Kunstsinn der Einwohnerschaft, dass gerade aus den Kreisen privater Bauherren die einheimische Kunstentwickelung, die architektonische und die damit zusammenhängende kunstgewerbliche, eine so nachdrückliche Förderung empfangen hat. Der Sinn für künstlerischen Komfort der häuslichen Umgebung ist hier weit verbreitet. Unter dem Einfluss dieser Bestrebungen beginnt sich auch das Strassenbild sichtlich zu seinem Vorteil umzugestalten. An Stelle der akademischen Renaissanceschablone schafft sich die malerisch gruppierende, aus den Bedürfnissen des Wohnens herausgewachsene Bauweise des nationaldeutschen Bürgerhauses besonders energisch Bahn. Unter den Architekten, deren Thätigkeit in diesem Sinn am erfolgreichsten auf die Entwickelung der Stadt eingewirkt hat, stehen Curjel & Moser und Professor Billing in erster Linie, ln strenger historischen Bahnen bewegen sich Oberbaurat Schäfer, Professor Ratzel und Walder-Rauschenberg.
ic wiDMER.
BÜCHERSCHAU
Meisterwerke der niederländischen Malerei des XV. und XVI. Jahrhunderts auf der Ausstellung zu Brügge. Herausgegeben von Max J. Friedländer. München, Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G., 1903.
Die Brügger Leihausstellung von 1902 von Max J. Friedländer. Berlin, Georg Reimer, 1903.
Ein grosses weit aufgeschlagenes Buch von blendender Weisse der Ränder, innen ganz mit merkwürdigen Bildern angefüllt, umgafft von zehn oder zwölf eifrig verzerrten Köpfen, von den Köpfen einige mit seltsamen retortenhaft gebildeten Spürnasen, die Schädel sämtlich gläsern durchsichtig und verratend, dass auch sie mit übereinander getürmten alten Bilderhaufen angefüllt sind — so etwa würde unser lieber Meister HeilignamWaldgenand von Aachen (sei mir gestattet den Hieronymus Bosch so zu verdeutschen) in einem Gemälde, das am besten in einem abgelegenen, nur auf Maultierpfaden erreichbaren Kloster Portugals bewahrt werden und von Altmeister Karl Justi entdeckt sein müsste, den Eindruck schildern, den das jetzt in stolzer Schöne erscheinende Werk des Bruckmannschen Verlages über die mit tausend Zungen beredete Brügger Primitivenschau des vergangenen Jahres hervorruft. Max J. Friedländer, einem der beweglichsten und eifrigsten Helfer Wilhelm Bode’s bei dessen Herkulesthat der Kunstverstaatlichung, war es beschieden, Auswahl, Anordnung, Bestimmungen und erklärende Worte jenem eigentlich ersten Atlas nordischen Quattrocentos zu geben, der auf Jahre hinaus für das Schauen der Kunstfreunde, das Forschen der Fachgezwungenen, das Vergleichen der Händler Mittelpunkt bleiben wird. Die Verlagsfirma thäte gut, dieses Buch als herrischen Gesandten den Amerikanern im nächsten Jahre nach St. Louis zu senden. Man kann wohl sagen, dass die Tafeln in der Wiedergabe der oft mit hunderten geliebter kleiner Dinge angefüllten Bilder das äusserste leisten, was — wenn man überhaupt einen bestimmten Verkaufspreis als Grenze anerkennen will — bis zum heutigen Tage möglich wurde. Erleichtert war die Aufgabe natürlich dadurch, dass alle die — jetzt längst wieder nach allen Ecken Europas zurückgewanderten — Kostbarkeiten an einem und demselben Orte und unter verhältnismässig günstigen Beleuchtungsumständen (im Hofe des Gouvernementsgebäudes) aufgenommen werden konnten. An der immer noch verbleibenden Wertverschiedenheit der einzelnen Abbilder sind die Originale schuld. Es wird niemand verwundern, dass die in braunem Firnis verborgenen Meisterwerke des grossen Nervösen »Herri de Bles«, die Erwählung Joseph’s und das erstaunliche
