Verwandte des von Dürer einmal als schlechtest Corpus, einfachster Körper, bezeichneten Würfels. Der kleine Engel meint Dürer’s künstlerische Thätigkeit, sie regt sich unmittelbar in der tiefen Trauer wieder, während die denkende Zirkel und Buch ruhen lässt, weil das Denken über den Tod sie beschäftigt. Der kleine Engel kritzelt auf einem Täfelchen (Tafel bayrisch= Gemälde); dass er auf einem Mahlstein sitzt, ist, vermute ich, damit zu erklären, dass auch der gebildete Altbayer vielfach thatsächlich mahlen und malen nicht unterschied1) (vielleicht die Vorstellung zu Hilfe nehmend, dass die Farben gerieben werden?). Das Engelköpfchen ist übrigens derselbe pausbäckige Lockenkopf, den Knackfuss S. 138 aus einer englischen Privatsammlung wiedergiebt. Der treue Hund liegt traurig - müde zusammengekauert da. Eine Fledermaus flattert vorüber; dass gerade sie zur Trägerin der Zettelinschrift gemacht worden ist, wird nicht bloss daraus zu erklären sein, dass Fledermäuse eben abends um Kirchtürme flattern, für Dürer war wohl auch der volkstümliche Wortgebrauch Fledermaus = Steckbrief mit im Spiele. Und nun der Landschaftsblick: Küste, an die Unendlichkeit erinnerndes dunkles Meer, am Nachthimmel ein Regenbogen, ganz als letzte Ferne ein gewaltiges Licht, unzählige Strahlen in sich sammelnd. Zur Deutung des Nachtregenbogens sei eine Luther’sche Briefstelle zitiert, 1525 geschrieben, als Friedrich der Weise in Schloss Lochau starb: »Das Zeichen seines Todes war ein Regenbogen, den wir, Philippus und ich, sahen in der Nacht über der Lochau.« So hier der Nachtregenbogen als Zeichen des Todes der Mutter; und das grosse Licht als ältestes, einfachstes und erhabenstes Symbol dessen, wohin sie eingegangen ist.
Auf dem Fledermausflügelbrieflein steht Melencolia I. Dürer hatte also noch mehr Blätter der Trauer in Absicht. Aber unmittelbar nach dem tiefsten Schmerz erfuhr er eine Art Seligkeit, die die Welt überwunden hat: so entstand das dritte dieser Blätter, der heilige Hieronymus im Gehäuse. Wir werden uns des eigentümlichen Charakters des Bildes vielleicht rascher bewusst, wenn wir es mit dem so gänzlich anders gehaltenen Stich von 1512 vergleichen: dem Hieronymus mit dem Weidenbaum. 1512 kahle Felsenkluft, dürrer Baum, Tümpel, ganz drunten weit ein winziges Stück Menschenkultur (Dorf oder Stadtteil), hier oben ein inbrünstiger alter Beter, ein Feuerkopf und kräftiger Leib, der in festem Anschauen des Crucifixus, die Hände zusammenlegend, Kraft erfleht für das Formulieren der frommen Gedanken, die er sich anschickt niederzuschreiben. Der von 1512 heischt Seligkeit wie der verlorne Sohn von ca. 1500; der von 1514 hat sie wie der Antonius von 1519. Er ist im Schreiben mitten drin, sitzt dabei im behaglichen Hause mit den grossen Fenstern auf eine Strasse, auf der die Kaufmannswagen rollen; warme Nürnberger Junisonne strahlt herein. Ein grosser tiefer Friede spricht aus dem Bilde; wir glauben die Feder kritzeln
1) Was auch oft heute noch nicht geschieht, s. Schmeller unter malen.
