so aus dem plastischen Rahmen emporzuwachsen. Eine Art Götterbühne, die den ganzen Vorgang hoch über das Menschenleben emporhebt. Zwischen den Säulen geht der Blick tief hinab ins Thal, hinten aber schimmern blaue Himmelsweiten über einem taghellen Vorgebirge und einem dämmerigen Haine. Von diesen ruhigen Helligkeiten heben sich die Gestalten ab. Links sitzt der harmlos schauende Knabe Paris, hinter ihm steht als Rückenakt der Jüngling Merkur, das rotblonde Haar kurz geschoren, das Profil den Göttinnen zugewendet. Rechtshin steht als Mittelfigur Juno, die herrschende Brünette, fast im Profil gesehen, in blanker Blösse, die Arme mit einer merkwürdigen Gebärde des selbstsicheren »Da bin ich« erhoben. Die nächste Gestalt, von vorne gesehen, vom Schoss ab noch verhüllt, ist Minerva, die mit beiden Händen beiderseits ihr wallendes Blondhaar emporhebt. Die letzte Figur ist Venus, eine schwarzhaarige Profilgestalt in dunkelweinrotem Gewände, das sie über der Brust zusammenfasst, so dass das gespannte Gewebe der ganzen Rückenlinie ihrer Silhouette in pikantem Faltengezack folgt. Ein dichter Blumenstrauss, den sie zugleich vor ihrer Brust hält, setzt dieser Erscheinung einen freudigen Accent auf. In alledem ist, wie man wohl behaupten darf, keine Linie Überkommenes, jede leise Schwebung und Biegung der Form ist klingerisch. Auch die Fleischfarbe aus einer frühen Freiluftzeit, wo man sich noch über »l’heure bleue« entsetzte, ist in ihren Mattigkeiten und Zerstreutheiten noch nicht das Virtuosenstück späterer Reflexmaler und Lichtzersetzer, sondern hat noch den entschlossenen Willen des Malers, sein parti pris in sich, mit dem Gewesenen zu brechen, ohne noch recht zu wissen, was sich ihm Neues bieten wird. Aber sein Instinkt trifft das Richtige, er gelangt zu Fleischtönen, die etwas »anderes« sind und das Auge als solches reizen. Nicht zu optischen Analysen des Wirklichkeitstones, sondern zu Stilisierungen desselben, von einem besonderen Valeur- Zauber, über den man sich nicht klar wird, der aber die Erscheinung veredelt, in ihrem Werte erhöht. Es ist etwas wie der Übergang von getönter Plastik zu malerischem Phänomen. Man wird dessen deutlich inne, wenn man den Blick auf das linke Flügelbild lenkt, wo Klinger, vielleicht unbewusst, eine weibliche Büste auf buntem Marmorsockel dargestellt hat, mit tonig mattem Marmorteint, schwarzem Haar und blutrot gefärbtem Büstenabschnitt. (Das Gegenstück rechts ist Jüngling Amor mit mächtigen weissen Fittichen.) Das ist der Stein, in dem das Blut zu kreisen beginnt. Das ist der Weg, auf dem die antike Statue modernes Gemälde wird. Aus dunklem Gefühl heraus schafft der Künstler, er weiss nicht wie, hellen Tag für neue Menschen. Der untere Teil des Rahmens ist in stark polychromiertem Gipsrelief durchgestaltet, dessen majolikaartige Töne nach oben in der gemalten Architektur weiterklingen. Die sehr fleischigen Reliefs fordern zu Deutungen auf, obwohl ihre symbolische Meinung wohl mehr auf Versinnlichung dunkel spielender und kämpfender Triebe gehen dürfte. An der Ecke rechts balgen sich zwei
echte Geschöpfe der Urnatur. Irgend ein Kraftmensch der See hat einen Delphin gepackt, presst ihm mit der einen Hand das Maul zu und führt mit der anderen Faust einen vernichtenden Schlag gegen seinen Schädel. Der Leib des Delphins schwingt sich in prächtiger Kurve, einer lebendigen Arabeske gleich, oben herum. Die Scene ergänzt sich, von oben her, im rechten Flügelbilde durch einen gemalten Delphin, der sich in die Luft geschnellt hat und nun in senkrechtem Niedergang zu seinem Elemente zurückkehrt. Sein dunkler Fischleib dient als starker Gegensatz zur Lichtgestalt Amors und der Kontrast verstärkt sich noch durch ein schlangenhaariges dunkles Medusenhaupt, das mit goldener Kette an dem Schwanz des Delphins befestigt zu sein scheint. Das ist so ein bizarres Capriccio aus dem wunderreichen Meerleben mythologischer Zeiten, wie der Künstler es sich gern entschlüpfen lässt. Der neueste Biograph Klinger’s, Lothar Brieger- Wasservogel, sieht und erklärt in seinem Buche die Scene ganz anders. Nach ihm kämpfe ein mächtiger Greis mit der Hydra der Zwietracht und zerschmettere ein Haupt der vielköpfigen, die aber einen zweiten (nur gemalten) Hals, mit einem Medusenhaupte, unversehrt in die Lüfte erhebt. Mit dem Augenschein will diese ergänzende Auslegung doch nicht stimmen. Die Mitte des Rahmensockels bezeichnet ein kolossaler polychromer Frauenkopf, von vorn gesehen, zwischen zwei erhobenen Armen, die eine tiefgebauchte Muschel halten. Eine blaue Draperie, die halb über die Muschel fällt, lässt eben noch einen goldenen Apfel (Eris!) erkennen. Darunter knotet sich verhängnisvoll eine Schlange. An der Ecke links endlich grinst eine kolossale Satyrmaske, das Satyrlächeln über die Tragödie der Zwietracht, die sich da oben vorbereitet. Klinger’s Parisurteil ist, programmatisch und malerisch genommen, eine That der modernen Kunst. Schade, dass es nicht möglich ist, Feuerbach’s form- und geistvolles Parisurteil aus der Hamburger Kunsthalle daneben zu sehen. Man würde die Höhe der Klinger’schen Gestaltung und den Reichtum seiner Empfindungswelt erst recht messen können.