Nachtstück der Heilandsgeburt (Tafeln 75 und 76) nicht mit gleich schöner Klarheit herausgekommen sind wie das fast jungfräulich erhaltene Bildnis des Mannes mit der eingedrückten Nase von Memling im Mauritshuis (Tafel 35), wo Photograph und Drucker uns jede Bartstoppel, jeden Sprung der Farbschicht aufbewahren konnten. Ein Ein wand wäre vielleicht gegen die durchgehende Verwendung eines hellbraunen, nicht mehr recht neutral wirkenden Farbtones zu erheben. So fordert doch das mit raffinierter Abmessung geschaffene Verkündigungsbild Gérard David’s (Tafeln 47 und 48) gebieterisch blauen Ton; übrigens hätte man, um den Eindruck nicht zu zerreissen, Engel und Jungfrau auf einem Blatte vereinigen müssen. Die Judith des Jan Massys (Tafel 68), dieses siegende Werk einer in die feinsten Gefühlsverästelungen hineindringenden künstlichen Sinnlichkeit, verlangt für die Reproduktion das satteste Schwarz des Ebenholzes; den die Gruppen revolutionär durcheinander werfenden holländischen Kalvarienberg der Sammlung Glitza (Tafel 83) sehe ich in Rot. Der weisse, starke und doch biegsame Karton der Tafeln ist vortrefflich, der Druck des Textes in guter Antiqua in Versalien und zwei Schriftgrössen verständig angeordnet. Das Papier der Textseiten würde ich stärker und etwas gelblicher wünschen, ähnlich wie bei dem im G. Grote’schen Verlage erschienenen Werke über die 1898er Berliner Renaissanceausstellung. Diesem typographisch mustergültigen Stücke ist doch wohl auch der Einband des Bruckmann’schen Buches — einfacher braungrauer Karton, als einzige Verzierung blockmässig angeordneter Titeldruck auf Deckel und Rücken — nachgebildet; halten wird er freilich nur bei mässiger Benutzung. Störend wirkt das blaugrau gefaserte Vorsatzpapier.
Bei der Auswahl der Tafeln — es ist leichter zehn oder zweihundert als neunzig unter vierhundert Gegenständen herauszuheben — war das Bestreben leitend, die geschichtliche Entwickelung der niederländischen Malerei sichtbar zu machen, soweit möglich, durch Hauptwerke. Ein schweres Hindernis ist zu erkennen: die Mehrzahl der Bilder, auf die es eigentlich ankommt, befinden sich in grossen Museen, in Kirchen und Privatsammlungen, die nichts hergeben; man denke nur an den Genter Aitar, an die Hauptwerke Roger’s de la Pasture in Berlin und Madrid, an das grosse Dreikönigsbild des jungen Mabuse beim Earl of Carlisle. Innerhalb dessen, was die Ausstellung bot, ist im allgemeinen ohne Kuriositätensucht und mit künstlerisch wertendem Geschmacke gewählt worden. Da die zum Teil sehr hervorragenden französischen Bilder — die als Nutzniesser der Eyckischen Eroberung doch hätten mitgezählt werden können — und ebenso die wenigen, aber interessanten westfälischen und kölnischen mit Absicht fortgelassen wurden, die holländischen Werke aber ihren Platz ausserhalb der Entwickelungsreihe in einer Art Anhang am Schluss bekamen, so bringt der Band in der Hauptsache nur die Kunstthätigkeit in Flandern zur Anschauung. Bei dem wenigen, was von Roger vorgeführt werden konnte, hätte ich an Stelle der recht schwachen, im Gesichtsausdruck unbelebten, in der Haltung des Kindes übertrieben harten Madonna (Tafel 13) lieber das, wenn auch beschädigte, so doch ausserordentlich vornehme und gewinnende Jünglingsporträt der Sammlung Cardon (im Dezemberheft dieser Zeitschrift reproduziert) gesehen. Glänzend ist für Bouts gesorgt, das Lukasbild aus der Sammlung des Lord Penrhyn (Tafel 21) wird mir freilich in der Reproduktion noch immer zweifelhafter. Unter den Memlings würde ich dem geheimnisvoll seelenkünderischen frühen Bilde des betenden Knaben aus der Sammlung Salting lieber den Platz gegeben haben, den der ja hinreichend bekannte Martin van
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BÜCHERSCHAU
Meisterwerke der niederländischen Malerei des XV. und XVI. Jahrhunderts auf der Ausstellung zu Brügge. Herausgegeben von Max J. Friedländer. München, Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G., 1903.
