KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13
Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 22. 17. April.
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
AUS DER WIENER SECESSION
Von Ludwig Hevesi
Dieser Tage ist die XVII. Ausstellung der Secession eröffnet worden. War die vorige reines Ausland, und zwar ein ganzes Panorama des westeuropäischen Impressionismus, so ist die jetzige ganz aus eigenen Kräften bestritten. Trotzdem ist sie recht stark ausgefallen und bietet sogar manches Überraschende. Die Anordnung ist wieder neuartig. An zwei grössere Räume fügen sich ringsum dreizehn Kabinette und in jedem hat sich ein einziger Künstler häuslich eingerichtet. Dadurch steht er ganz auf eigenen Füssen, ungestärkt und ungeschwächt von mitthuender Nachbarschaft. Einzelkraft statt Gruppenkraft — da lässt sich sicher messen und wägen. Nur der erste Raum ist im besonderen Sinne raumkünstlerisch gestaltet und zwar durch den Architekten Josef Hoffmann. Ein rechteckiger Salon mit dreiseitiger Nische an der Rückwand, die Wände senkrecht gestreift durch breite Bretter in abwechselnd mattbläulichen und mattgelblichen Tönen, oben ringsum ein japanischer Fries, von Franz Hohenberger, dem in Japan Gewesenen, gemalt (für den japanischen Konsul Felix Fischer). Der Fries ist hübsch, mit seinen Holzbauten in Rot und Gold, den Reihen junger Frauen, die auf dem Samizen (der japanischen Laute) spielen, und an der einen Wand einem ganzen japanischen Publikum, das von der Galerie herabschaut, wie bei Paolo Veronese in Villa Masèr und anderwärts. Der Saal enthält neben sehr drastischen Skulpturen von Luksch (eine keck bewegte Tanzbeinschwingerin in Bleiguss vorzüglich) den hochmodernen Säulenbrunnen Hoffmann’ s, mit einem Kreise dunkelbronzener Figürchen von Luksch um das obere Becken; man kennt das anmutige Werk von Düsseldorf her. ln dem breiten Saale dahinter fällt vor allem das neueste ansehnliche Aquarell des einundneunzigjährigen Rudolf von Alt (bezeichnet 1903) auf. Dieser förmlich schon Prähistorische hat noch die Kraft, einen solchen tiefgestimmlen, detailreichen Farbenfleck an die Wand zu setzen. Ausgehen kann er nicht mehr, aber er schaut zum Fenster hinab, in jenen Gerümpelhof der Kitschelt’- schen Eisengiesserei, den er schon wiederholt gemalt hat. Da dunkelt allerlei regelwidriges Winkelwerk, eine düstere Hinterhausslimmung, in der Lastwagen beladen werden, Rost in allen Farben an altem Eisen frisst und Fabrikrauch in dicken Schwaden durch die Luft nebelt. Das alles, das Zeichnerische wie das Malerische, hat Alt mit einer Verve festgehalten und bildmässig gegliedert, dass man seinen Augen nicht traut. Gegenüber hängen die drei neuesten Bilder Gustav Klinit’s. (Zwei wurden sofort angekaufl.) Das eine heisst »Irrlichter«. Es ist ein mässig grosser quadratischer Farbenfleck von jener eigen
tümlichen nur-Klimt’schen Wirrwarrstimmung, in der sich weibliche, tierische, anatomische, atmosphärische Elemente wirklich elementar zusammenzubrauen scheinen. Augen, Lippen, Haarflechten, steigende Luftblasen, wehendes Etwas, huschendes Dingsda, Unbestimmt-Unbestimmbares und wiederum Erkennbar-Deutliches in einem ornamental neckenden, lockenden Ensemble. Sinnenmalerei für Sinne. Das Bild ist in einen breiten, flachen, hellbronzenen Quadratrahmen gefasst, so dass man ein Fenster zu sehen meint, an dem sich draussen ein dämmeriges Gewühl von anonymen Dingen vorbeitummelt. Die beiden anderen Bilder sind grössere Landschaften aus der Atterseegegend: ein hellstämmiger Buchenwald, in den von rückwärts die Morgensonne hereinsprüht, und ein blühender Anger voll bunten Blumenzeugs.
