Nieuwenhoven aus dem Johannisspital (Tafel 34) einnimmt. Dass der in einigen Momenten dramatisch bewegte, in der Formengebung aber gemein spiessbürgerliche Maler, der wohl etwas früher als Memling die Ursulalegende in einer jetzt bei den Schwarzen Schwestern in Brügge bewahrten Bilderfolge darstellte, in einer doch nicht ausschliesslich für Kunsthistoriker bestimmten Veröffentlichung mit vier Tafeln bedacht wurde, war vielleicht nicht unbedingt nötig. Dagegen vermisse ich ungern bei Gérard David das für das Können und Nichtkönnen des nach so mancher Hinsicht die Entwickelung abschliessenden Meisters so äusserst bezeichnende zweite Brügger Rathausbild mit der Strafe des Sisamnes: das hübsche Wort Weale’s »the flaying of a man is by no means a pleasant thing to look at« durfte hier nicht Wahlspruch werden. Die mit ihren militärisch aufgereihten Engelregimenten unrettbar langweilig wirkende Krönung der Maria von Albert Cornelis, die schon von ihren Bestellern nur unter Widerspruch angenommen wurde (Tafel 56), hätte fortbleiben können, nicht fehlen aber durfte ein so wichtiges Stück wie das von Mabuse zur Frühzeit des »Bles« hinüberleitende, in der Feinheit der Ausführung gleich neben dem berühmten Malvagna-Altärchen in Palermo stehende kleine Dreiblatt mit der Anbetung der Könige aus dem Besitz von Sir Fr. Cook: besonders in der Nebenscene der Ausgiessung des heiligen Geistes zeigt das kleine Werk eine in dieser Zeit wohl einzige Heftigkeit der Bewegung. In der Reihe der holländischen Bilder endlich hätte ich gerne noch die in der dramatischen Hingegebenheit der Darstellung wie in der hellen auf Rot gestimmten Haltung ausserordentliche Beweinung Christi der Sammlung Martin Le Roy in Paris und vielleicht, da doch Engelbrechtsz und Lukas van Leyden gezeigt wurden, auch eines der drei in Brügge ausgestellten Werke des Jakob Cornelisz erblickt.
Die 35 Textseiten eines Autors, den man wohl als den am weitesten vorausgelaufenen zuin mindesten unter den jüngeren Spürern altniederländischer Kunst bezeichnen kann, stellen, wie zu erwarten war, eine reiche Quelle teils gebieterischer, teils freundlich eingehender Belehrungen, aber auch oft ein Kampffeld für streitende Erörterung dar. Die Forschungen der Fachgenossen sind mit gebührender Nennung der Namen und der Stelle der Veröffentlichung angezeigt; auch der auf weit beschränkterem Gebiete angestellten Bemühungen des Referenten ist bei Gelegenheit von Cornelis Engelbrechtsz gedacht worden. Aus Hintergründen fällt oft blitzartiges Licht auf Kunstwerke, die in der Ausstellung nicht zu sehen waren. Schade ist es, dass der freilich sehr viel beschäftigte Verfasser nur katalogartig eine Anzahl von Bemerkungen zu jeder der einzelnen Tafeln bietet und nicht die Ruhe gefunden hat, in zusammenhängender Darstellung die geistigen Werte der zur Anschauung gebrachten Dinge in Worte zu fassen. Welche Fähigkeiten ihm auch hierfür zu Gebote stehen, dafür seien Beispiele die Bezeichnung der überreichen Porträtstudie des Massys aus der Sammlung von Mad. André: »ein frecher und sinnlicher Kopf von monumentalem Schnitt«, die schlagend einfache Charakteristik der Landschaften Patinir’s als »etwas geographisch aufgefasst«, der Satz über die Kreuztragung von Bosch im Genter Museum »Ein Kranz geifernder verzerrter Verbrecherköpfe ist um das Haupt Christi geschlungen, Gebilde eines beängstigenden Traumes«, und die schönen Worte über den älteren Brueghel.
