BÜCHERSCHAU
Adolf Bayersdorfer’s Leben und Schriften. Aus seinem Nachlass herausgegeben von Hans Mackowsky, August Pauly, Wilhelm Weigand. Mit zwei Bildnissen. (München, Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G. 1902.)
Der jüngeren Generation der Kunsthistoriker, besonders den allem Museumsbetrieb fernstehenden, ist kaum je ganz klar geworden, worin die dem einstigen Konservator der Münchner Pinakothek von sehr vielen Seiten zugesprochene grosse Bedeutung eigentlich bestand. Bayersdorfer’s schriftstellerische Thätigkeit fällt im wesentlichen in die siebziger Jahre. Nachher hörte man wohl manchmal von einer durch ihn in Umlauf gesetzten »Attribution«, man empfand zuweilen wohl auch dunkel, dass mancher Faden unserer Forschung zu ihm zurückführte, aber bei dieser ahnenden Schätzung eines Unbekannten, eines Schweigers, der, was er zu sagen hatte, nur Mann zu Mann sagte, der früher wenig und in den letzten Jahrzehnten seines Lebens so gut wie nichts mehr veröffentlicht hat, ist es im wesentlichen geblieben.
Erst das vorliegende Buch, zu dem drei von verschiedenen Seiten her Berufene sich vereinigt haben, wird auch weiteren Kreisen das Auge für den Wert des ganz besonderen Mannes, der Bayersdorfer war, schärfen. Warm und lebendig, mit der herzlichen Teilnahme des Freundes, wird in einem ersten Aufsatze von Wilhelm Weigand der Mensch, sein rasches Wachsen zu früher Reife, sein Ausgreifen nach allen Seiten künstlerischer Thätigkeit und sein endliches Unterliegen unter einer Herzkrankheit geschildert, die ihn durch sein Leben begleitet und ihn still und einsam gemacht hatte. An zweiter Stelle nimmt Hans Mackowsky das Wort: Er zeichnet mit fein geführtem Stift das Bild des Kunsthistorikers und Ästhetikers, und weist ihm zwischen den verschiedenen Richtungen unserer Wissenschaft seine ganz besondere Stellung an. Ausser den gedruckten Aufsätzen lagen ihm fünfundzwanzig Notizbücher, die wertvollsten darunter aus den Florentiner Jahren vor. Ein paar Proben aus dem Material zu einer von Bayersdorfer beabsichtigten Geschichte der Landschaftsmalerei beweisen, mit welcher Fähigkeit zu intensiver künstlerischer Nachempfindung er begabt war. Scharfumrissen steigt aus der Beschreibung (oder sagen wir besser: Umdichtung) des einzelnen Bildes in ihrer Besonderheit des Künstlers ganze Gestalt empor. Über die einzelne scharf erfasste Thatsache hinweg sucht er ins Allgemeine vorzudringen, den schöpferischen Prozess und, auch hierüber wieder hinausgreifend, auf dem Wege philosophischer Spekulation die allgemeinen Grundlagen des künstlerischen Schaffens zu erkennen. Für die Entwickelung seiner Art waren die sechs auf italienischem Boden in engstem Verkehr mit einer reichen und in sich geschlossenen Kunstentwickelung verlebten Jahre von höchster Bedeutung. Hier, wo er zu allem andern noch den Umgang einer kleinen Zahl ausgezeichneter Männer genoss, wurde er zu einem Kenner, nicht nur der äusseren, sondern vor allem der inneren Merkmale des Kunstwerks. »Die feinsten, kompliziertesten, oft unbewussten Regungen der Künstlerseele, wie sie im Kontakt mit Gegenstand und Material entstehen,« so hat er gelegentlich geäussert, »werden in der Technik reflektiert.« Bayersdorfer persönlich, der schon in seiner 1872 veröffentlichten, hier wieder abgedruckten Studie zum Holbeinstreit alle Mittel historischer Kritik und formaler Analyse in methodisch mustergültigerWeise zur Anwendung gebracht hatte, konnte vonMorelli kaum etwas Neues lernen. In dem Museumsamte, zu dem ihn die Heimat berufen hatte, durfte er sich in strenger Umgrenzung zwar, doch in einer auch für weitere Kreise wertvollen Weise be
thätigen. Und als ihn in dieser Stellung der »tartarische Kunstbeflissene aus Gorlaw«, dessen Eigenart Mackowsky sehr boshaft in ihre Bestandteile zerlegt, mit südlichem Ungestüm angriff, setzte er ihm, im richtigen Bewusstsein seines Wertes, einfach Schweigen entgegen. Der Wunsch, nach aussen hin etwas zu scheinen, ist niemals in ihm wach geworden.
