Stirn, das reich zurückgewellte Haar, die Betonung des Knochenbaues: all das drückt eine gewaltige, mit Hindernissen kämpfende Willenskraft aus; an die gehemmten Kaskaden von Beethoven’s dritter Leonore werden wir gemahnt. Im Hindergrunde steht hier Venedigs Colleoni, der Mann mit der Hand am Zügel. — Ruhiger, versöhnter blickt der Dichter auf einem auch im äusseren Abschluss sehr gelungenen Rundblatte. Wieder in Seitenansicht ist das Haupt nach links gekehrt, leicht von der schlanken feinen Hand gestützt. Das Haar ist als volle, schwere, seidige Masse zurückgekämmt. Es ist ein Augenblick ruhigen Zuhörens. Vandyckische Vornehmheit ist diesem Werke eigen. Auch an van Dyck, an das Bild, wo er Karl I. in drei Ansichten auf einer Leinwand abmalte, lässt eine Lithographie Bauer’s denken, wo die Züge Ricarda Huch’s, der Dichterin, die ihre Romane den Schmetterlingen und Mücken, die an der Lampe des schönen Lebens ihre Flügel versengen, widmet, in siebenfacher Ausfertigung je nach den schnell verhuschenden Stimmungen der geistvollen Frau festgehalten sind. Das Hauptbild, in Vorderansicht, ist auf dem breiten Blatte links unten angebracht, die anderen Aufnahmen, mehr oder weniger schattenhaft, geschickt im Raume verteilt. Gewiss würde der geistreiche Einfall, der dieser Komposition zu Grunde liegt, bei häufiger Ausführung von seinem Reiz verlieren. Artistischer wirkt sicher ein ganz kleines Blatt, auf dem dieselbe Frau in Dreiviertelansicht, mit müder Überlegenheit den Beschauer anblickend, den Kopf in die behandschuhte Linke stützend, vor einer Flusslandschaft erscheint. — Mit noch zwei Frauenbildem sei die Auswahl aus dem schon sehr stattlichen graphischen Werk Bauer’s abgeschlossen. Auf dem einen sehen wir Diana mit der Mondsichel im Haar. Die kräftig reinen Züge im Profil, das Auge ruhig ins Weite blickend. Wie man am Ansatz der Arme erkennt, hat die Jägerin eben den Pfeil auf das enteilende Wild abgeschnellt. Das Haar, ganz als dunkle Masse behandelt, flutet gross und reich zurück. Das irdische Vorbild für dieses Blatt, dessen einfacher grossgeschwungener Linienfluss so recht der Gemütsart des Künstlers entspricht, bot Berta Morena, Münchens zur Zeit beliebteste jugendlich dramatische Sängerin, eine Landsmännin Bauer’s und eine Künstlerin, die stark und sicher ihre Aufgaben erfasst. — Das andere Stück — eine der wenigen mehrfarbigen Lithographien Bauer’s, mit glücklicher warmer Wirkung aus zwei braunen und einer graublauen Platte gedruckt — spiegelt eine Pariser Erinnerung wieder. Es ist ein junges Mädchen im Hut, das wie im Vorübergehen sich umwendet und uns anblickt. Wie klar ist die kurze gerade Stirn, wie reizvoll die kleine geradlinig gezeichnete Nase! Die vollen leicht vorgeschobenen Lippen, das runde stark vorgeführte Kinn erzählen von allzu frühen Küssen. Die Wange, trotz ihres natürlichen Rot, ist nicht straff gespannt und das schöne blaue Auge, blau unterrändert, spricht bei aller Koketterie des Blickes von stillem Leiden. Es ist eine von jenen Vielen, Vielen, die vorübertanzen im wilden heiligen Tanze von Paris und bald hinsiuken. Goethisches Verstehen schuf auch dieses Blatt.
