KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13 Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903
Nr. 24. 1. Mai.
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver
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LONDONER BRIEF
In den Ateliers der hervorragendsten hiesigen Meister wurden in den letzten Wochen eine ganze Reihe von sehr beachtenswerten Werken fertig gestellt. Sir E. Poynter, der Präsident der Akademie, der seit vielen Jahren sein Atelier in der »Avenue«, Fulham Road, aufgeschlagen hat, vollendete das Bild »Die Grotte der Sturmnymphen«, für welches er bereits im vorigen Jahre eine grössere Skizze anfertigte. Die erste Idee für die Komposition gab ihm die aus der Legende bekannte Grotte zu »König Arthur’s Schloss«. Der Künstler lässt hier nach langen, langen Jahren eine Erinnerung an seine Jugendepoche wieder auftauchen und eine präraffaelitische Saite erklingen. Die Vergangenheit muss den Meister stark bewegt haben, denn auch in einer anderen, vor dreissig Jahren nur leicht hingeworfenen und jetzt vollständig ausgeführten Skizze »Der Campanile in Venedig« greift er weit in eine frühere Schaffensperiode zurück, wenngleich hier die bekannten Ereignisse unserer Tage anregend wirkten. Der Zufall wollte es, dass vor einigen Wochen dasjenige Werk Sir E. Poynter’s bei Christie für 13000 Mark versteigert wurde, durch welches er zuerst allgemeinere Anerkennung fand, und das bis zum Jahre 1868 zurückdatiert. Das betreffende Bild betitelt sich »Die Belagerung Karthagos« und schildert in lebendiger Weise eine Scene, in der die römischen Soldaten einen mächtigen Katapult in Bewegung setzen. Während dies Gemälde infolge vielseitiger Reproduktion allgemeiner bekannt geworden ist, kam gleichzeitig mit letzterem ein Werk Lord Leighton’s, des Amtsvorgängers von Sir E. Poynter, zur Versteigerung, das, obgleich es vielleicht das ansprechendste seiner Schöpfungen sein dürfte, bisher nur wenig genannt wurde. Das Sujet stellt ein von einem weissen und blauen Pfau gefolgtes junges Mädchen in maurischer Tracht dar, lustwandelnd in einem reizenden und stimmungsvoll gehaltenen Garten. Leighton gab dem betreffenden, jetzt bei Christie für 17000 Mark verkauften Bilde den Namen »Ein maurischer Garten«, oder »Traum in Granada«.
Ein still und ohne jede Reklame schaffender Künster, der nur wenig auf dem Kontinent gekannt, aber mit voller Berechtigung Anerkennung verdient,
ist Mr. Charles Halle, der Sohn des bedeutenden Musikers, dessen Bildnis G. F. Watts der »National Portrait Gallery« schenkte. Als Direktor des vornehmsten Secessionsinstitutes gebührt ihm das Verdienst, nicht nur jede moderne Richtung in der Kunst zur Geltung gebracht zu haben, sondern auch, trotz aller Anfeindungen, die Verbindung mit der Akademie durch Maler wie Watts, Alma Tadema, Herkomer und andere, niemals haben ganz abreissen zu lassen. Ausserdem war er der intime persönliche Freund der Präraffaeliten, deren Werke vornehmlich in der »New- Gallery« zur Anschauung gelangten. Mr. Hallé’s Stellung war doppelt schwierig durch den Umstand, dass das von ihm gegründete Kunstinstitut sich als eine Secession von der Secession, das heisst von der »Grosvenor-Gallery« darstellt. Sein neuestes Atelierbild kann gleichfalls als ein Verlassen seiner bisherigen Richtung und vielleicht überhaupt als sein wichtigstes Kunstwerk angesehen werden. Es zeigt uns in einem Triptychon, als Altarbekleidung gedacht, die Jungfrau mit dem Kinde im Mittelstück, während zur Seite zwei lebensgrosse weibliche Figuren den Triumph des Guten über das Böse bezeichnen.
Orchardson beendete vor kurzem sein »Mrs. Siddons in dem Atelier von Sir Joshua Reynoldsbetiteltes Gemälde, das als die beste, seit vielen Jahren von ihm entstandene Arbeit genannt werden muss. Es bleibt daher um so bedauerlicher, dass diese nicht ausgestellt und somit dem grösseren Publikum nicht zugänglich gemacht sein wird.
Eine Reihe vortrefflicher Porträts vollendete Professor H. von Herkomer in der letzten Zeit, und sollen unter anderen folgende genannt werden: General Baden-Powell, der Verteidiger von Mafeking, Mr. Felix Schuster, Mr. W. J. Pirrie, Mr. Martin Smith, Mrs. Turner, Mrs. Carlyle und Sir Hermann Weber. Der letztere ist der berühmte Londoner Arzt, der während vierzig Jahren in Verbindung mit der deutschen Botschaft und dem hiesigen deutschen Hospital in Dalston stand. Ausser seinen massgebenden Schriften über Klima und Mineralquellen gilt Sir H. Weber als eine Autorität auf dem Gebiet griechischer Numismatik.
Die von Walter Crane als ihrem Präsidenten
geleitete siebente »Arts and Crafts-Ausstellung« in der