KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTOEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13 Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903
Nr. 28. 5. Juni.
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein 81 Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
EIN NEUES MADONNENRELIEF DONATELLO’S?
In Bezug auf die Bestimmung des unter obiger Stichmarke im vorletzten Heft der »Kunstchronikvon Dr. Paul Schubring veröffentlichten Thonfeliefs der Maria mit dem Kinde im Privatbesitz zu Padua möchte ich einige Bedenken äussern. Das Relief trägt doch wohl weniger die Merkmale der Kunst Donatello’s, wie Dr. Schubring meint, als vielmehr gerade die der Schüler Donatello’s aus der Zeit seines Aufenthaltes in Padua, und wir müssen dem Verfasser gerade deshalb dankbar für die Veröffentlichung des seltenen Stückes sein. Ist doch für die Geschichte der Paduaner Skulptur noch so manche Frage ungelöst! Jene eigentümliche Grossartigkeit in Haltung und Bewegung der Mutter, ihr ernster, fast trauriger Ausdruck, der Gegensatz zwischen ihr und dem hilflosen, naturalistisch gebildeten Kinde, die Meisterschaft in der Komposition, namentlich in der Art, wie Mutter und Kind in den engsten Raum hineinkomponiert sind und doch grosszügig und mannigfaltig bewegt erscheinen: alle diese Donatello’s Madonnen eigentümlichen Vorzüge lässt dieses neu gefundene Thonrelief im Privatbesitz zu Padua vermissen, wie die treffliche Abbildung in der Chronik beweist, während sie in der ängstlichen Nachbildung der Typen wie der Gewandung und Anordnung Donatello’s, in dem unbedeutenden Naturalismus, in dem Mangel
an Eigenart und Kraft ganz den Madonnenkompositionen der späteren Schüler des Meisters, speziell eines oder mehrerer uns bisher dem Namen nach nicht bekannter Paduaner Nachfolger Donatello’s entspricht. Die Grösse der Behandlung, die vornehme und temperamentvolle Art der Darstellung, die Dr. Schubring darin bewundert, habe ich darin nicht ent
decken können. Man vergleiche nur die Abbildungen, die ich dem Aufsatze über »Donatello’s Madonnenreliefs« in meinen »Florentiner Bildhauern der Renaissance« beigegeben habe. Ähnliche Madonnen sind von Padua aus in verschiedene öffentliche und Privatsammlungen gewandert; eine befindet sich noch in der Villa Sch io zu Custoza. Auch Florenz hat in der bekannten Schülerumbildung einer Donatello’schen Komposition in Via Pietrapiana, die gewiss nicht schon um 1430 entstanden ist, wie Schubring für möglich hält, ein verwandtes Stück aufzuweisen, und ein zweites ähnliches Relief in bemaltem Thon ist kürzlich im Handel in Florenz aufgetaucht. Ich gebe von diesem Relief beistehend eine Abbildung, da es auch dadurch von Interesse ist, dass es Maria in nüchterner Weise stehend und in ganzer Figur zeigt, was allein schon gegen die Erfindung durch Donatello spricht. An die uns aus beglaubigten Werken bekannten Schüler Donatello’s in Padua: an Urbano da Cortona, Giovanni da Pisa oder Bellano, können wir bei diesen Madonnen
Bemaltes Thonrelief von einem Donateüoschnler
in Privatbesitz zu Florenz
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13 Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903
Nr. 28. 5. Juni.
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein 81 Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
EIN NEUES MADONNENRELIEF DONATELLO’S?
In Bezug auf die Bestimmung des unter obiger Stichmarke im vorletzten Heft der »Kunstchronikvon Dr. Paul Schubring veröffentlichten Thonfeliefs der Maria mit dem Kinde im Privatbesitz zu Padua möchte ich einige Bedenken äussern. Das Relief trägt doch wohl weniger die Merkmale der Kunst Donatello’s, wie Dr. Schubring meint, als vielmehr gerade die der Schüler Donatello’s aus der Zeit seines Aufenthaltes in Padua, und wir müssen dem Verfasser gerade deshalb dankbar für die Veröffentlichung des seltenen Stückes sein. Ist doch für die Geschichte der Paduaner Skulptur noch so manche Frage ungelöst! Jene eigentümliche Grossartigkeit in Haltung und Bewegung der Mutter, ihr ernster, fast trauriger Ausdruck, der Gegensatz zwischen ihr und dem hilflosen, naturalistisch gebildeten Kinde, die Meisterschaft in der Komposition, namentlich in der Art, wie Mutter und Kind in den engsten Raum hineinkomponiert sind und doch grosszügig und mannigfaltig bewegt erscheinen: alle diese Donatello’s Madonnen eigentümlichen Vorzüge lässt dieses neu gefundene Thonrelief im Privatbesitz zu Padua vermissen, wie die treffliche Abbildung in der Chronik beweist, während sie in der ängstlichen Nachbildung der Typen wie der Gewandung und Anordnung Donatello’s, in dem unbedeutenden Naturalismus, in dem Mangel
an Eigenart und Kraft ganz den Madonnenkompositionen der späteren Schüler des Meisters, speziell eines oder mehrerer uns bisher dem Namen nach nicht bekannter Paduaner Nachfolger Donatello’s entspricht. Die Grösse der Behandlung, die vornehme und temperamentvolle Art der Darstellung, die Dr. Schubring darin bewundert, habe ich darin nicht ent
decken können. Man vergleiche nur die Abbildungen, die ich dem Aufsatze über »Donatello’s Madonnenreliefs« in meinen »Florentiner Bildhauern der Renaissance« beigegeben habe. Ähnliche Madonnen sind von Padua aus in verschiedene öffentliche und Privatsammlungen gewandert; eine befindet sich noch in der Villa Sch io zu Custoza. Auch Florenz hat in der bekannten Schülerumbildung einer Donatello’schen Komposition in Via Pietrapiana, die gewiss nicht schon um 1430 entstanden ist, wie Schubring für möglich hält, ein verwandtes Stück aufzuweisen, und ein zweites ähnliches Relief in bemaltem Thon ist kürzlich im Handel in Florenz aufgetaucht. Ich gebe von diesem Relief beistehend eine Abbildung, da es auch dadurch von Interesse ist, dass es Maria in nüchterner Weise stehend und in ganzer Figur zeigt, was allein schon gegen die Erfindung durch Donatello spricht. An die uns aus beglaubigten Werken bekannten Schüler Donatello’s in Padua: an Urbano da Cortona, Giovanni da Pisa oder Bellano, können wir bei diesen Madonnen
Bemaltes Thonrelief von einem Donateüoschnler
in Privatbesitz zu Florenz