DAS PARADIES DES GUAR1ENTO IM DOGEN
PALASTE ZU VENEDIG
Bei den augenblicklich im Dogenpalaste in Venedig vorgenommenen Arbeiten wurde auch die grosse Holzestrade in der Sala del Gran Consiglio von der Wand entfernt, und es kamen dabei Spuren eines alten Freskos zu Tage, das zum grössten Teile von der riesigen Leinwand Tintoretto’s bedeckt wird. Das Fresko wurde bekanntlich von Guariento im Jahre 1365 gemalt, es blieb bei der zweiten Ausmalung des Saales durch Gentile da Fabriano und Vittore Pisano in den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts unberührt und wurde erst nach dem Brande 1577 von dem grossen Gemälde Tintoretto’s verdrängt. Es stellte das Paradies dar, oder genauer die Krönung Mariä im Beisein vieler Patriarchen, Propheten und Engel. Sansovino (Ven. 1581, S. 124) erwähnt das
echte Geschöpfe der Urnatur. Irgend ein Kraftmensch der See hat einen Delphin gepackt, presst ihm mit der einen Hand das Maul zu und führt mit der anderen Faust einen vernichtenden Schlag gegen seinen Schädel. Der Leib des Delphins schwingt sich in prächtiger Kurve, einer lebendigen Arabeske gleich, oben herum. Die Scene ergänzt sich, von oben her, im rechten Flügelbilde durch einen gemalten Delphin, der sich in die Luft geschnellt hat und nun in senkrechtem Niedergang zu seinem Elemente zurückkehrt. Sein dunkler Fischleib dient als starker Gegensatz zur Lichtgestalt Amors und der Kontrast verstärkt sich noch durch ein schlangenhaariges dunkles Medusenhaupt, das mit goldener Kette an dem Schwanz des Delphins befestigt zu sein scheint. Das ist so ein bizarres Capriccio aus dem wunderreichen Meerleben mythologischer Zeiten, wie der Künstler es sich gern entschlüpfen lässt. Der neueste Biograph Klinger’s, Lothar Brieger- Wasservogel, sieht und erklärt in seinem Buche die Scene ganz anders. Nach ihm kämpfe ein mächtiger Greis mit der Hydra der Zwietracht und zerschmettere ein Haupt der vielköpfigen, die aber einen zweiten (nur gemalten) Hals, mit einem Medusenhaupte, unversehrt in die Lüfte erhebt. Mit dem Augenschein will diese ergänzende Auslegung doch nicht stimmen. Die Mitte des Rahmensockels bezeichnet ein kolossaler polychromer Frauenkopf, von vorn gesehen, zwischen zwei erhobenen Armen, die eine tiefgebauchte Muschel halten. Eine blaue Draperie, die halb über die Muschel fällt, lässt eben noch einen goldenen Apfel (Eris!) erkennen. Darunter knotet sich verhängnisvoll eine Schlange. An der Ecke links endlich grinst eine kolossale Satyrmaske, das Satyrlächeln über die Tragödie der Zwietracht, die sich da oben vorbereitet. Klinger’s Parisurteil ist, programmatisch und malerisch genommen, eine That der modernen Kunst. Schade, dass es nicht möglich ist, Feuerbach’s form- und geistvolles Parisurteil aus der Hamburger Kunsthalle daneben zu sehen. Man würde die Höhe der Klinger’schen Gestaltung und den Reichtum seiner Empfindungswelt erst recht messen können.
DAS PARADIES DES GUAR1ENTO IM DOGEN
PALASTE ZU VENEDIG
Bei den augenblicklich im Dogenpalaste in Venedig vorgenommenen Arbeiten wurde auch die grosse Holzestrade in der Sala del Gran Consiglio von der Wand entfernt, und es kamen dabei Spuren eines alten Freskos zu Tage, das zum grössten Teile von der riesigen Leinwand Tintoretto’s bedeckt wird. Das Fresko wurde bekanntlich von Guariento im Jahre 1365 gemalt, es blieb bei der zweiten Ausmalung des Saales durch Gentile da Fabriano und Vittore Pisano in den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts unberührt und wurde erst nach dem Brande 1577 von dem grossen Gemälde Tintoretto’s verdrängt. Es stellte das Paradies dar, oder genauer die Krönung Mariä im Beisein vieler Patriarchen, Propheten und Engel. Sansovino (Ven. 1581, S. 124) erwähnt das