zu hören, die die frommen Gedanken des in sich versunknen Alten aufs Papier bringt. Der spinnende Löwe ist zwar das Konterfei des heruntergekommensten Menagerielöwen, den man sich denken kann, steht aber doch weit über dem Löwenversuch von 1512. Mit Macht ist die Perspektive eingezogen und schliesst das Ganze fest zusammen, obendrein sind unten, links und oben Treppenstufen, Pfeiler und Zierbalken an drei Seiten als rahmende Ränder hinzugefügt. So ist dieser Kupferstich religiös wie künstlerisch das reifste der drei grossen Blätter. Die Menge Symbolik, die sich der ersten frommen Trauer ergab, ist auf ein allerdings grosses Symbolum eingeschränkt worden: den Flaschenkürbis an der Decke, zu dessen Deutung uns wieder Megenberg verhilft. In seinem Abschnitt über Kürbis heisst es am Ende: »Michael von Schottland sagt, der Kürbis öffne seine Blüten in der Nacht und zeige seine Schönheit im Finstern. Am Tage aber schliesse er seine Blüten wieder, die dabei welken, bis sie zuletzt vertrocknen und abfallen. Ach und wehe uns armen Sündern, die wir unsre Blüte und Kraft in der Finsternis mit Bosheit verzehren, im Lichte der guten Werke aber verschliessen und so verdorren bis zu unserm Tode und Hinsterben! Ach und aber ach und wehe mir armen Kürbis, wie lange hat mich die Welt in ihre Finsternis hineingezogen und verlockt mich immer noch weiter! Fahre hin, Falschheit, fahre hin, Üppigkeit und böse Lust!« Der bei Dürer feierlich aufgehängte Riesenkürbis ist eine ausgereifte Idealfrucht, vergessen sind die Kämpfe seiner Blütenzeit, er ist das Gleichnis des Heiligen, der die Welt überwunden hat.
Aus dieser abgeklärt verzückten Stimmung, dem höchsten, was die Religion des christlichen Mittelalters zu bieten hatte, fand Dürer wieder den Weg in das Leben der Gegenwart, so wie sich die schmerzliche Aufregung über den Tod seiner Mutter beruhigte. Was ihm weiter half, waren namentlich der neu erwachende Farbensinn, das gesteigerte Interesse am Porträt, das Denken auf typische Formung des Individuellen und die Reformation; alles Allegorisieren glitt dabei von ihm ab, seine Darstellungen des Lebens selbst wurden volle Lebenssymbole, und als erhabenstes Zeugnis seines neuen reifen religiösen und künstlerischen Innern entstanden schliesslich die Apostel.
Die beiden herrlichen Gewänder des Paulus und des Johannes sind die gewaltige Illustration zu dem Anfang von Dürer’s nicht ausgearbeiteter theoretischer Skizze »Von Farben« (Londoner Handschrift): »Wenn du malst 2 Röck oder Mäntel, ein weiss, den andern roth. Und wenn du sie schädigest« u. s. w. Die feste Fussstellung des Paulus und die peruginischraffaelische des Johannes sind die Illustration zu einer Stelle aus dem IV. Buch des Werkes »Von menschlicher Proportion«: »Zum Ernst muss man eine grimme Stellung brauchen und zu der Lieb eine freundliche.« Zum Verständnis der Köpfe und Charaktere ist die wichtigste theoretische Stelle Dürer’s die aus dem Schluss des III. Buches dieses Werkes: »Also ist durch die Mass von aussen allerlei Ge
Auf dem Fledermausflügelbrieflein steht Melencolia I. Dürer hatte also noch mehr Blätter der Trauer in Absicht. Aber unmittelbar nach dem tiefsten Schmerz erfuhr er eine Art Seligkeit, die die Welt überwunden hat: so entstand das dritte dieser Blätter, der heilige Hieronymus im Gehäuse. Wir werden uns des eigentümlichen Charakters des Bildes vielleicht rascher bewusst, wenn wir es mit dem so gänzlich anders gehaltenen Stich von 1512 vergleichen: dem Hieronymus mit dem Weidenbaum. 1512 kahle Felsenkluft, dürrer Baum, Tümpel, ganz drunten weit ein winziges Stück Menschenkultur (Dorf oder Stadtteil), hier oben ein inbrünstiger alter Beter, ein Feuerkopf und kräftiger Leib, der in festem Anschauen des Crucifixus, die Hände zusammenlegend, Kraft erfleht für das Formulieren der frommen Gedanken, die er sich anschickt niederzuschreiben. Der von 1512 heischt Seligkeit wie der verlorne Sohn von ca. 1500; der von 1514 hat sie wie der Antonius von 1519. Er ist im Schreiben mitten drin, sitzt dabei im behaglichen Hause mit den grossen Fenstern auf eine Strasse, auf der die Kaufmannswagen rollen; warme Nürnberger Junisonne strahlt herein. Ein grosser tiefer Friede spricht aus dem Bilde; wir glauben die Feder kritzeln
1) Was auch oft heute noch nicht geschieht, s. Schmeller unter malen.