Wie reich der Geist dieses Stillen gewesen, das zeigen mehr noch als die hier wiederabgedruckten Aufsätze die »Studien zur Florentiner Kunstgeschichte von Masaccio bis Michelangelo«, die Mackowsky aus einer noch viel grösseren Masse ausgewählt und in eine entwickelungsgeschichtliche Folge gebracht hat. Ihr Verfasser, dies merken wir Zeile um Zeile, ist selbst den Weg gründlichster, oft wiederholter Einzelbeobachtung gegangen, aber er nötigt uns nicht, diesen Weg nochmals zu gehen. Was er uns bietet, sind grosszügig gezeichnete Charakterbilder von Kunstwerken und Künstlern, nicht niedergeschrieben auf Grund flüchtiger Reisenotizen, sondern auf der Basis des innigsten Verkehrs seiner empfänglichen Seele mit den Werken selbst, mühevoll, in langsamem, sicher oft auch schmerzlichem Ringen zu solcher Schärfe des Umrisses, zu so greifbarer Körperlichkeit gestaltet, dass sie in ihrer Art kaum etwas Vergleichbares haben. Ein paar aus grösserem Zusammenhang genommene Sätze mögen eine Vorstellung geben: Von Masaccio’s Zinsgroschen heisst es: »Lauter mächtige, unverrückbare Menschen; starke Willensnaturen von unerschütterlichem Ernst; sie stehen wie gemauert, massiv und schwer beweglich.« Von Fra Angelico aus Anlass der Kreuzabnahme: »Vor jeder Versuchung zu profaner Realistik bewahrt ihn die bedingungslos vorwaltende Weiheempfindung, und einzig in ihrem Sinne erscheint aller Lebensinhalt idealisiert. ... So steht Fra Angelico über seinen Zeitgenossen in Bezug auf den letzten Zweck der Kunst und bleibt hinter ihnen zurück im kunstgeschichtlichen Prozesse.« Die Pollajuoli werden bei Besprechung ihrer Stickereien in der Dom-Opera zu Florenz folgendermassen beurteilt: »Einerseits zu nüchtern, andererseits zu gründlich, um geschickt zu sein.«. Verrocchio’s Taufe Christi erfährt eine eingehende technische Analyse, durch die sich Leonardo’s Anteil scharf begrenzt. Michelangelo wird als Gesamterscheinung grossartig charakterisiert: »Gleich einem blinden Seher in das eigene Innere versenkt, wirkt er sich mit kühner Abstraktion und imponierender Einseitigkeit seine eigene Welt aus. . . . Unfähig des Erdengliickes, hat er sich in der Werktagswelt der Menschen nie zurechtgefunden. !.
Auch die nun folgenden »Notizen aus Galerien und Kirchen Italiens« enthalten manche schlagende Charakteristik. Guercino’s samische Sibylle wird als »eine blosse Schönheitsphrase« bezeichnet. Giorgione’s Konzert im Palazzo Pitti ruft in Bayersdorfer den Dichter auf: »Seine Bilder sind wie Träume von einem andern Dasein, voll hoher Ahnung, als Gegenstand nur halb verständlich. Sie klingen, wie alle Weissagungen, die man nicht mehr versteht, wie Musik von einem andern Sterne, als wären in ihnen die verblichenen Erinnerungen des Menschengeschlechtes zusammenhanglos zum Bewusstsein erwacht und riefen nach Erklärung.« Und von dem mit Michelangelo in Verbindung gebrachten Eros in Turin wird gesagt: »Es lässt sich kaum denken, dass sich der Genius hinter der Gewöhnlichkeit versteckt, oder dass er es auch nur könnte, wenn er wollte.«
Die älteren, dankenswerter Weise hier wieder abgedruckten Aufsätze Bayersdorfer’s bezeugen sein lebhaftes Interesse an der geistigen Produktion der Gegenwart, auch an der litterarischen und musikalischen. Nicht alles in diesem Teile des Buches hält, an den Höhen gemessen, stand; zuweilen bekundet sich mit unerwünschtester Deut
Adolf Bayersdorfer’s Leben und Schriften. Aus seinem Nachlass herausgegeben von Hans Mackowsky, August Pauly, Wilhelm Weigand. Mit zwei Bildnissen. (München, Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G. 1902.)
