KUNSTCHRONIK WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13
Nr. 32. 21. August.
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903
EIN SELBSTPORTRÄT DES JACOPO DE’ BARBARI?
Im neusten Hefte der »Arte« veröffentlicht Adolfo Venturi ein herrliches Doppelporträt, das kürzlich für die Galerie zu Neapel erworben ist. Es soll den berühmten Mathematiker Fra Luca Pacioli und den Maler Jacopo de’ Barbari darstellen. Die Inschrift liesst Venturi IACO.BAR. VIGEN
NIS. P. 1495
Sie erscheint schon auf dem Lichtdruck so deutlich, dass sie in der That kaum anders wird gelesen werden können. Interpretiert darf sie dagegen wohl kaum so werden, wie es durch Venturi geschieht. Wenn sich Barbari darin als Maler und als Dargestellten bezeichnete, so müsste er im Jahre 1475 geboren sein. Das widerspricht aber allem, was wir über seine Person und seine Kunst wissen. Ich erwähne nur eine Urkunde. Im Jahre 1511 verleiht die Erzherzogin Margarethe, Regentin der Niederlande, »ihrem vielgeliebten Maler Jacopo de’ Barbari in Rücksicht auf seine Gebrechlichkeit wie sein Alter und damit er besser leben könne, und für den Rest seiner Tage unserem Dienst erhalten bleibe«, eine jährliche Pension von 100 Livres: passt diese Beschreibung auf einen Mann von 36 Jahren?! — Venturi erklärt zwar auf Grund der Inschrift auf dem Bilde: Jacopo de’ Barbari in persona, nel fiore della giovinezza, è venuto a dar torto a’ suoi biografi — aber doch nicht auch um die Urkunden Lügen zu strafen? Die Inschrift auf dem cartellino des Bildes ist also in anderer Weise zu deuten, wenn sie nicht überhaupt teilweise gefälscht ist. Vielleicht wird dadurch auch die Urheberschaft des Jacopo unsicher oder hinfällig werden, der jedesfalls kein Bild gemalt hat, das auch nur entfernt diesem grossartigen Doppelporträt nahe käme.
W; ß,
V. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG
IN VENEDIG.
Die diesjährige Kunstausstellung unterscheidet sich von den vorhergehenden durch den Versuch, die Säle der einzelnen Regionen Italiens besonders glänzend auszustatten und zwar in modernem Stile; mehr jedoch dadurch, dass kein Kunstwerk vorhanden ist, welches in ganz besonderem Grade vor allen andern die Aufmerksamkeit auf sich zieht
und einen Schritt nach vorwärts bedeutete. Um so mehr muss dies jenen Besuchern auffallen, welche im Laufe der letzten Jahre andere grosse Ausstellungen gesehen haben. Sie werden in den Hauptbildern der internationalen Säle, von welchen dies gilt, meist alten Bekannten begegnen und ausserdem vergeblich noch irgend etwas ganz Hervorragendes suchen, denn auch die für hier völlig neue Erscheinung der vierzehn Bilder des Spaniers IgnazioZuloaga ist ihnen kein Ereignis mehr, ebensowenig Liebermann’s Simson und Delila. — Bei einer Übersicht der Ausstellung ist es wohl billig, mit Deutschland zu beginnen. Es scheint, dass man dort die geschäftliche Wichtigkeit unserer Ausstellungen unterschätzt, denn nur 23 deutsche Namen figurieren und zwar nur Eingeladener. Es wäre immerhin denkbar, dass fast alles Eingeschickte zurückgewiesen worden sei. Jedenfalls ist die so ausserordentlich geringe Vertretung Deutschlands sehr auffallend. — Besehen wir das wenige, den grossen internationalen Empfangssaal betretend. Hier begegnen wir einem grossen Gemälde von O. Jank, Dame zu Pferd im Schatten eines Baumes anhaltend. Weiter in den kleineren internationalen Sälen finden wir Dettmann mit zwei kleinen anspruchslosen Bildern, H. v. Bartels