Auch in dem äusserst zusammengedrängten, soeben bei Georg Reimer in Berlin erschienenen Hefte (Abdruck aus dem März- und dem Maiheft des Repertoriums für Kunstwissenschaft), wo Friedländer jedem einzelnen, selbst noch dem allergeringsten der in Brügge ausgestellt gewesenen Bilder mindestens ein richtendes Wort hin
wirft, finden sich Sätze von gutem, scharf geprägtem Metall. So wenn über Patinir gesagt wird (S. 37): »Seine Faltenlinien sind stets sachlich und prosaisch, verglichen mit den melodiösen Schwingungen, mit denen Metsys fast berauschende Wirkung erreicht«. Ferner die von warmem Gefühl getragene Kennzeichnung jenes grossen Franzosen, der, sicher von Hugo van der Goes angeregt, die hell leuchtende Marienglorie von Moulins geschaffen hat (S. 53), die Schilderung den freundlichen und dabei künstlich aufgeregten Art des Provinzmalers Jean Bellegambe (S. 46). Klar und sicher unterrichtet auch der Abschnitt, wo die Nebelschleier über der Gestalt des Herri met de Bles mit scharfer Energie zerschnitten werden, freilich mit dem pessimistisch stimmenden Ergebnis, dass hinter dem Vorhang nicht mehr viel zu sehen bleibt (S. 39 u. 40). An vielen Strecken werden wir leider im Eilzugstempo durch einen Wald von Bildern geführt, die bald vor dem geistigen Auge einen wirren Tanz aufzuführen beginnen — doch eine Art »danse macabre«. Eine eingehende Erörterung der Gründe und Gegengründe für eine abgelehnte Bestimmung wird unterlassen (S. 4, die Petrus Christus zugeschriebene Beweinung Christi in Brüssel), ein Wissen angedeutet, aber nicht ausgebreitet und so der später kommende Forscher beunruhigt, ohne dass die Wissenschaft um genaue Daten bereichert würde (S. 15, bei Gelegenheit des Antwerpener »van der Meire«: »Sonst kenne ich noch mehr als zehn Bilder von seiner Hand«, S. 26, der Meister der Antwerpener Deipara Virgo »der in Segovia, im Prado und sonst vielfach vertreten ist«), Stücke, die im Kunsthandel fluktuieren oder längst aus ihm »unbekannt wohin« verschwunden sind (S. 27 oben, S. 20 oben) werden undeutlich zitiert; bis nach Columbia (das in Nord- oder das in Südamerika?) reichen die Fernrohre (S. 36 oben). Ein wenig ergreift mich die Angst, die letzten Unterschiede, die zwischen der Betrachtung von Kunstwerken und einem Hürdenrennen noch bestehen, könnten schwinden.
Jedenfalls wird Friedländer’s Schrift neben dem mit der Kühnheit römischer Aquädukte zwischen Historie, Heraldik, Archivforschung und Bilderkenntnis die Brücken schlagenden »Catalogue critique« des jetzt hinter der Maske eines Georges H. de Loo hervortretenden Genter Professors G. Hulin (eine erweiterte Neuauflage dieser wichtigsten belgischen Kunstpublikation der letzten Jahre ist in Aussicht gestellt!) auf lange Zeit hin von jedem, der über altniederländische Bilder sprechen will, zu Rate gezogen werden müssen. Mir, dem schon an Jahren, vor allem aber nach dem Datum des Eintrittes in die Arbeit des Sichtens und Ordnens alter Kunstwerke, um so viel jüngeren ziemt es nicht, hier die Punkte sämtlich namhaft zu machen, in denen ich nach der bisher mir gewordenen Erkenntnis anders sehe und werte. Den Lesern der »Zeitschrift für bildende Kunst« hoffe ich aber noch in zwei Aufsätzen sagen zu können, was ich in jenen allzu kurzen Brügger Tagen mit den dort versammelten holländischen und mit den südniederländischen Gemälden von der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erlebte.
Endlich sei noch darauf hingewiesen, dass der Bruckmann’sche Verlag, unabhängig von dem grossen und nicht für jeden erschwinglichen Prachtwerke nicht weniger als 198 seiner bekannten Pigmentdrucke nach den in Brügge ausgestellten Bildern hat anfertigen können und sie zu dem ebenfalls bekannten, verdienstlich billigen Preise von 1 Mark das Stück in den Handel bringt. Etwas unvermittelter im Absetzen der Lichter und Schatten als die zumal im Ton ausserordentlich zarten Tafeln des Buches, wirken sie doch wie eine Wohlthat inmitten des Photographienmaterials, mit dem der Freund gerade des hier