Die Brügger Leihausstellung von 1902 von Max J. Friedländer. Berlin, Georg Reimer, 1903.
Ein grosses weit aufgeschlagenes Buch von blendender Weisse der Ränder, innen ganz mit merkwürdigen Bildern angefüllt, umgafft von zehn oder zwölf eifrig verzerrten Köpfen, von den Köpfen einige mit seltsamen retortenhaft gebildeten Spürnasen, die Schädel sämtlich gläsern durchsichtig und verratend, dass auch sie mit übereinander getürmten alten Bilderhaufen angefüllt sind — so etwa würde unser lieber Meister HeilignamWaldgenand von Aachen (sei mir gestattet den Hieronymus Bosch so zu verdeutschen) in einem Gemälde, das am besten in einem abgelegenen, nur auf Maultierpfaden erreichbaren Kloster Portugals bewahrt werden und von Altmeister Karl Justi entdeckt sein müsste, den Eindruck schildern, den das jetzt in stolzer Schöne erscheinende Werk des Bruckmannschen Verlages über die mit tausend Zungen beredete Brügger Primitivenschau des vergangenen Jahres hervorruft. Max J. Friedländer, einem der beweglichsten und eifrigsten Helfer Wilhelm Bode’s bei dessen Herkulesthat der Kunstverstaatlichung, war es beschieden, Auswahl, Anordnung, Bestimmungen und erklärende Worte jenem eigentlich ersten Atlas nordischen Quattrocentos zu geben, der auf Jahre hinaus für das Schauen der Kunstfreunde, das Forschen der Fachgezwungenen, das Vergleichen der Händler Mittelpunkt bleiben wird. Die Verlagsfirma thäte gut, dieses Buch als herrischen Gesandten den Amerikanern im nächsten Jahre nach St. Louis zu senden. Man kann wohl sagen, dass die Tafeln in der Wiedergabe der oft mit hunderten geliebter kleiner Dinge angefüllten Bilder das äusserste leisten, was — wenn man überhaupt einen bestimmten Verkaufspreis als Grenze anerkennen will — bis zum heutigen Tage möglich wurde. Erleichtert war die Aufgabe natürlich dadurch, dass alle die — jetzt längst wieder nach allen Ecken Europas zurückgewanderten — Kostbarkeiten an einem und demselben Orte und unter verhältnismässig günstigen Beleuchtungsumständen (im Hofe des Gouvernementsgebäudes) aufgenommen werden konnten. An der immer noch verbleibenden Wertverschiedenheit der einzelnen Abbilder sind die Originale schuld. Es wird niemand verwundern, dass die in braunem Firnis verborgenen Meisterwerke des grossen Nervösen »Herri de Bles«, die Erwählung Joseph’s und das erstaunliche
Nachtstück der Heilandsgeburt (Tafeln 75 und 76) nicht mit gleich schöner Klarheit herausgekommen sind wie das fast jungfräulich erhaltene Bildnis des Mannes mit der eingedrückten Nase von Memling im Mauritshuis (Tafel 35), wo Photograph und Drucker uns jede Bartstoppel, jeden Sprung der Farbschicht aufbewahren konnten. Ein Ein wand wäre vielleicht gegen die durchgehende Verwendung eines hellbraunen, nicht mehr recht neutral wirkenden Farbtones zu erheben. So fordert doch das mit raffinierter Abmessung geschaffene Verkündigungsbild Gérard David’s (Tafeln 47 und 48) gebieterisch blauen Ton; übrigens hätte man, um den Eindruck nicht zu zerreissen, Engel und Jungfrau auf