zu hören, die die frommen Gedanken des in sich versunknen Alten aufs Papier bringt. Der spinnende Löwe ist zwar das Konterfei des heruntergekommensten Menagerielöwen, den man sich denken kann, steht aber doch weit über dem Löwenversuch von 1512. Mit Macht ist die Perspektive eingezogen und schliesst das Ganze fest zusammen, obendrein sind unten, links und oben Treppenstufen, Pfeiler und Zierbalken an drei Seiten als rahmende Ränder hinzugefügt. So ist dieser Kupferstich religiös wie künstlerisch das reifste der drei grossen Blätter. Die Menge Symbolik, die sich der ersten frommen Trauer ergab, ist auf ein allerdings grosses Symbolum eingeschränkt worden: den Flaschenkürbis an der Decke, zu dessen Deutung uns wieder Megenberg verhilft. In seinem Abschnitt über Kürbis heisst es am Ende: »Michael von Schottland sagt, der Kürbis öffne seine Blüten in der Nacht und zeige seine Schönheit im Finstern. Am Tage aber schliesse er seine Blüten wieder, die dabei welken, bis sie zuletzt vertrocknen und abfallen. Ach und wehe uns armen Sündern, die wir unsre Blüte und Kraft in der Finsternis mit Bosheit verzehren, im Lichte der guten Werke aber verschliessen und so verdorren bis zu unserm Tode und Hinsterben! Ach und aber ach und wehe mir armen Kürbis, wie lange hat mich die Welt in ihre Finsternis hineingezogen und verlockt mich immer noch weiter! Fahre hin, Falschheit, fahre hin, Üppigkeit und böse Lust!« Der bei Dürer feierlich aufgehängte Riesenkürbis ist eine ausgereifte Idealfrucht, vergessen sind die Kämpfe seiner Blütenzeit, er ist das Gleichnis des Heiligen, der die Welt überwunden hat.
Aus dieser abgeklärt verzückten Stimmung, dem höchsten, was die Religion des christlichen Mittelalters zu bieten hatte, fand Dürer wieder den Weg in das Leben der Gegenwart, so wie sich die schmerzliche Aufregung über den Tod seiner Mutter beruhigte. Was ihm weiter half, waren namentlich der neu erwachende Farbensinn, das gesteigerte Interesse am Porträt, das Denken auf typische Formung des Individuellen und die Reformation; alles Allegorisieren glitt dabei von ihm ab, seine Darstellungen des Lebens selbst wurden volle Lebenssymbole, und als erhabenstes Zeugnis seines neuen reifen religiösen und künstlerischen Innern entstanden schliesslich die Apostel.
Die beiden herrlichen Gewänder des Paulus und des Johannes sind die gewaltige Illustration zu dem Anfang von Dürer’s nicht ausgearbeiteter theoretischer Skizze »Von Farben« (Londoner Handschrift): »Wenn du malst 2 Röck oder Mäntel, ein weiss, den andern roth. Und wenn du sie schädigest« u. s. w. Die feste Fussstellung des Paulus und die peruginischraffaelische des Johannes sind die Illustration zu einer Stelle aus dem IV. Buch des Werkes »Von menschlicher Proportion«: »Zum Ernst muss man eine grimme Stellung brauchen und zu der Lieb eine freundliche.« Zum Verständnis der Köpfe und Charaktere ist die wichtigste theoretische Stelle Dürer’s die aus dem Schluss des III. Buches dieses Werkes: »Also ist durch die Mass von aussen allerlei Ge