Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch auf eine Thatsache aufmerksam machen, die, wie ich aus Äusserungen von Fachgenossen entnehmen konnte, jetzt fast unbekannt ist, dass nämlich die Teile des Sebastianaltares eine Zeitlang getrennt waren, indem bei Errichtung der Pinakothek die Flügel in diese, das Mittelbild aber in die Augsburger Galerie versetzt wurden. Erst um 1864 überbrachte man auch das letztere nach München. Nun hatte aber Eigner in Augsburg das Mittelbild in seiner Weise restauriert, indem er es austupfte, überging und mit seinem Wachsfirnisse versah, so dass es den stumpfen, bräunlichen Ton annahm, an dem der Kundige die Eigner’schen »Wiederherstellungen« erkennt. Würde man sämtliche Tafeln neu restaurieren, den etwas fleckigen, gelblich gewordenen Firnis der Flügel beseitigen und Eigner’s Übermalungen der Mitteltafel herunternehmen, so sähe die letztere koloristisch und formal genau so aus wie die Flügel. Das muss mit aller Entschiedenheit hier festgestellt werden!
W. SCHMIDT.
ORIGINALITÄT
Eine Betrachtung von Jonas Cohn
Der Beruf eines Kunstkritikers bringt die Notwendigkeit mit sich, grosse Massen von Bildern zu sehen und zu beurteilen. Wer es sich leicht machen will, der gewöhnt sich dabei eine Anzahl feststehender Urteile und Prädikate an, er lässt seine Auffassung der Kunst zu einem Schema erstarren und ordnet diesem Schema jedes neu gesehene Werk einfach ein. Diese Art von Kritik ist mit Recht in Verruf gekommen, weil sie gerade dem Bedeutenden und Neuen gegenüber jämmerlich versagen muss. Diejenigen Beurteiler, die heute noch ernst genommen zu werden verdienen, helfen sich im Kampfe mit der verwirrenden Menge von Eindrücken, die die immer wachsende Zahl von Ausstellungen ihnen aufnötigt, meist durch ein ganz entgegengesetztes Mittel. Sie stellen sich auf den Standpunkt eines vergleichenden Historikers und fragen: was giebt dieser Künstler für die Entwickelung der Kunst, dieses Werk für die Entwickelung seines Schöpfers Neues? Sie halten sich durch diese Betrachtungsweise den Sinn offen und schützen sich durch kurze, halb unwillige Erwähnung der blossen Abwandlungen alter Auffassungen vor dem Überdruss und vor der Überlastung des Gedächtnisses.
Aber ein Kunstwerk wird doch nicht geschaffen, um einen Platz in der Kunstgeschichte einzunehmen, es geht aus dem Ausdrucks- und Gestaltungsbedürfnis seines Schöpfers hervor, gerade bei echten Künstlern ohne Nebengedanken an das sonst schon Geschaffene. Es will in dem empfänglichen Beschauer einen starken Eindruck erzeugen; sein höchstes Ziel ist, dass ein Begeisterter vor ihm sich und die Welt, um wieviel mehr also die Konstruktionen der Kunstgeschichte vergisst. Es scheint also, dass die oben gekennzeichnete Betrachtungsart, so verständlich sie gerade bei ernstmeinenden Kritikern ist, doch nicht dem eigentlichen Kerne des Künstlerischen gerecht wird.
Aber, so werden die Angegriffenen hier leicht einwenden: »Ist nicht eigenes Schauen, eigenes Fühlen, selbständiges Gestalten das Kennzeichen des echten Künstlers, und zeigen nicht die Grossen im Reiche der Kunst ihre Grösse in der Eroberung neuer Welten für die Darstellung, im Erleben neuer Gefühle gegenüber der Welt,
im Entdecken neuer Darstellungsmittel?« Es ist leider nicht zu vermeiden, gegen solche Einwürfe das unmoderne, aber unentbehrliche Rüstzeug einer begrifflichen Unterscheidung hervorzuholen. Selbständig erlebt, geschaut muss jedes Werk sein, das als Kunstwerk wirken soll. Sogar der nachschaffende Stecher oder Radierer, dessen künstlerische Ehre, wie die ritterliche eines mittelalterlichen Lehnsmannes, in der Treue gegen einen Grösseren besteht, muss das nachzubildende Werk ganz selbständig erfasst haben, um es in der veränderten Technik wiedergeben zu können. Diese Selbständigkeit bedeutet aber keine Erweiterung des Kunstbereiches überhaupt, wiewohl sie natürlich die sklavische Kopie des Dagewesenen ausschliesst. Denn so wenig zwei Blätter eines Baumes ununterscheidbar gleich sind, ebensowenig existiert ein Geist, der der gespenstige Doppelgänger eines anderen wäre. Man wird also das Eigene im Sinne des Selbstgefühlten scharf zu scheiden haben vom Eigenartigen im Sinne des Neuen. Ob eine Zeichnung in jedem Striche Leben atmet, oder ob ihre Linien tote Kopien einer überkommenen Darstellungsart sind, das erkennt man aus der Betrachtung der Arbeit allein, ohne dass man nötig hätte, sie mit anderen Werken zu vergleichen; dagegen vermag nur der Kenner der Geschichte aus seiner Kenntnis heraus darüber zu urteilen, ob Darstellungsmittel und Darstellungsmöglichkeit eine Erweiterung erhalten haben. Auch die Behauptung, dass wenigstens alle Grossen Pfadfinder im Reiche der Kunst waren, bedarf der Berichtigung. Ein Domenico Ghirlandajo, Memling, Raffael, Tizian, Van Dyck zeichnen sich nicht in erster Linie durch Originalität aus; jedenfalls ist der Grad der Neuheit auch für den rückblickenden Historiker nicht das Mass, nach dem er die Bedeutung eines KünstlersJschätzt.
