Leistung nach anderen Gesichtspunkten als dem der Originalität fordern. Ein Gedicht kann immer und überall gelesen und gehört werden, man hat also ein gewisses Recht, blosse Varianten, die nichts Neues bringen, für zwecklos zu erklären. Auch in der Dichtung ist Neuheit keineswegs Wertmesser der Schönheit; aber wenn ein Dichter das von ihm selbst oder anderen Gesagte mit geringer Änderung wiederholt, thut er Zweckloses. Ein Bild dagegen oder ein plastisches Werk steht an einer Stelle des Raumes fest; soll eine ähnliche Wirkung anderswo erzielt werden, so muss man ein verwandtes Werk zu beschaffen suchen. Der Besitzer kann sich, sofern es sich nur um ein wirkliches Kunstwerk handelt, durch öfteres Beschauen in die feinsten Züge seines Bildes hineinleben, so dass hier auch das stille und weniger eigenartige Talent, das eine Anregung eines Grösseren in seiner Art ausgestaltet, sein Recht hat. In erhöhtem Masse gilt diese Betrachtung, wenn man an den mehr dienenden, dekorativen Zweck bildender Kunst denkt. Wie erfreulich wirken die vielen Abwandlungen derselben Motive auf den Wänden pompejanischer Häuser!
Am verderblichsten wirkt die Jagd nach Neuem im Kunstgewerbe. Vielleicht bemerkt man das in der Provinz noch stärker als in der Hauptstadt, wo wenigstens einzelne Läden neben den jeweils modischen Mustern altbewährte Formen bereitstellen. In der Mittelstadt dagegen kann der Kaufmann kein grosses Lager führen, und man ist fast sicher, eine angemessene Gerätform, die einen einmal erfreute, schon nach wenigen Jahren durch widerliche Unformen verdrängt zu sehen. Für jeden besonderen Zweck und jedes Material kann es nur eine beschränkte Anzahl von gleichzeitig zweckmässigen und schönen Formen geben. Ein Überschreiten dieser Grenzen führt im besten Falle zu sogenannten kapriziösen Sachen, die als Ausfluss einer Künstlerlaune oder in besonders vornehmer Ausführung zu Luxuszwecken wohl einmal ihr Recht haben können, in billiger Massenware dagegen durch den Widerspruch der exzentrischen Form und der schablonenhaften Ausführung beleidigen. Ist einmal für irgend einen Gegenstand des Gebrauches eine rechte Form gefunden, so sollte der bessere Geschmack darauf dringen, dass die Grossindustrie, da sie ja doch unmöglich dem einzelnen Stücke wirklichen Eigenwert geben kann, diese Form festhält. Wo Handarbeit und damit eigene Erfindung einsetzt, da sollte der liebevolle Geist des Handwerkers oder Künstlers sich in der feineren Durchbildung der gegebenen Grundformen und in der Verzierung kundgeben, nicht in der Erfindung möglichst abweichender Proportionen und Grundformen. Damit soll nicht etwa einer Uniformierung das Wort geredet werden. Im Gegenteil, wenn die Lager der Kaufleute von dem Zwange befreit wären, bei jedem Modenwechsel ihren Vorrat zu erneuern, könnten sie sich durch grössere Auswahl viel leichter den individuell wechselnden Zwecken und den berechtigten persönlichen Geschmackseigentümlichkeiten anpassen. Denn die Vorliebe für bestimmte Farben, für einfaches oder prunkvolles Gerät, für grosslinige oder zierlich abwechslungsreiche Formen, für Einheit oder Mannigfaltigkeit in seiner Umgebung gehört zu den berechtigten Besonderheiten jedes Einzelnen, durch deren Durchsetzung er seinem Heim das Gepräge seiner Persönlichkeit verleiht.
