Blatt VII. Männlicher Akt, der Oberkörper vorwärts geneigt. Schwarze Kreide. Von den Publizierenden mit dem Matthaeus, den Michelangelo im Auftrag der Florentiner Domopera arbeitete, in Zusammenhang gebracht; ausserdem wird die Verwandtschaft mit dem einen »Gefesselten« für das Juliusgrab — jetzt in der Grotte des Boboli-Gartens — notiert.
Blatt VIII. Unterteil einer nackten weiblichen Figur, vielleicht für die »Maria«, oder auch für eine andere Gestalt des »Jüngsten Gerichts«.
Blatt IX. Nackte liegende männliche Figur, erster Entwurf für den »Tizius mit dem Geier«. Schwarze Kreide. Rückseite: flüchtige topographische Zeichnung.
Blatt X. Skizze von drei Figuren, vielleicht einer der Lünetten. Entwurf der »Leda«, Silberstift, die Beine mit der Feder überarbeitet.
Die Herren, die den Artikel gemeinsam verfassten, weisen noch zur Bekräftigung der Autentizität auf einzelne Äusserlichkeiten — ein paar beigeschriebene Worte in Michelangelo’s Handschrift, die Wasserzeichen, die auf anderen Skizzenblättern des Meisters sich wiederfinden — hin. Sie führen das zustimmende Urteil zweier Autoritäten, A. von Beckerath’s und B. Berenson’s, an. Des einen wie des anderen bedarf es nicht. Es genügt, die Reproduktionen, die sie bringen, zu betrachten, um auf den ersten Blick Michelangelo’s gewaltige Fland zu erkennen.
Zehn unbekannte Blätter mit ungefähr vierzig Entwürfen von Michelangelo: in der That ein schöner, ein hocherfreulicher Zuwachs zu dem Schatz von Zeichnungen, die wir schon von ihm unser Eigen nennen.
Nur eines wolle man mit allen Kräften verhüten, dass ein solcher Fund, der geeignet ist, unserem Eindringen in die Werkstatt des grossen Schaffens vorwärts zu helfen, der Sensationslust zum Opfer falle, wie es auch dieses Mal wieder geschah. Von Michelangelo besitzen wir an verschiedenen Stellen alle Richtungen seiner Potenz illustrierende Studienblätter. Bekümmert sich je das Publikum um diese, oft durch Erhaltung und bedeutende Qualitäten gleich fesselnde Erzeugnisse des Genius? Was hat also dieses sensationelle Berichten in der Tagespresse für Sinn?
Nicht ohne schmerzliches Bedauern kann man daran denken, wie wenig bisher von der Wissenschaft für die feinsten Erzeugnisse genialer Konzeption, die Zeichnungen der Meister, gethan ist. Die Studien Michelangelo’s, ebenso wie die Raffael’s und Leonardo’s, sind immer noch zum Teil unediert; es fehlt oft sogar an den kritischen Vorarbeiten dazu. Gerade bei Michelangelo bieten sich der Erkenntnis besondere Schwierigkeiten, die doch einmal, früher oder später, sei es durch die Arbeit eines einzelnen, sei es das gemeinsame Vorgehen mehrerer, behoben werden müssen. Wie sehr wir über die Chronologie der Zeichnungen Michelangelo’s noch im Dunkeln sind, das beweist gerade die oben besprochene Publikation aufs deutlichste, wo gelegentlich Blätter mit zwei zeitlich weit auseinander liegenden Werken in Verbindung gebracht werden.
Es gilt hier vor allem feste Punkte zu gewinnen, von denen aus man andere Arbeiten wird datieren können. Wir müssen erkennen lernen, wie Michelangelo in den verschiedenen Epochen seines Lebens Feder und Stift führte. Das ist möglich, muss möglich sein für einen, der keine Mühe und keine Kosten scheut.
Und sollte es nicht angehen, dass für die Grössten der italienischen Renaissance das gethan wird, was mit so viel Erfolg für Dürer, für Rembrandt, ja sogar für einen Hans Baidung geschah? Sollte sich nicht eine Vereinigung von Kunstfreunden schaffen lassen, die die hierfür nötigen bedeutenden Mittel aufbringt? An Staatshilfe wagt man kaum zu denken, wo es sich um eine rein ideelle Aufgabe, nicht um philologischhistorischen Kleinkram handelt.
Möchte solch ein Wunsch, der kostbaren Besitz allgemein zugänglich machen will, das Ohr derjenigen erreichen, denen mehr Macht und Einfluss zu Gebote stehen, als Feder und Papier, ihn zu formulieren. GEORG GRONAU.
EIN VERKANNTES BLATT VON MICHELANGELO
IN FRANKFURT
Im Städel’schen Institut zu Frankfurt am Main befindet sich ein dem Francesco Ubertini, genannt Bacchiacca, zugeschriebenes Blatt 1). Darauf ein Frauenkopf en face mit phantastischem Kopfschmuck, ein Knabenkopf, auch en face, Studie eines Beines, Studie eines Ohres. Alles mit Rötel gezeichnet. Dies Blatt ist nicht von Bacchiacca, sondern von Michelangelo. Es ist wahr, dass sich in den Uffizien verschiedene dem Michelangelo irrtümlich zugeschriebene Frauenstudien befinden, worunter auch eine (Braun Nr. 185), die einen ähnlichen Typus zeigt wie der zuerst genannte Frauenkopf und welche schon von Morelli dem Bacchiacca zugeschrieben wurden. Diese sind aber Nachahmungen, teils nach dem Frankfurter Kopf, teils nach anderen in verschiedenen Sammlungen sich befindenden Zeichnungen. Eine andere Frauenstudie desselben Typus, besser als die in den Uffizien, befindet sich als Kleopatra in Casa Buonarroti, eine dritte in Windsor Castle (Braun 112). Die Beinstudie von ausgeprägtem michelangelesken Formgefühl, zu vergleichen mit Studien auf einem Blatt im Museum Teyler in Haarlem (Marcuard, Tafel VII), die höchst charakteristische Ohrstudie dürften schon vor Irrtum bewahren. Der Knabenkopf mit einem über der Stirn gebundenen Tuch begegnet wieder auf einer Zeichnung mit Bogenschützen, wovon zwei Kopien in Windsor Castle (Braun 124 und 111) und eine dritte in der Brera (Braun 2) sich befinden.
Übrigens bemerkt man auf dem Blatt ein Wort geschrieben mit der sehr charakteristischen, nicht zu verkennenden Handschrift Michelangelo’s 2).
1) Siehe den Text der Albertina-Publikation Nr. 21g. 2) Das hier wiedergegebene Wort Fiamma bittet man mit dem eigenhändigen Schreiben von dem Meister zu vergleichen,