Deuischland unbekannter Künstler, hat einige Zeichnungen und Aquarelle, sowie eine Anzahl landschaftliche Studien aus dem Delphinat in der Galerie des artistes modernes ausgestellt. Am merkwürdigsten und besten sind seine Zeichnungen, in denen er ersichtlich bei den primitiven Vlamen gelernt hat. Sowohl in der sorgfältigen Ausführung auch der kleinsten Einzelheiten, wie in den Motiven und dargestellten Gegenständen erinnert er an van Eyck, van der Weyden und Quentin Massys. Wie das aber bei uns Epigonen natürlich ist, fehlt ihm der innere Gehalt, die keusche Frömmigkeit und kindliche Seelenreinheit dieser grossen Vorfahren und das lässt sich auch durch die sauberste Zeichnung und sorgfältigste Komposition nicht ersetzen. Seine kleinen Ölbilder aus dem Delphinat stellen Gebirgspartien dar, zumeist in einer etwas gewaltsamen Fremdartigkeit der Farbengebung, mitunter aber die banalsten Brettbildchen ins Gedächtnis zurückrufend, die in der Schweiz auf Bahnhöfen und Dampfern den Touristen für wenige Kreuzer angeboten werden.
Ebenfalls in der Galerie des artistes modernes hat Legoüt-Gerard eine Sonderausstellung veranstaltet. Er ist einer der interessantesten jüngeren »Bretonen« und stellt die Märkte und Häfen der Bretagne mit energischer Treue in Strich und Farbe dar. Dabei hat er sich dermassen in die bretonische Atmosphäre eingelebt, dass sie ihm nun gleichsam im Blute steckt, und er sie auch da wiederfindet, wo sie in Wirklichkeit nicht zu Hause ist. So hat er einige Ansichten aus Venedig gemalt, die ganz in bretonischer Luft standen, so gut sie sonst auch sind. Legoüt- Gerard mag sich damit trösten, dass es anderen Malern nicht besser geht: Thaulow war vor einigen Jahren in Italien und brachte einige Bilder aus Verona mit, die ganz und gar nordisch aussahen und sich durchaus als Landsleute seiner nordfranzösischen und norwegischen Flussbilder präsentierten; der Engländer Sickert stellte vor einiger Zeit yenetianische Bilder aus, deren Atmosphäre mit der seiner englischen und nordfranzösischen Ansichten durchaus identisch war, und auch Cottet hat ein Venedig gemalt, das ebensogut in Concarneau oder sonst einem bretonischen Seestädtchen liegen könnte.
Sickert bringt mich zu der räumlich grössten Ausstellung, die bisher ihre Thore geöffnet hat, zu den Unabhängigen. Vorher hat allerdings auch schon eine Ausstellung stattgefunden, deren Katalog die Zahl zweitausend erreichte, aber ich habe meine Leser damit nicht ermüden wollen: die Gesellschaft der weiblichen Maler und Bildhauer ist zwar offiziell anerkannt, und der Präsident der Republik eröffnet ihre Ausstellungen, aber es lohnt sich wirklich nicht, sich durch dieses Meer von Schund durchzuarbeiten, um unter tausend Nummern vielleicht eine einzige gute zu finden. An Schund fehlt es auch bei den Unabhängigen nicht, aber man findet doch hie und da eine wirkliche Perle, die des Aufhebens wert ist und die Mühe reichlich lohnt. Um ordentlich unabhängig zu sein, haben die Unabhängigen jede Jury abgeschafft: wer immer zehn Franken bezahlt, kann ein Bild oder eine Skulptur bei ihnen ausstellen; wer zehn Bilder schicken will, muss hundert Franken zahlen. Nichts kann einfacher und glatter sein. Dass unter diesen Umständen neun Zehntel der ausgestellten Arbeiten einfach unter aller Kritik sind, ist selbstverständlich: das Publikum drängt sich um diese Sachen, die an die Schulhefte unserer Jugend erinnern, und hält sich den Bauch über die darin zur Schau gestellte, oft jedes Mass und jeden Begriff übersteigende Unbeholfenheit und Naivetät. Die allermeisten hier gezeigten Kunstwerke aber sind ganz einfach schlecht, mittelmässig und langweilig, und man kann sich über sie weder freuen, noch sich für sie interessieren.