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Zeigte Lugo uns in Wald und Berg das freundliche immerrege Leben, führt Kubin uns durch die Schrecken unserer schlimmsten Nächte, giebt Bauer den starken und schönen in sich selbst ruhenden Menschen, so lässt
Giovanni Segantini in seinen besten Bildern einfaches Menschenwesen in innigster Verschlingung mit einer grossen und herben, klaren und kalten, siegreich leuchtenden Natur schauen. Wie der Professor Nietzsche auf Sils- Maria zum Zarathustra wurde, so flüchtete der im weichen lungenfreundlichen Arco Geborene »schwülen Niederungen feind« hinauf in den Engadin, ins oberste Stockwerk Europas. Im Januar war hier viel von dem dreivölkischen Maler die Rede: das grosse vom österreichischen Kultusministerium herausgegebene Denkmalwerk über ihn war erschienen, die »Jugend« hatte eine Anzahl der Abbildungen benutzen dürfen und eine Segantini-Nummer herausgebracht, die schnell überallhin ihren Weg fand, und die trefflich geleitete Kunsthandlung Heinemann zeigte eine gut gewählte Reihe seiner Bilder, bei deren, soweit sie verkäuflich waren, morganischen Preisen man ein angenehmes Gruseln empfinden durfte. Merkwürdig war es zu erkennen, wie der Meister angefangen hat: mit schwerem Courbet’schen Ton, mitunter italienisch süsslich im Motiv: ein junges kräftiges Paar am Zaune im Liebesgespräch. Im Hintergrund aber ein vortrefflich erfasster Ort am Wasser: die Turmspitzen und Mauerflächen leuchten, ganz einfach hingesetzt, in letzter Dämmerung und spiegeln sich. Aus derselben Zeit eine silberige, etwas nassfarbige Mondscheinstudie: Hirt und Hirtin an der Tränke. — Wieder zu sehen war das grosse, oft ausgestellte Hauptwerk »Zwei Mütter«, im Titel wie im Motiv — eine junge Frau sitzt abends bei der Kuh im Stalle — etwas absichtsvoll, stark im Licht, in den Fleischtönen aber doch trotz der Erklärung durch die Lampe zu rötlich. Deutlich sieht man hier die eigentümliche — heute trotz Michetti und Mancini in ganz Italien adoptierte — Auftragsweise seiner Meisterzeit; man fühlt sich unfreiwillig an die Fäden des Parmesankäses in den Suppen des schönen Landes erinnert. Rein und klar, stark im Blau und Grün erschien wieder: die Ziegenhirtin an der Weidenhecke (Galerie Knorr). Zu den zu sehr gewollten Werken des Künstlers rechne ich noch die dunkle Selbstporträtzeichnung: eine vorhandene eigene Schönheit ist da bewusst zu einer romantischen Christusmaske gesteigert. Das schönste von Segantini’s allegorischen Bildern ist wohl trotz der Schwächen der Zeichnung die Morgenröte, weil hier einfach das Naturschauspiel zu einer in roten Schleiern daherschwebenden dunstig umrissenen Frauengestalt verdichtet wurde: sie ist wie aus der zu ihren Füssen liegenden Gebirgslandschaft herausgewachsen. Die Umrissform des Bildes — ein nach links geneigtes Oval — dürfte nicht allzuhäufig Vorkommen. Am stillsten und eindringlichsten wirkten: die Rückkehr in den Stall, mit den im Hintergrund aufblitzenden ersten Abendlichtern und die Zeichnungen: St. Moritz bei Nacht, ohne Farbe und doch mit der ganzen Feerie des Lichtes, dann: ein Mann und ein Weib, die in Dämmerluft mit dem Reisig auf dem Rücken nach den Flütten zurückwandern, gross und feierlich in jeder Linie. Endlich: die Schafschur. Ein ganz kleines Blatt. Nur ein alter Mann mit seinem Tier, über das er in der Arbeit sich beugt. Durch das Fenster dann noch ein Landarbeiter und ein Mädchen, die hineinsehen. Aber ein homerisches Bild.
Segantini ist nicht ganz bis zu jener grossen anethischen Kunst eines Vermeer van Delft gekommen, die das äussere Dasein bis in die letzten Poren mit eigenem Geist, mit eigenem Leben fast unmerklich durchdringt und es dann befreiend als etwas, das man besitzen kann, wieder darreicht, und die am höchsten sich offenbart in dem Frankfurter »Geographen« in dem »Maler und seiner Museder Wiener Czerningalerie, aber auf diesem Wege steht er.
Auch ausser den Segantinis bot Heinemann’s Januar
ausstellung Hervorragendes: von Trübner den Knaben,