mit einem grossen Bilde der Meeresbrandung, Briitt mit einer Gerichtsscene. Aus der Galerie Knorr in München sind eine grosse Anzahl Gemälde hierher gewandert, darunter von v. Habermann das Bildnis der Frau Knorr, von Lenbach das Bildnis des Prinzregenten, des alten Königs Ludwig I., Wagner’s und Bismarck’s, ferner drei kleine unbedeutende Bilder von Stuck. — Ganz besondere Bewunderung erregen hier die 19 Gemälde des vor zwei Jahren verstorbenen Faber du Faur. Sie beweisen den Künstlern, dass nicht alles bedeutungslos ist, was vor mehr als zehn Jahren entstanden ist. Es ist ein Verdienst der Leitung der Ausstellung, auch in anderen Abteilungen Arbeiten oft längst Verstorbener ausgestellt zu haben, um so jenen ebenso herzals kopflosen Vorurteilen zu begegnen. — Doch gehen wir weiter und finden von Uhde seinen barmherzigen Samariter; mit unendlicher Wahrheit ist die rührende Scene im Alltagsgewande unserer Zeit gegeben. Hugo Vogel erfreut durch eine schöne Amme, welche in einem Parke ein verstecktes Plätzchen aufgesucht hat, um das ihr anvertraute Kind zu stillen. Die lebensgrosse Figur vortrefflich beleuchtet. Zügel hat Stiere in kräftigster Bewegung geschickt. — Ausgezeichnete Tierdarstellung bietet auch Schramm in einem Hahnenkampfe und Neuborn mit zwei Marabutbildern — Von Herkomcr sehen wir ein schönes lebensgrosses Damenporträt in Schwarz. — Firle stellt eine alte Frau dar, welche ein junges Mädchen unterstützend nach langer Krankheit zum ersten Male in das Hausgärtchen führt, in welchem die Bäume in voller Blüte stehen; lebensgrosse Figuren und wie immer ergreifend
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13
Nr. 32. 21. August.
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.
Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903
EIN SELBSTPORTRÄT DES JACOPO DE’ BARBARI?
Im neusten Hefte der »Arte« veröffentlicht Adolfo Venturi ein herrliches Doppelporträt, das kürzlich für die Galerie zu Neapel erworben ist. Es soll den berühmten Mathematiker Fra Luca Pacioli und den Maler Jacopo de’ Barbari darstellen. Die Inschrift liesst Venturi IACO.BAR. VIGEN
NIS. P. 1495
Sie erscheint schon auf dem Lichtdruck so deutlich, dass sie in der That kaum anders wird gelesen werden können. Interpretiert darf sie dagegen wohl kaum so werden, wie es durch Venturi geschieht. Wenn sich Barbari darin als Maler und als Dargestellten bezeichnete, so müsste er im Jahre 1475 geboren sein. Das widerspricht aber allem, was wir über seine Person und seine Kunst wissen. Ich erwähne nur eine Urkunde. Im Jahre 1511 verleiht die Erzherzogin Margarethe, Regentin der Niederlande, »ihrem vielgeliebten Maler Jacopo de’ Barbari in Rücksicht auf seine Gebrechlichkeit wie sein Alter und damit er besser leben könne, und für den Rest seiner Tage unserem Dienst erhalten bleibe«, eine jährliche Pension von 100 Livres: passt diese Beschreibung auf einen Mann von 36 Jahren?! — Venturi erklärt zwar auf Grund der Inschrift auf dem Bilde: Jacopo de’ Barbari in persona, nel fiore della giovinezza, è venuto a dar torto a’ suoi biografi — aber doch nicht auch um die Urkunden Lügen zu strafen? Die Inschrift auf dem cartellino des Bildes ist also in anderer Weise zu deuten, wenn sie nicht überhaupt teilweise gefälscht ist. Vielleicht wird dadurch auch die Urheberschaft des Jacopo unsicher oder hinfällig werden, der jedesfalls kein Bild gemalt hat, das auch nur entfernt diesem grossartigen Doppelporträt nahe käme.
