Salamander, um dessen Auffälligkeit willen wohl der rechte Pferdehinterfuss etwas höher als ursprünglich beabsichtigt genommen wurde; er ist aus der naturgeschichtlichen Symbolik des Mittelalters heraus zu verstehen, wie sie für Dürer, der ja Symbole für Bilder geradezu sammelte, aus dem um 1500 sehr verbreiteten »Buch der Natur« Konrad’s von Megenberg geläufig gewesen sein mag, er muss auch der Mutter davon gesagt haben. Bei Megenberg heisst es am Schlüsse einer Reihe naturwissenschaftlicher Bemerkungen über den Salamander (nach der neuhochdeutschen Ausgabe von Schulz): »Dem Salamander gleicht die brennende Seele, die so stark in der Flamme und Inbrunst der göttlichen Liebe glüht, dass keinerlei unreine, fleischliche Begier an ihr sich findet. Die Seele lebt einzig vom Tau der göttlichen Gnade und der Luft, das heisst den Gaben des heiligen Geistes. Im Feuer wird sie so rein und klar, dass der göttliche Schein aus ihr leuchtet wie aus einem reinen Spiegel, den Gott sich selbst als kostbaren Schatz erwählt hat, nicht etwa zu einem geringen, denn Gott schätzt die Seele nicht gering, sondern als einen wertvollen Gegenstand seiner Liebe, nach ihm selbst gebildet. Nun wisse, dass der Mensch auf Erden, der auch nur einen Teil dieser Flamme erwirbt und sich fleissig darin übt, zur Stunde so glücklich wird, dass alle seine Sinne verschlossen werden und er in eine so zarte und süsse Entzückung verfällt, dass ich Hund sie dir nicht schildern kann.« Das ganze also wieder und erst recht ein religiöses Trostblatt, in erster Linie für die Mutter, natürlich auch sich selbst gearbeitet.
Das Jahr 1514 kam und die schwarze Stunde, wo das Leben der Mutter erlosch. Dürer zeichnete auf: »Davon hab ich solchen Schmerzen gehabt, dass ichs nit aussprechen kann.« Viele, die diesen Schmerz kennen, wissen, wie er den Menschen geistig in heftige Thätigkeit setzt. Dürer arbeitete die Melancholie. Wir verstehen das Blatt nicht, wenn wir es auf Grund des heutigen Begriffes Melancholie ansehen, wie z. B. auch Goethe that, als er das Verslein dichtete:
Zart Gedicht wie Regenbogen
Wird nur auf dunkeln Grund gezogen. Druin behagt dem Dichtergenie Das Element der Melancholie.
Für den Nürnberger von 1500 bedeutete Melancholie in erster Linie Trauer1). Ein nürnbergisches deutsch-italienisches Sprachbuch des 15. Jahrhunderts2)
aus, die er dem Tod aufsetzt, er giebt Tod, Ritter und Teufel als König, Ritter und Landsknecht — auf dem klapperbeinigen Sarge dahin, Amor aber, die Liebe, die nicht aufhört, radelt als Sieger an der Spitze, und das kranke Geträum vom Jenseits trottet als nebelhafter Schafskopf hintennach.
1) Dann auch (Melecholei) Niedergeschlagenheit, Abgespanntheit; doch war sich Dürer, wo er die lateinischromanische Form gebraucht, der Grundbedeutung »trauernder Sinn« sicher bewusst.
2) Herausg. von Brenner, München 1895.
verzeichnet nacheinander: die chlag lamento, chlagen lamentare, die trawrung la melonchonia, trawrung haben havere malonchonia, die tröstung la chonsolazion u. s. w. — Es ist spät abends auf der Plattform eines Kirchehdachs. Rechts ragt der dunkle Turm, nur ein kleines Stück sichtbar, noch weiter empor, die Leiter hinauf ist angelehnt, aber warum noch höher steigen, in den Himmel führt es ja doch nicht. Wage im Gleichgewicht1), Uhr, magische Zahlentafel2) und Sterbeglöcklein sind am Turm angebracht. Zwei Engel haben sich niedergelassen, ein grosser und ein kleiner, wie Dürer auch sonst kleine, spielende Engel und grosse, wie erwachsene Menschen denkende gegenüberstellt, z. B. auf dem grossen Holzschnitt Ruhe auf der Flucht nach Ägypten. Im ganzen ähnlich dem dort ganz rechts knieend anbetenden grossen Engel mit Flügeln, langem Haar und Krönlein ist der grosse Engel auf der Melancholie gebildet. Die in englischem Privatbesitz befindliche Federzeichnung von 1514, die entweder Dürer’s Schwägerin oder seine Frau darstellt, ist eine erste Sitzkostümstudie dazu, wie Sitzhaltung, Faltenlinien des Rockes, der grosse Schlüsselbund, die breite Taille und der charakteristische, über die Schultern führende Taillenrandstreifen zeigen. Doch wurde für die Ausführung die linke Körperhälfte in jene sinnende Stellung gebracht, die durch Walter’s von der Vogelweide Selbstbeobachtung klassisch geworden ist: daruf sazt ich den ellenbogen, ich het in mine hant gesmogen mein lcinn und ein min wange, do dacht ich mir vil ange u. s. w., das Auge mehr aufwärts gerichtet, mit dem Blick in innere Ferne, und alles gegenüber der Skizze ungeahnt herrlich nach neuen Studien ausgeführt. Der Kranz mit teils seitlich gebundnen, teils aufwärts stehenden Zweiglein muss damals so getragen worden sein, auch Schongauer krönt Engel mit genau diesem Kranz. Die rechte Hand liegt auf einem Buch und hält einen Zirkel: schon damals sah Dürer seine theoretische Arbeit als seine Hauptthätigkeit an3), und der Genius seines geometrischen, wissenschaftlichen Denkens ist eben der grosse Engel. Deshalb liegt allerlei Mess- und Schreinerwerkzeug hier herum, daher die Kugel, dieses geometrische Unikum, und daher der wundervoll gezeichnete, im primitiven abwechselungsreichste Block eines oben und unten durch einen Eckquerschnitt (Ortschnitt hat Dürer wohl gesagt) ähnlich dem Ei des Columbus aufrecht stellbar gemachte grosse rhombische Hexaeder, der nächste
1) Altbayrisch hiess das Ebenwage, geheiligte Dinge, z. B. geweihte Kerzen, nannte man Gottes Ebenwage; so hier als Wunsch von der Seele der Mutter?
2) Schon andre haben gesehen, dass die Zahlen der mittleren beiden Reihen dieser Tafel unten das Jahr (1514), oben addiert den Monat (5, Mai) in der Mitte über das Kreuz gelesen zweimal den Tag (17) des Todes der Mutter angeben.
3) Eine Federzeichnung von ihm in der Königlichen Bibliothek in Bamberg, die das Denkmal eines Sieges über »mächtig Leut« zeigt, das er später wenig verändert zusammen mit dem zeitgemässen Bauernkriegsdenkmal in der »Unterweisung der Messung« veröffentlichte, ist datiert: 1513-