Diese Betrachtungen klingen etwas akademisch, aber es ergeben sich aus ihnen Folgerungen, die für das praktische Kunstleben unserer Tage von Bedeutung sind. Das Urteil des Kritikers wirkt direkt auf das Publikum, indirekt auch auf die Künstler, da diese für ihren materiellen und zum Teil auch ideellen Erfolg auf die öffentlichen Urteile angewiesen sind. Sehr leicht kommt die grössere Menge dazu, in Vergröberung des kritischen Begriffes Originalität nun einfach nach der »Neuheit« zu fragen, und, da eine Einsicht in die feineren künstlerischen Probleme fehlt, diese Neuheit in der jeweils neuesten Mode der Farbengebung oder Stoffwahl zu suchen. Es wird dann guter Ton, in einem Jahre symbolistischen Tiefsinn, im nächsten zerfliessende Stimmung, im dritten treue Naturwiedergabe zu verlangen. Unter den Künstlern werden die einen von den Schlagworten mitgerissen, die anderen von der Not gezwungen, der Mode zu folgen. Es gehört eine besondere Stärke der Begabnng oder des Charakters dazu, sich dem gegenüber nur von den sachlich begründeten Forderungen leiten zu lassen. So geht unter dem Rufe nach Neuheit und Eigenart vermöge einer seltsamen Dialektik gerade die wahre Selbständigkeit des Künstlers verloren; denn diese besteht darin, dass er unbeirrt dem Antriebe seiner Natur folgt und in der Art der Darstellung sich alle Errungenschaften der künstlerischen Technik aneignet, die dieser Natur gemäss sind. Wahrhaftigkeit ist seine Ehre, künstlerische Vollendung, die natürlich mit äusserlichem Fertigmachen nichts zu thun hat, das Ziel seiner Arbeit. Ob er Eigenart hat, das zu beurteilen, überlasse er anderen. Jede Sorge, die er darauf verschwendet, bringt ihn nur auf Abwege. Nach Vollendung kann man streben, Originalität muss man haben.
Gelten diese allgemeinen Erwägungen für jede Kunst, so kommen bei den bildenden Künsten im Gegensatz zur Poesie noch neue Umstände hinzu, die ein Beurteilen der
W. SCHMIDT.
ORIGINALITÄT
Eine Betrachtung von Jonas Cohn
Der Beruf eines Kunstkritikers bringt die Notwendigkeit mit sich, grosse Massen von Bildern zu sehen und zu beurteilen. Wer es sich leicht machen will, der gewöhnt sich dabei eine Anzahl feststehender Urteile und Prädikate an, er lässt seine Auffassung der Kunst zu einem Schema erstarren und ordnet diesem Schema jedes neu gesehene Werk einfach ein. Diese Art von Kritik ist mit Recht in Verruf gekommen, weil sie gerade dem Bedeutenden und Neuen gegenüber jämmerlich versagen muss. Diejenigen Beurteiler, die heute noch ernst genommen zu werden verdienen, helfen sich im Kampfe mit der verwirrenden Menge von Eindrücken, die die immer wachsende Zahl von Ausstellungen ihnen aufnötigt, meist durch ein ganz entgegengesetztes Mittel. Sie stellen sich auf den Standpunkt eines vergleichenden Historikers und fragen: was giebt dieser Künstler für die Entwickelung der Kunst, dieses Werk für die Entwickelung seines Schöpfers Neues? Sie halten sich durch diese Betrachtungsweise den Sinn offen und schützen sich durch kurze, halb unwillige Erwähnung der blossen Abwandlungen alter Auffassungen vor dem Überdruss und vor der Überlastung des Gedächtnisses.
Aber ein Kunstwerk wird doch nicht geschaffen, um einen Platz in der Kunstgeschichte einzunehmen, es geht aus dem Ausdrucks- und Gestaltungsbedürfnis seines Schöpfers hervor, gerade bei echten Künstlern ohne Nebengedanken an das sonst schon Geschaffene. Es will in dem empfänglichen Beschauer einen starken Eindruck erzeugen; sein höchstes Ziel ist, dass ein Begeisterter vor ihm sich und die Welt, um wieviel mehr also die Konstruktionen der Kunstgeschichte vergisst. Es scheint also, dass die oben gekennzeichnete Betrachtungsart, so verständlich sie gerade bei ernstmeinenden Kritikern ist, doch nicht dem eigentlichen Kerne des Künstlerischen gerecht wird.