Dann aber ist da ein kleines Häuflein, das Häuflein der Leute, für die man die Unabhängigen überhaupt gegründet hat, also die Neuerer, die mit ihren Neuerungen keinen Einlass in die obrigkeitlich anerkannten Ausstellungen finden konnten. Viele dieser Leute sind wirklich das, was man hierzulande »fumistes« nennt: sie sind durchaus nicht von der heiligen Wahrheit ihres Strebens überzeugt, sondern sie wollen nur um jeden Preis die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen. Um das fertig zu bringen, stellen sie die absonderlichsten Themen in der abenteuerlichsten Weise dar. Oft haben sie Talent, aber sie missbrauchen es in einer Weise, die man bedauern müsste, wenn man nicht darüber lachen könnte. Zu diesen Charlatanen der Kunst wage ich es, den Norweger Eduard Munch zu rechnen, der diese unabhängigen Ausstellungen zu beschicken pflegt und auch heuer mit einem halben Dutzend ebenso bizarrer wie hässlicher und geschmackloser Bilder vertreten ist. Das ist das allerschlimmste an diesen, vermutlich nicht unbegabten Leuten, dass sie die Absonderlichkeit im Geschmacklosen suchen. Da gefällt mir Odilon Redon doch besser, denn der sucht doch wenigstens harmonische Farbenschönheit, indem er seinen phantastischen Träumereien nachgeht. Munch aber malt z. B. ein abscheuliches Weib mit einem toten Säugling auf dem Schosse. Die kleine Leiche ist erstens dermassen verzeichnet, dass sie den Beschauer glauben macht, Munch habe niemals mit gesunden Augen ein totes oder lebendiges Kind gesehen, und dann hat der Maler die weisse Haut mit roten Punkten übersät, die vermutlich ein Krankheitssymptom darstellen und geradezu ekelhaft wirken.
Munch ist nicht der einzige »Unabhängige«, der das Ziel der Kunst in Disharmonie und Kakophonie erblickt, aber er ist doch wirklich der tüchtigste darin: die Franzosen haben zuviel Gefühl für Mass und Schönheit in den Knochen, um erfolgreich mit dem Norweger konkurrieren zu können. Sie verlegen sich eher darauf, eine bereits anerkannte Richtung durch Übertreibung ad absurdum zu führen. So giebt es hier einige zwanzig »Punktierer«, deren Gemälde einfach Mosaiken sind und zwar sehr grobe Mosaiken, so dass man die einzelnen Farbenflecke noch auf hundert Meter Entfernung deutlich und getrennt erblickt. Andere Leute sind Propheten, die wie Merodack- Jeaneau, der einstige Kamerad Odilon Redon’s bei den Rosenkreuzern, in der geheimnisvollsten und unverständlichsten Art orakeln. Man könnte über diese Leute, deren Kunst immer mehr oder weniger »Iitterarisch« ist, dicke Bücher machen mit lauter seitenlangen Phrasen, aber was würde dabei der Leser gewinnen?
Sehen wir uns lieber die paar Leute an, die man ernst nehmen muss: da ist vor allen der obenerwähnte Engländer Sickert, der ausser einigen hübschen Landschaften ein grosses Damenbildnis geschickt hat, eine vorzügliche, sehr talentvolle Arbeit. Die Farben sind ganz matt und flach abgetönt und in breiten Flächen nebeneinandergesetzt, und mit Meergrün, Schieferblau und blassem Ziegelrot hat der Maler äusserst diskrete und vornehme Harmonien erzielt. Forain, der bekannte satirische Zeichner, ist mit vier Ölgemälden vertreten. Die Ähnlichkeit Forain’s als Maler mit Daumier ist mir nie so deutlich geworden wie hier. Wie Daumier bevorzugt er düstere Farben, denen er scharfe Lichter aufsetzt, und wie bei Daumier treten bei ihm die Figuren äusserst plastisch heraus. Ferner haben beide auch in ihren Ölgemälden etwas Karikaturenmässiges, hervorgerufen durch die überaus scharfe Charakterisierung ihrer Modelle, und schliesslich sucht Forain, wie vor ihm Daumier, seine Themen sehr häufig im Palais de Justice bei den Advokaten. Felix Vallotton kommt mir