Gerade wenn wir uns zu einer gewissen konservativen Haltung gewöhnen und mit Energie streben, möglichst vieles dem raschen Wechsel der Mode zu entziehen, werden wir dahin kommen, den gewaltigen Umschwung in Technik und Lebensweise auch in den äusseren Formen zur Erscheinung zu bringen; und zugleich wird unser Geist, nicht mehr abgestumpft durch den wirren Karnevalstanz
jährlich wechselnder Formen, Freiheit gewinnen, die echte Eigenart in jeder feinen Linienführung zu empfinden. Denn heute steht in merkwürdiger und doch leicht erklärlicher Verkehrung der Zuchtlosigkeit der Form eine Eintönigkeit des Ornaments gegenüber.
BÜCHERSCHAU
Hans Schmidt, Die Architekturphotographie. Mit 20 Tafeln und 52 Abbildungen im Text. Berlin, G. Schmidt. M. 4.—.
Da über Aufnahmen von Werken der Architektur, der Plastik und des Kunstgewerbes unseres Wissens noch kein zufriedenstellendes Buch vorhanden ist, so füllt die Arbeit des Verfassers in der That eine empfindliche Lücke aus, umsomehr, als sie sich auch in anderer Beziehung als eine höchst verdienstliche Leistung herausstellt. Sie berücksichtigt eingehend sowohl die technische als die ästhetische Seite der Sache, sie deckt Schwierigkeiten auf und hilft namentlich die Fehler vermeiden, die sich hier so deutlich und offeii zeigen, wie kaum in einem anderen Zweige der Photographie. Wenn auch die Anfangsgründe im allgemeinen als bekannt vorausgesetzt werden, so fehlt es doch nicht an zahlreichen praktischen Winken (über Einstellung, Rekonstruktion der Bilder und Entwickelung der Negative u. a.), die Fachleuten wie Liebhabern willkommen sein werden. e. l.
Jahrbuch für Photographie und Reproduktionstechnik für das Jahr 1902. Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner herausgegeben von Hofrat Dr. Joseph Maria Eder. XVI. Jahrgang. Mit 351 Abbildungen im Texte und 28 Kunstbeilagen. Halle a. S., Druck und Verlag von W. Knapp. M. 8.—.
Die Reichhaltigheit des neuen Jahrganges, dessen Inhalt wie bei seinen Vorgängern zur Hälfte aus Originalbeiträgen (70 an der Zahl) aus der Feder meist bekannter Fachmänner besteht, dessen andere Hälfte über die Fortschritte auf allen Gebieten der Theorie und Praxis der Photographie und der gesamten Reproduktionstechnik Bericht erstattet, entkräftet von vornherein jeden Versuch, auch nur durch Stichworte dem Fleisse und Spürsinn der forschenden und sammelnden Mitarbeiter gerecht zu werden. Wissenschaftliche Abhandlungen, die zur Erklärung chemischer und optischer Vorgänge im Bereiche der Photographie beitragen, wechseln mit der Schilderung und Beurteilung neuer Apparate und Verfahren und mit allerhand kleineren Mitteilungen und praktischen Ratschlägen, die sich sowohl dem Fachmanne als dem denkenden Amateur nützlich erweisen. Die beigegebenen Musterblätter, unter denen sich auch dreifarbige Naturaufnahmen befinden, werden ihren Zweck, zur Nacheiferung anzureizen und die Geschicklichkeit ihrer Verfertiger in helles Licht
zu setzen, sicher nicht verfehlen. e. L.
Die Grundlage der Photographie mit Gelatine- Emulsionen von Hofrat Josef Eder. Mit 30 Abbildgn. Fünfte vermehrte und verbesserte Auflage. Halle a. S. Verlag von W. Knapp. 1902. M. 7.—.
Das Buch, zugleich das neunte Heft des von Eder herausgegebenen »Ausführlichen Handbuchs der Photographie«, enthält die wissenschaftliche Grundlage der Photographie mit Gelatine-Emulsionen von den Arbeiten Poitevin’s, der zuerst Leim als Bindemittel für Silbersalze verwandte, bis zu den neuesten Errungenschaften, an denen Eder selbst durch die Herstellung von Chlor-Brom-Gelatine- Emulsion wesentlich beteiligt ist. Wer sich nicht nur mit einfachen Thatsachen und mit der mechanischen Befolgung des Hergebrachten begnügt, sondern Wissens