KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13
Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 20. 27. März.
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
HOLLÄNDISCHER BRIEF
Dass das holländische Kunstleben ein sehr reges ist — wenigstens insoweit es sich nach aussen hin quantitativ äussert — ist auch diesen Winter wieder sehr deutlich geworden.
Die grosse Anzahl von Ausstellungen aller Art, die Zunahme der Kunsthändler und der bildenden Künstler sind die deutlichsten Beweise dafür. Die Frage jedoch, ob die holländischen bildenden Künste nun auch qualitativer denselben Fortschritt machen, lässt sich nicht in einem Satz beantworten.
Im allgemeinen glauben wir jedoch sagen zu dürfen, dass wir uns unserer jetzigen Leistungen in dieser Hinsicht nicht zu schämen brauchen. Im Kunstgewerbe wie in der Malerei behauptet Holland auch am Anfang des 20. Jahrhunderts eine hervorragende Stelle, während es jetzt auch auf dem Gebiete der Bildnerei bedeutende Meister aufzuweisen hat: Ch. van Wyck, Odé, Dupuis, Mendes da Costa wohl in erster Linie.
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, alle Ausstellungen zu nennen, welche in den letzten Monaten in Amsterdam, Haag, Rotterdam u. s. w. stattfanden, zumal da keine von so grosser allgemeinen Bedeutung war, wie z. B. die früher hier besprochene Breitner-Ausstellung in Amsterdam, welche es vielen unter uns Holländern plötzlich klar machte, welch einen grossen, kräftigen Hauptmeister die jüngere Generation besitzt.
Dem Breitner in einigen Hinsichten ebenbürtig ist Isaac Israëls, der Sohn des Nestors der holländischen Malerschule Josef Israëls. Von Isaac’s Arbeiten veranstaltete die Kunsthandlung Buffa in Amsterdam eine Kollektiv- Ausstellung seiner bedeutendsten Werke, in denen namentlich Städteansichten mit dem Leben und Treiben des niederen Volkes in kräftiger impressionistischer Weise geschildert sind. Im Aquarell ist Isaac Israëls vor allen Dingen ein Meister ersten Ranges, obwohl er dem grossen Publikum wohl in seinen meisten Arbeiten ganz unverständlich bleiben wird.
Dieselbe Kunsthandlung zeigte uns später eine anmutige Ausstellung von Arbeiten des holländischen Radierers Graadt van Roggen. Er ist ein sehr hervorragender Künstler in seiner Art. Die Gediegenheit seiner sauberen Technik, die Sanftheit seiner Linienführung und vor allen Dingen das feine Gefühl für die holländische Atmosphäre in der Landschaft, welches aus allen seinen Arbeiten — am meisten wohl aus seiner grossen Radierung nach Ruisdael’s Ansicht von Haarlem — deutlich zu Tage tritt, machen uns diesen Meister zu einem der am meisten sympathischen Figuren unserer heutigen Schule.
Neben Ausstellungen von Werken des Tiermalers van
Oort in Amsterdam, des Landschaftsmalers Coert und des Porträtmalers Gratama in Rotterdam, und des wehmütig märchenhaft gestimmten Daalhoff in Leiden, auf die wir nicht eingehen können, erwähnen wir nur der zweiten Gruppenausstellung des Malervereins Pulchri Studio im Haag.
Dieser Verein veranstaltet eine Reihe von Ausstellungen, jede eine Anzahl von Künstlern umfassend, welche je für sich eine Gruppe ihrer Arbeiten ausstellen. Auf der letzten Ausstellung waren in der Malerei Porträt und Landschaft in erster Linie vertreten. Letztere hatte jedoch nicht gar zu grosse Bedeutung. War doch der berühmte Duchattel nur mit mässigen Arbeiten vertreten. Schöne Sachen hingegen sandten Gruppé und Gorter. Ersterer hat eine besonders frische Technik und einen feinen Sinn für die Wahl des landschaftlichen Gegenstandes, was seiner Arbeit fast immer etwas Anmutiges giebt, wenn er wenigstens nicht allzu »flott« malt. Gorter, welcher in letzter Zeit auch in Deutschland mehr bekannt geworden ist — wurde doch eines seiner Bilder für das Museum in Krefeld erworben — war mit einigen sehr gut gelungenen Baumlandschaften vertreten. Namentlich fiel uns eine Studie auf aus dem »Haagschen Bosch«, in welcher die Reflexe des Sonnenlichtes auf den Baumstämmen und dem Boden, wie auch die Spiegelung im Wasser vorzüglich gemalt war.
Unter den Bildnissen dieser Ausstellung waren die des Haverman der Glanzpunkt. Dieser Künstler, welcher der jüngeren Generation angehört, ist nach Israëls mit Josselin de Jong und Jan Veth zu den besten Porträtmalern Hollands zu rechnen. Das Damenbildnis dieser Ausstellung war von vortrefflicher, frischer Technik, in feinnuancierten ruhigen Farben von vornehmer Haltung und grosser Lebenswahrheit. Sein Porträt des Leydener Universitätsprofessors Rosentein war vielleicht noch besser, weil da schwierigere Aufgaben zu lösen waren. Jedenfalls war es für uns ein Genuss, Haverman’s Arbeiten zu sehen.
Zwei weit jüngere Porträtmaler, Buisman und Gratama, hatten auch ausgestellt. Mir war die Arbeit des ersteren bis jetzt nur durch einzelne, kleinere Bildnisse bekannt und ich glaube kaum, dass Buisman bis jetzt — ausser in Künstlerkreisen — genug der Anerkennung gefunden hat, wie die Arbeit dieses jungen Künstlers unserer Meinung nach wert ist. Diese Ausstellung jedoch wird in manchem einen unerwarteten Eindruck des besonderen Temperamentes dieses jungen Malers wachgerufen haben. Nicht nur sein gefühlvolles »nähendes Mädchen«, welches in feinem blonden Ton gemalt ist, war uns ungemein sympathisch, sondern auch einige seiner kräftigeren Porträts, von denen wohl das »Bildnis von des Malers Vater« das beste und überhaupt das hervorragendste seiner Gesamtarbeit, ja sogar eines der besten Werke dieser Ausstellung war.