Der jüngeren Generation der Kunsthistoriker, besonders den allem Museumsbetrieb fernstehenden, ist kaum je ganz klar geworden, worin die dem einstigen Konservator der Münchner Pinakothek von sehr vielen Seiten zugesprochene grosse Bedeutung eigentlich bestand. Bayersdorfer’s schriftstellerische Thätigkeit fällt im wesentlichen in die siebziger Jahre. Nachher hörte man wohl manchmal von einer durch ihn in Umlauf gesetzten »Attribution«, man empfand zuweilen wohl auch dunkel, dass mancher Faden unserer Forschung zu ihm zurückführte, aber bei dieser ahnenden Schätzung eines Unbekannten, eines Schweigers, der, was er zu sagen hatte, nur Mann zu Mann sagte, der früher wenig und in den letzten Jahrzehnten seines Lebens so gut wie nichts mehr veröffentlicht hat, ist es im wesentlichen geblieben.
Erst das vorliegende Buch, zu dem drei von verschiedenen Seiten her Berufene sich vereinigt haben, wird auch weiteren Kreisen das Auge für den Wert des ganz besonderen Mannes, der Bayersdorfer war, schärfen. Warm und lebendig, mit der herzlichen Teilnahme des Freundes, wird in einem ersten Aufsatze von Wilhelm Weigand der Mensch, sein rasches Wachsen zu früher Reife, sein Ausgreifen nach allen Seiten künstlerischer Thätigkeit und sein endliches Unterliegen unter einer Herzkrankheit geschildert, die ihn durch sein Leben begleitet und ihn still und einsam gemacht hatte. An zweiter Stelle nimmt Hans Mackowsky das Wort: Er zeichnet mit fein geführtem Stift das Bild des Kunsthistorikers und Ästhetikers, und weist ihm zwischen den verschiedenen Richtungen unserer Wissenschaft seine ganz besondere Stellung an. Ausser den gedruckten Aufsätzen lagen ihm fünfundzwanzig Notizbücher, die wertvollsten darunter aus den Florentiner Jahren vor. Ein paar Proben aus dem Material zu einer von Bayersdorfer beabsichtigten Geschichte der Landschaftsmalerei beweisen, mit welcher Fähigkeit zu intensiver künstlerischer Nachempfindung er begabt war. Scharfumrissen steigt aus der Beschreibung (oder sagen wir besser: Umdichtung) des einzelnen Bildes in ihrer Besonderheit des Künstlers ganze Gestalt empor. Über die einzelne scharf erfasste Thatsache hinweg sucht er ins Allgemeine vorzudringen, den schöpferischen Prozess und, auch hierüber wieder hinausgreifend, auf dem Wege philosophischer Spekulation die allgemeinen Grundlagen des künstlerischen Schaffens zu erkennen. Für die Entwickelung seiner Art waren die sechs auf italienischem Boden in engstem Verkehr mit einer reichen und in sich geschlossenen Kunstentwickelung verlebten Jahre von höchster Bedeutung. Hier, wo er zu allem andern noch den Umgang einer kleinen Zahl ausgezeichneter Männer genoss, wurde er zu einem Kenner, nicht nur der äusseren, sondern vor allem der inneren Merkmale des Kunstwerks. »Die feinsten, kompliziertesten, oft unbewussten Regungen der Künstlerseele, wie sie im Kontakt mit Gegenstand und Material entstehen,« so hat er gelegentlich geäussert, »werden in der Technik reflektiert.« Bayersdorfer persönlich, der schon in seiner 1872 veröffentlichten, hier wieder abgedruckten Studie zum Holbeinstreit alle Mittel historischer Kritik und formaler Analyse in methodisch mustergültigerWeise zur Anwendung gebracht hatte, konnte vonMorelli kaum etwas Neues lernen. In dem Museumsamte, zu dem ihn die Heimat berufen hatte, durfte er sich in strenger Umgrenzung zwar, doch in einer auch für weitere Kreise wertvollen Weise be
thätigen. Und als ihn in dieser Stellung der »tartarische Kunstbeflissene aus Gorlaw«, dessen Eigenart Mackowsky sehr boshaft in ihre Bestandteile zerlegt, mit südlichem Ungestüm angriff, setzte er ihm, im richtigen Bewusstsein seines Wertes, einfach Schweigen entgegen. Der Wunsch, nach aussen hin etwas zu scheinen, ist niemals in ihm wach geworden.