einem Blatte vereinigen müssen. Die Judith des Jan Massys (Tafel 68), dieses siegende Werk einer in die feinsten Gefühlsverästelungen hineindringenden künstlichen Sinnlichkeit, verlangt für die Reproduktion das satteste Schwarz des Ebenholzes; den die Gruppen revolutionär durcheinander werfenden holländischen Kalvarienberg der Sammlung Glitza (Tafel 83) sehe ich in Rot. Der weisse, starke und doch biegsame Karton der Tafeln ist vortrefflich, der Druck des Textes in guter Antiqua in Versalien und zwei Schriftgrössen verständig angeordnet. Das Papier der Textseiten würde ich stärker und etwas gelblicher wünschen, ähnlich wie bei dem im G. Grote’schen Verlage erschienenen Werke über die 1898er Berliner Renaissanceausstellung. Diesem typographisch mustergültigen Stücke ist doch wohl auch der Einband des Bruckmann’schen Buches — einfacher braungrauer Karton, als einzige Verzierung blockmässig angeordneter Titeldruck auf Deckel und Rücken — nachgebildet; halten wird er freilich nur bei mässiger Benutzung. Störend wirkt das blaugrau gefaserte Vorsatzpapier.
Bei der Auswahl der Tafeln — es ist leichter zehn oder zweihundert als neunzig unter vierhundert Gegenständen herauszuheben — war das Bestreben leitend, die geschichtliche Entwickelung der niederländischen Malerei sichtbar zu machen, soweit möglich, durch Hauptwerke. Ein schweres Hindernis ist zu erkennen: die Mehrzahl der Bilder, auf die es eigentlich ankommt, befinden sich in grossen Museen, in Kirchen und Privatsammlungen, die nichts hergeben; man denke nur an den Genter Aitar, an die Hauptwerke Roger’s de la Pasture in Berlin und Madrid, an das grosse Dreikönigsbild des jungen Mabuse beim Earl of Carlisle. Innerhalb dessen, was die Ausstellung bot, ist im allgemeinen ohne Kuriositätensucht und mit künstlerisch wertendem Geschmacke gewählt worden. Da die zum Teil sehr hervorragenden französischen Bilder — die als Nutzniesser der Eyckischen Eroberung doch hätten mitgezählt werden können — und ebenso die wenigen, aber interessanten westfälischen und kölnischen mit Absicht fortgelassen wurden, die holländischen Werke aber ihren Platz ausserhalb der Entwickelungsreihe in einer Art Anhang am Schluss bekamen, so bringt der Band in der Hauptsache nur die Kunstthätigkeit in Flandern zur Anschauung. Bei dem wenigen, was von Roger vorgeführt werden konnte, hätte ich an Stelle der recht schwachen, im Gesichtsausdruck unbelebten, in der Haltung des Kindes übertrieben harten Madonna (Tafel 13) lieber das, wenn auch beschädigte, so doch ausserordentlich vornehme und gewinnende Jünglingsporträt der Sammlung Cardon (im Dezemberheft dieser Zeitschrift reproduziert) gesehen. Glänzend ist für Bouts gesorgt, das Lukasbild aus der Sammlung des Lord Penrhyn (Tafel 21) wird mir freilich in der Reproduktion noch immer zweifelhafter. Unter den Memlings würde ich dem geheimnisvoll seelenkünderischen frühen Bilde des betenden Knaben aus der Sammlung Salting lieber den Platz gegeben haben, den der ja hinreichend bekannte Martin van