Aber, so werden die Angegriffenen hier leicht einwenden: »Ist nicht eigenes Schauen, eigenes Fühlen, selbständiges Gestalten das Kennzeichen des echten Künstlers, und zeigen nicht die Grossen im Reiche der Kunst ihre Grösse in der Eroberung neuer Welten für die Darstellung, im Erleben neuer Gefühle gegenüber der Welt,
im Entdecken neuer Darstellungsmittel?« Es ist leider nicht zu vermeiden, gegen solche Einwürfe das unmoderne, aber unentbehrliche Rüstzeug einer begrifflichen Unterscheidung hervorzuholen. Selbständig erlebt, geschaut muss jedes Werk sein, das als Kunstwerk wirken soll. Sogar der nachschaffende Stecher oder Radierer, dessen künstlerische Ehre, wie die ritterliche eines mittelalterlichen Lehnsmannes, in der Treue gegen einen Grösseren besteht, muss das nachzubildende Werk ganz selbständig erfasst haben, um es in der veränderten Technik wiedergeben zu können. Diese Selbständigkeit bedeutet aber keine Erweiterung des Kunstbereiches überhaupt, wiewohl sie natürlich die sklavische Kopie des Dagewesenen ausschliesst. Denn so wenig zwei Blätter eines Baumes ununterscheidbar gleich sind, ebensowenig existiert ein Geist, der der gespenstige Doppelgänger eines anderen wäre. Man wird also das Eigene im Sinne des Selbstgefühlten scharf zu scheiden haben vom Eigenartigen im Sinne des Neuen. Ob eine Zeichnung in jedem Striche Leben atmet, oder ob ihre Linien tote Kopien einer überkommenen Darstellungsart sind, das erkennt man aus der Betrachtung der Arbeit allein, ohne dass man nötig hätte, sie mit anderen Werken zu vergleichen; dagegen vermag nur der Kenner der Geschichte aus seiner Kenntnis heraus darüber zu urteilen, ob Darstellungsmittel und Darstellungsmöglichkeit eine Erweiterung erhalten haben. Auch die Behauptung, dass wenigstens alle Grossen Pfadfinder im Reiche der Kunst waren, bedarf der Berichtigung. Ein Domenico Ghirlandajo, Memling, Raffael, Tizian, Van Dyck zeichnen sich nicht in erster Linie durch Originalität aus; jedenfalls ist der Grad der Neuheit auch für den rückblickenden Historiker nicht das Mass, nach dem er die Bedeutung eines KünstlersJschätzt.
Diese Betrachtungen klingen etwas akademisch, aber es ergeben sich aus ihnen Folgerungen, die für das praktische Kunstleben unserer Tage von Bedeutung sind. Das Urteil des Kritikers wirkt direkt auf das Publikum, indirekt auch auf die Künstler, da diese für ihren materiellen und zum Teil auch ideellen Erfolg auf die öffentlichen Urteile angewiesen sind. Sehr leicht kommt die grössere Menge dazu, in Vergröberung des kritischen Begriffes Originalität nun einfach nach der »Neuheit« zu fragen, und, da eine Einsicht in die feineren künstlerischen Probleme fehlt, diese Neuheit in der jeweils neuesten Mode der Farbengebung oder Stoffwahl zu suchen. Es wird dann guter Ton, in einem Jahre symbolistischen Tiefsinn, im nächsten zerfliessende Stimmung, im dritten treue Naturwiedergabe zu verlangen. Unter den Künstlern werden die einen von den Schlagworten mitgerissen, die anderen von der Not gezwungen, der Mode zu folgen. Es gehört eine besondere Stärke der Begabnng oder des Charakters dazu, sich dem gegenüber nur von den sachlich begründeten Forderungen leiten zu lassen. So geht unter dem Rufe nach Neuheit und Eigenart vermöge einer seltsamen Dialektik gerade die wahre Selbständigkeit des Künstlers verloren; denn diese besteht darin, dass er unbeirrt dem Antriebe seiner Natur folgt und in der Art der Darstellung sich alle Errungenschaften der künstlerischen Technik aneignet, die dieser Natur gemäss sind. Wahrhaftigkeit ist seine Ehre, künstlerische Vollendung, die natürlich mit äusserlichem Fertigmachen nichts zu thun hat, das Ziel seiner Arbeit. Ob er Eigenart hat, das zu beurteilen, überlasse er anderen. Jede Sorge, die er darauf verschwendet, bringt ihn nur auf Abwege. Nach Vollendung kann man streben, Originalität muss man haben.
Gelten diese allgemeinen Erwägungen für jede Kunst, so kommen bei den bildenden Künsten im Gegensatz zur Poesie noch neue Umstände hinzu, die ein Beurteilen der