Sehr bedeutend tritt hier auch Josef Engelhart hervor. Er hat einen Einbau mit grossen Malereien aus dem Wiener Volksleben gefüllt und in dieses Leben schaut von aussen die grosse Bronzestatue hinein, die er, der Maler, für das Grab seines Vaters, eines reichen Wiener Fleischhauers der guten altbürgerlichen Art, modelliert hat. (Gegossen von Frommet in Wien.) Diese Kraftfigur voll Nerv und Muskel ist der trauernde Sohn; ein nackter Jüngling, aufrecht, ein langes Laken emporhaltend, um sich die Augen zu trocknen. Man ist überrascht von dieser starken plastischen Kunstprobe. Er hat übrigens schon viel Plastik geschaffen. So in seinem eigenen Hause die Holzstatuen Adam und Eva an dem bekannten Kamin, allerlei Bronzereliefs an vielbesprochenen Paravents, und an dem Wandausschnitt seines Speisesaales zwei Zwickelfiguren, einen Marabu (Lindenholz) und einen hockenden Affen (Nussholz), alles leicht angefärbt. Er studiert die Tiere mit Passion in der Schönbrunner Menagerie, und Kleinigkeiten, wie die Maske oder die Greifhand eines Affen, mit äusserster Wahrheit gegeben, sind in Bronze gegossene Kabinettstücke seines Heinis. Die jetzt ausgestellten Bilder zeigen malerisch einen grossen Fortschritt, nämlich als Übergang von früherer zierlicherer Weise zur saftigen, wuchtigen Volksmalerei. Das beste Stück ist eine Scene vom populären Kostümball in der »Gartenbaugesellschaft«. Im Vordergrund schwingt sich ein lebensgrosses Pärchen in stark »schieberisch« geartetem Walzer. Die von rückwärts gesehene Dame, augenscheinlich Küchenfee, ist ein gelindes Überweib von rot angelaufenen Überformen, die aus dem tiefen Décolleté eines kurzen giftgrünen Atlaskleides hervorquellen. Dieses knallende Grün haben auch die Ballstiefeletten. Und hinter diesem fastnachtsmässigen Rot-und-Grün dunkelt die Figur des Tänzers, in einem langstielig-stumpfwinkligen Kontur von unnachahmlichem Lokaltypus, mit einem gewissen schwarzrasierten Kinn, das mit einem auch nur in Wien bekannten
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13
Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 22. 17. April.
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
AUS DER WIENER SECESSION
Von Ludwig Hevesi
Dieser Tage ist die XVII. Ausstellung der Secession eröffnet worden. War die vorige reines Ausland, und zwar ein ganzes Panorama des westeuropäischen Impressionismus, so ist die jetzige ganz aus eigenen Kräften bestritten. Trotzdem ist sie recht stark ausgefallen und bietet sogar manches Überraschende. Die Anordnung ist wieder neuartig. An zwei grössere Räume fügen sich ringsum dreizehn Kabinette und in jedem hat sich ein einziger Künstler häuslich eingerichtet. Dadurch steht er ganz auf eigenen Füssen, ungestärkt und ungeschwächt von mitthuender Nachbarschaft. Einzelkraft statt Gruppenkraft — da lässt sich sicher messen und wägen. Nur der erste Raum ist im besonderen Sinne raumkünstlerisch gestaltet und zwar durch den Architekten Josef Hoffmann. Ein rechteckiger Salon mit dreiseitiger Nische an der Rückwand, die Wände senkrecht gestreift durch breite Bretter in abwechselnd mattbläulichen und mattgelblichen Tönen, oben ringsum ein japanischer Fries, von Franz Hohenberger, dem in Japan Gewesenen, gemalt (für den japanischen Konsul Felix Fischer). Der Fries ist hübsch, mit seinen Holzbauten in Rot und Gold, den Reihen junger Frauen, die auf dem Samizen (der japanischen Laute) spielen, und an der einen Wand einem ganzen japanischen Publikum, das von der Galerie herabschaut, wie bei Paolo Veronese in Villa Masèr und anderwärts. Der Saal enthält neben sehr drastischen Skulpturen von Luksch (eine keck bewegte Tanzbeinschwingerin in Bleiguss vorzüglich) den hochmodernen Säulenbrunnen Hoffmann’ s, mit einem Kreise dunkelbronzener Figürchen von Luksch um das obere Becken; man