Landschaftsmalerei. Viele kannten in dieser Beziehung den Meister nur nach seinen, in »Little Holland House« befindlichen, meist nicht vollendeten und unter ungünstigen Lichtverhältnissen hängenden Werken. Wer aber hier in »Leighton House« und in der »New Gallery« seine Landschaften gesehen, der wird zu einem wesentlich günstigeren Urteil für diese Kunstgattung des Malers umgestimmt. Seine »Ansicht von Neapel« (1887), dem Rev. Thompson Yates gehörig, ist das vollendetste, was man von der Landschaftsmalerei erwarten kann.
In der »New Gallery« sind drei Landschaften und ein allegorisches Bild »The Sower of the Systemsvon Watts ausgestellt. Das letztere stellt eine, den Samen oder die Keime ausstreuende Figur dar, welche das Universum bilden sollen. Nur ein Künstler allerersten Ranges, wie es der Meister noch heute in seinem 87. Jahre bleibt, konnte sich mit Erfolg an die Bewältigung eines so schwierigen Themas heranwagen. Aber auch die drei Landschaften sind für den Kenner nicht ohne Allegorie, ja, sie besitzen sogar eine intimere Bezüglichkeit sowohl durch den Titel, als auch dadurch, dass sie die unmittelbare Naturumgebung des Künstlerveteranen in Surrey schildern. Die Namen lauten: »Die beiden Wege«, »Das Ende des Tages« und »Grüner Sommer«. Bei den letztgenannten Arbeiten tritt die Symbolik sogar in direkte Verbindung mit der Person des Meisters. Das »Ende des Tages« zeigt uns in einer schön gestimmten Abendlandschaft die untergehende Sonne, eine nur zu leicht verständliche Allegorie, während in dem »Grünen Sommer« der, mitten unter seinen mit Laub bedeckten Gefährten, fast kahl zum Himmel strebende mächtige, aber dem Ausgehen bereits bedenklich nahe Baumstamm sehr deutlich besagt, was hier gemeint sein soll. Wir haben in diesen Werken mehr ideale Visionen und noble Phantasiegebilde vor uns, als gerade Landschaftsbilder im wörtlichen Sinne. In der englischen Presse wird Watts jetzt vielfach, ebenso wie früher Gladstone, »The old grand mangenannt.
Whistler’s Porträt, angefertigt von dem in Paris domizilierenden Italiener Boldini, kann als das eigentliche Jahresbild in der »New Gallery« angesehen werden, auf welches sich das Hauptinteresse des grossen Publikums konzentriert. Innere Erfassung, äusserste Realistik, verbunden mit unübertroffener Technik, haben ein so ausserordentliches Bild hervorgebracht, dass man dies Werk als das letzte Wort betrachten möchte, das die moderne Kunst uns zu sagen hat. Alles in allem besitzt das Bild einen dämonischen Reiz. Von ferneren Gemälden erwähne ich noch Walter Crane’s bedeutendes Werk »The Fates«, zu deutsch »Die drei Parzen«, Sir James Linton’s »Madonna mit dem Kinde«, Shannon’s »Baron Meyer« und John Collier’s »Mignon« nach Goethe’s »Wilhelm Meister«. Trotz der grossen Anhäufung des vorliegenden Materials möchte ich doch nicht unterlassen, auf drei interessante Arbeiten von Damen hier aufmerksam zu machen. Die Prinzessin Viktoria Augusta beschickte die »New Gallery« mit einem,
zum Gedächtnis ihres in Afrika während des Krieges verstorbenen Bruders Christian Viktor, schön in silbervergoldeten und emaillierten Kreuz, das für die Kathedrale in Prätoria bestimmt ist. Eine hübsch modellierte Statuette der »Artemis« stammt aus dem im St. James-Palast befindlichen Atelier der Gräfin Feodora Gleichen, und Miss Elinor Halle, die Schwester des Direktors, sandte eine Reihe der nach ihren Zeichnungen angefertigten, sehr begehrten Schmuckgegenstände.
Unter den in der Aquarellgesellschaft ausgestellten und nach wie vor als »Drawings« bezeichneten Gemälden erwähne ich als hervorragend: Sir E. Poynter’s landschaftliche Scenen, acht Arbeiten Professor von Herkomer’s, figürlichen Inhalts und »Ablieferung des Zehnten«, ein Werk des Präsidenten der Gesellschaft. In letzterem zeigt uns Mr. E. R. Hughes eine reizende weibliche Figur mit einem Korb voller Äpfel.
Wie alljährlich, so findet auch diesmal zur Zeit eine Sonderausstellung in der »Guildhall« statt. Dieselbe gilt älteren und modernen Niederländern. Im ganzen kann über das, was hier dem Publikum geboten wird, nur Löbliches berichtet werden, wenngleich es augenscheinlich ist, dass mehrere mit »Rembrandt« bezeichnete Werke unter falscher Flagge segeln. Eine Ausstellung, in der Rembrandt, Frans Hals, Cuyp, Vermeer, Terborch, Gérard Dou, Hobbema, Ruisdael, van Huysum, van Aelst, van Os und die modernen Meister: Joseph Israels, Jakob Maris und Mesdag gut vertreten sind, nur erwähnen zu müssen, erscheint bedauerlich, aber der Raumverhältnisse wegen leider unabweisbar. Israels wurde in einer von den Künstlergenossen ihm zu Ehren veranstalteten Feierlichkeit, der der Lord Mayor auch beiwohnte, besonders hoch geehrt. Der Künstler hielt eine Rede, in welcher ein Vergleich Rembrandt’s mit Spinoza zum Ausdruck gelangte.
Die Vorliebe für Miniaturen hat in dem vergangenen Jahrhundert niemals ganz aufgehört, ja, die letzten Jahre waren für diesen Kunstzweig so verheissende, dass ihm die Wiederkehr des goldenen Zeitalters bevorzustehen scheint. Für gute Porträts von Cosway und Plimer zahlen Liebhaber auf den Auktionen bis zu 20000 Mark. Der Präsident der Gesellschaft der »Miniature Painters«, Sir William Richmond und Dr. G. C. Williamson, der sich hauptsächlich durch seine Biographien über Miniaturmaler einen bedeutenden Ruf erworben hat, sind die hervorragendsten Aussteller in der »Modern Gallery«. In den jüngst vergangenen Tagen errichtete Mr. Alfred Praga in Kensington eine Schule für angehende Künstler, welche sich dem Miniaturfach widmen wollen.
Seitdem im November vorigen Jahres das Vermächtnis Lord Cheylesmore’s der Verwaltung des British Museums ausgehändigt wurde, haben die Beamten der betreffenden Kupferstichabteilung die Sammlung geprüft und geordnet. Die Kollektion besteht aus zwei Unterabteilungen: englische Mezzotintblätter allgemeinen Inhalts und Porträts königlicher und fürstlicher Persönlichkeiten in der verschiedensten Manier