Wie reich der Geist dieses Stillen gewesen, das zeigen mehr noch als die hier wiederabgedruckten Aufsätze die »Studien zur Florentiner Kunstgeschichte von Masaccio bis Michelangelo«, die Mackowsky aus einer noch viel grösseren Masse ausgewählt und in eine entwickelungsgeschichtliche Folge gebracht hat. Ihr Verfasser, dies merken wir Zeile um Zeile, ist selbst den Weg gründlichster, oft wiederholter Einzelbeobachtung gegangen, aber er nötigt uns nicht, diesen Weg nochmals zu gehen. Was er uns bietet, sind grosszügig gezeichnete Charakterbilder von Kunstwerken und Künstlern, nicht niedergeschrieben auf Grund flüchtiger Reisenotizen, sondern auf der Basis des innigsten Verkehrs seiner empfänglichen Seele mit den Werken selbst, mühevoll, in langsamem, sicher oft auch schmerzlichem Ringen zu solcher Schärfe des Umrisses, zu so greifbarer Körperlichkeit gestaltet, dass sie in ihrer Art kaum etwas Vergleichbares haben. Ein paar aus grösserem Zusammenhang genommene Sätze mögen eine Vorstellung geben: Von Masaccio’s Zinsgroschen heisst es: »Lauter mächtige, unverrückbare Menschen; starke Willensnaturen von unerschütterlichem Ernst; sie stehen wie gemauert, massiv und schwer beweglich.« Von Fra Angelico aus Anlass der Kreuzabnahme: »Vor jeder Versuchung zu profaner Realistik bewahrt ihn die bedingungslos vorwaltende Weiheempfindung, und einzig in ihrem Sinne erscheint aller Lebensinhalt idealisiert. ... So steht Fra Angelico über seinen Zeitgenossen in Bezug auf den letzten Zweck der Kunst und bleibt hinter ihnen zurück im kunstgeschichtlichen Prozesse.« Die Pollajuoli werden bei Besprechung ihrer Stickereien in der Dom-Opera zu Florenz folgendermassen beurteilt: »Einerseits zu nüchtern, andererseits zu gründlich, um geschickt zu sein.«. Verrocchio’s Taufe Christi erfährt eine eingehende technische Analyse, durch die sich Leonardo’s Anteil scharf begrenzt. Michelangelo wird als Gesamterscheinung grossartig charakterisiert: »Gleich einem blinden Seher in das eigene Innere versenkt, wirkt er sich mit kühner Abstraktion und imponierender Einseitigkeit seine eigene Welt aus. . . . Unfähig des Erdengliickes, hat er sich in der Werktagswelt der Menschen nie zurechtgefunden. !.
Auch die nun folgenden »Notizen aus Galerien und Kirchen Italiens« enthalten manche schlagende Charakteristik. Guercino’s samische Sibylle wird als »eine blosse Schönheitsphrase« bezeichnet. Giorgione’s Konzert im Palazzo Pitti ruft in Bayersdorfer den Dichter auf: »Seine Bilder sind wie Träume von einem andern Dasein, voll hoher Ahnung, als Gegenstand nur halb verständlich. Sie klingen, wie alle Weissagungen, die man nicht mehr versteht, wie Musik von einem andern Sterne, als wären in ihnen die verblichenen Erinnerungen des Menschengeschlechtes zusammenhanglos zum Bewusstsein erwacht und riefen nach Erklärung.« Und von dem mit Michelangelo in Verbindung gebrachten Eros in Turin wird gesagt: »Es lässt sich kaum denken, dass sich der Genius hinter der Gewöhnlichkeit versteckt, oder dass er es auch nur könnte, wenn er wollte.«
Die älteren, dankenswerter Weise hier wieder abgedruckten Aufsätze Bayersdorfer’s bezeugen sein lebhaftes Interesse an der geistigen Produktion der Gegenwart, auch an der litterarischen und musikalischen. Nicht alles in diesem Teile des Buches hält, an den Höhen gemessen, stand; zuweilen bekundet sich mit unerwünschtester Deut