kennt das anmutige Werk von Düsseldorf her. ln dem breiten Saale dahinter fällt vor allem das neueste ansehnliche Aquarell des einundneunzigjährigen Rudolf von Alt (bezeichnet 1903) auf. Dieser förmlich schon Prähistorische hat noch die Kraft, einen solchen tiefgestimmlen, detailreichen Farbenfleck an die Wand zu setzen. Ausgehen kann er nicht mehr, aber er schaut zum Fenster hinab, in jenen Gerümpelhof der Kitschelt’- schen Eisengiesserei, den er schon wiederholt gemalt hat. Da dunkelt allerlei regelwidriges Winkelwerk, eine düstere Hinterhausslimmung, in der Lastwagen beladen werden, Rost in allen Farben an altem Eisen frisst und Fabrikrauch in dicken Schwaden durch die Luft nebelt. Das alles, das Zeichnerische wie das Malerische, hat Alt mit einer Verve festgehalten und bildmässig gegliedert, dass man seinen Augen nicht traut. Gegenüber hängen die drei neuesten Bilder Gustav Klinit’s. (Zwei wurden sofort angekaufl.) Das eine heisst »Irrlichter«. Es ist ein mässig grosser quadratischer Farbenfleck von jener eigen
tümlichen nur-Klimt’schen Wirrwarrstimmung, in der sich weibliche, tierische, anatomische, atmosphärische Elemente wirklich elementar zusammenzubrauen scheinen. Augen, Lippen, Haarflechten, steigende Luftblasen, wehendes Etwas, huschendes Dingsda, Unbestimmt-Unbestimmbares und wiederum Erkennbar-Deutliches in einem ornamental neckenden, lockenden Ensemble. Sinnenmalerei für Sinne. Das Bild ist in einen breiten, flachen, hellbronzenen Quadratrahmen gefasst, so dass man ein Fenster zu sehen meint, an dem sich draussen ein dämmeriges Gewühl von anonymen Dingen vorbeitummelt. Die beiden anderen Bilder sind grössere Landschaften aus der Atterseegegend: ein hellstämmiger Buchenwald, in den von rückwärts die Morgensonne hereinsprüht, und ein blühender Anger voll bunten Blumenzeugs.
Sehr bedeutend tritt hier auch Josef Engelhart hervor. Er hat einen Einbau mit grossen Malereien aus dem Wiener Volksleben gefüllt und in dieses Leben schaut von aussen die grosse Bronzestatue hinein, die er, der Maler, für das Grab seines Vaters, eines reichen Wiener Fleischhauers der guten altbürgerlichen Art, modelliert hat. (Gegossen von Frommet in Wien.) Diese Kraftfigur voll Nerv und Muskel ist der trauernde Sohn; ein nackter Jüngling, aufrecht, ein langes Laken emporhaltend, um sich die Augen zu trocknen. Man ist überrascht von dieser starken plastischen Kunstprobe. Er hat übrigens schon viel Plastik geschaffen. So in seinem eigenen Hause die Holzstatuen Adam und Eva an dem bekannten Kamin, allerlei Bronzereliefs an vielbesprochenen Paravents, und an dem Wandausschnitt seines Speisesaales zwei Zwickelfiguren, einen Marabu (Lindenholz) und einen hockenden Affen (Nussholz), alles leicht angefärbt. Er studiert die Tiere mit Passion in der Schönbrunner Menagerie, und Kleinigkeiten, wie die Maske oder die Greifhand eines Affen, mit äusserster Wahrheit gegeben, sind in Bronze gegossene Kabinettstücke seines Heinis. Die jetzt ausgestellten Bilder zeigen malerisch einen grossen Fortschritt, nämlich als Übergang von früherer zierlicherer Weise zur saftigen, wuchtigen Volksmalerei. Das beste Stück ist eine Scene vom populären Kostümball in der »Gartenbaugesellschaft«. Im Vordergrund schwingt sich ein lebensgrosses Pärchen in stark »schieberisch« geartetem Walzer. Die von rückwärts gesehene Dame, augenscheinlich Küchenfee, ist ein gelindes Überweib von rot angelaufenen Überformen, die aus dem tiefen Décolleté eines kurzen giftgrünen Atlaskleides hervorquellen. Dieses knallende Grün haben auch die Ballstiefeletten. Und hinter diesem fastnachtsmässigen Rot-und-Grün dunkelt die Figur des Tänzers, in einem langstielig-stumpfwinkligen Kontur von unnachahmlichem Lokaltypus, mit einem gewissen schwarzrasierten Kinn, das mit einem auch nur in Wien bekannten