W; ß,
V. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG
IN VENEDIG.
Die diesjährige Kunstausstellung unterscheidet sich von den vorhergehenden durch den Versuch, die Säle der einzelnen Regionen Italiens besonders glänzend auszustatten und zwar in modernem Stile; mehr jedoch dadurch, dass kein Kunstwerk vorhanden ist, welches in ganz besonderem Grade vor allen andern die Aufmerksamkeit auf sich zieht
und einen Schritt nach vorwärts bedeutete. Um so mehr muss dies jenen Besuchern auffallen, welche im Laufe der letzten Jahre andere grosse Ausstellungen gesehen haben. Sie werden in den Hauptbildern der internationalen Säle, von welchen dies gilt, meist alten Bekannten begegnen und ausserdem vergeblich noch irgend etwas ganz Hervorragendes suchen, denn auch die für hier völlig neue Erscheinung der vierzehn Bilder des Spaniers IgnazioZuloaga ist ihnen kein Ereignis mehr, ebensowenig Liebermann’s Simson und Delila. — Bei einer Übersicht der Ausstellung ist es wohl billig, mit Deutschland zu beginnen. Es scheint, dass man dort die geschäftliche Wichtigkeit unserer Ausstellungen unterschätzt, denn nur 23 deutsche Namen figurieren und zwar nur Eingeladener. Es wäre immerhin denkbar, dass fast alles Eingeschickte zurückgewiesen worden sei. Jedenfalls ist die so ausserordentlich geringe Vertretung Deutschlands sehr auffallend. — Besehen wir das wenige, den grossen internationalen Empfangssaal betretend. Hier begegnen wir einem grossen Gemälde von O. Jank, Dame zu Pferd im Schatten eines Baumes anhaltend. Weiter in den kleineren internationalen Sälen finden wir Dettmann mit zwei kleinen anspruchslosen Bildern, H. v. Bartels mit einem grossen Bilde der Meeresbrandung, Briitt mit einer Gerichtsscene. Aus der Galerie Knorr in München sind eine grosse Anzahl Gemälde hierher gewandert, darunter von v. Habermann das Bildnis der Frau Knorr, von Lenbach das Bildnis des Prinzregenten, des alten Königs Ludwig I., Wagner’s und Bismarck’s, ferner drei kleine unbedeutende Bilder von Stuck. — Ganz besondere Bewunderung erregen hier die 19 Gemälde des vor zwei Jahren verstorbenen Faber du Faur. Sie beweisen den Künstlern, dass nicht alles bedeutungslos ist, was vor mehr als zehn Jahren entstanden ist. Es ist ein Verdienst der Leitung der Ausstellung, auch in anderen Abteilungen Arbeiten oft längst Verstorbener ausgestellt zu haben, um so jenen ebenso herzals kopflosen Vorurteilen zu begegnen. — Doch gehen wir weiter und finden von Uhde seinen barmherzigen Samariter; mit unendlicher Wahrheit ist die rührende Scene im Alltagsgewande unserer Zeit gegeben. Hugo Vogel erfreut durch eine schöne Amme, welche in einem Parke ein verstecktes Plätzchen aufgesucht hat, um das ihr anvertraute Kind zu stillen. Die lebensgrosse Figur vortrefflich beleuchtet. Zügel hat Stiere in kräftigster Bewegung geschickt. — Ausgezeichnete Tierdarstellung bietet auch Schramm in einem Hahnenkampfe und Neuborn mit zwei Marabutbildern — Von Herkomcr sehen wir ein schönes lebensgrosses Damenporträt in Schwarz. — Firle stellt eine alte Frau dar, welche ein junges Mädchen unterstützend nach langer Krankheit zum ersten Male in das Hausgärtchen führt, in welchem die Bäume in voller Blüte stehen; lebensgrosse Figuren und wie immer ergreifend