jahr Wilhelm’s VIII., stand die Kasseler Gemäldesammlung nicht wesentlich zurück hinter der wenig älteren Dresdner Galerie, freilich nur im Hinblick auf niederländische Kunst. Die sächsischen Sammlungen waren eher universell. Man darf nicht vergessen, dass 1806 48 Gemälde, darunter Hauptwerke von Rembrandt und Potter, der hessischen Stadt genommen und nach Malmaison gebracht worden sind. Diese Bilder halfen später wesentlich, die Galerie von St. Petersburg zur ersten Sammlung holländischer Kunst zu machen. Im 18. Jahrhundert war Rembrandt in Kassel glänzender als irgendwo vertreten. In diesem Jahrhundert hat Rembrandt wohl nicht viele so eifrige und thatkräftige Bewunderer gehabt, wieden hessischen Fürsten, der das wahrhaft Grosse in der holländischen Malerei merkwürdig sicher herausgriff. Allerdings fehlen Hobbema, Cuyp und van de Capelle in der Sammlung, jene Meister, die von den Engländern entdeckt wurden, fehlen auch die grossen Koloristen Pieter de Hooch, der Delftsche Vermeer und Kalf; Ruisdael ist nicht glücklich repräsentiert. Rembrandt aber und Frans Hals haben in dieser Galerie diejenige Stellung, die ihnen in der geschichtlichen Gruppierung erst das Urteil der letzten Jahrzehnte eingeräumt hat.
Alles wesentliche der herrlichen Sammlung wird in der Erinnerung kräftig belebt beim Durchblättern des schönen Bandes. Wir möchten kaum eines der abgebildeten Werke entbehren und wenige Stücke werden vermisst.
Diese Anzeige mit kritischen Bemerkungen zu würzen, bietet sich kaum Gelegenheit. Abgesehen davon, dass es etwas gewagt wäre, dem Direktor der Kasseler Galerie, der seine Pflegekinder besser als irgend jemand kennt, zu widersprechen: die abgebildeten Werke sind fast sämtlich charaktervolle Schöpfungen bekannter Meister. Eine Fragwürdigkeit will ich herausheben. Das herrliche Bildnis Wilhelm’s von Oranien heisst jetzt »A. T. Key«, nachdem es »Pourbus«, »Floris« und »Moro« genannt worden ist. Mir scheint der grösste unter diesen Namen, der Moro’s ist am ehesten der richtige. m. /. F.
Karl Justi, Winckelmann. 2. Auflage. Leipzig i8g8. F. C. W. Vogel.
G. v. Graevenitz, Deutsche in Rom. Studien und Skizzen aus elf Jahrhunderten. Leipzig 1902. E. A. Seemann.
Ein klassisches Buch über einen glänzenden Abschnitt deutschen Geisteslebens in Rom hat kürzlich seine zweite Auflage erlebt mit der Klanglosigkeit, die das gebildete Deutschland herkömmlicherweise seinen klassischen Büchern entgegenbringt: Karl Justi’s Winckelmann. Alle kleinen Unregelmässigkeiten und Trübungen des ersten Gusses, Folgen sowohl eines jugendlichen Ungestüms wie einer von den Verhältnissen oft bedrängten Produktion, hat die bedächtige Hand des gealterten Meisters ausgeglichen und geklärt. Die überlegene Ironie eines von Kultur jeder Art gesättigten Geistes und eine altmodisch umfängliche Belesenheit haben dem Werk eine kunstvolle Patina verliehen, die sein Edelmetall mit blitzenden Lichtern und ebenmässig schönen Dunkelheiten zu herrlicher Wirkung bringt.
Und doch — der Eindruck des Ganzen ist nicht der einer zu grossen Umrissen gesammelten Statue mit einem Postament, auf dem Reliefs die unruhvolle Mitwelt des Helden darstellen. Vielmehr erinnert das Buch an eine jener mit Staffage belebten Veduten des 18. Jahrhunderts, auf denen vor reich aufgebautem architektonischen Hintergrund ein Durcheinander geistlicher Herren, nachdenklicher Antiquare, neugieriger Reisender und harmlos geschäftigen Volkes sich entwickelt. Eine strenge Komposition fehlt diesen drei Bänden, musste fehlen, weil der Held wohl als der Ausdruck der kunstgelehrten Bemühungen seiner Zeit dasteht, nicht aber als der Repräsentant einer künst
lerischen Kultur, die für seine Zeit die massgebende oder ein Ziel uneingestandener Sehnsucht war. ln der künstlerischen Rundung des Details, der Episoden sucht das Werk seinesgleichen. Es entfaltet sich wie ein geistiges Panorama des 18. Jahrhunderts, zu dessen ästhetischer Reife das Sehnen aller modernen Bildung zurückschweift. —
Man fragt sich, wie ein Kulturgemälde von so hoher Vollendung dasein konnte, ohne einen Schriftsteller zu locken, das Leben der Deutschen in Rom durch die verschiedenen Jahrhunderte überhaupt zu verfolgen, darzustellen, wie dieser gewaltige Magnet über die himmelhohen Berge hinweg mit Zauberzwang die Geister an sich zog. Ein solcher Schriftsteller hätte mit dem mannigfaltigsten Rüstzeug an seine Aufgabe gehen müssen: mit dem auf die grossen Perspektiven eingestellten Blick des Kultnrhistorikers, mit dem Scharfsinn des rekonstruierenden Archäologen, mit den empfindlichen Organen des Kunstliebhabers, mit dem selbstlosen Sammeleifer des Archivund Bücherwurmes, mit der Gestaltungskraft des Dichters, mit der farbenstrotzenden Palette des Malers, mit den Kulissenkünsten des Regisseurs — eine Armee von Fähigkeiten hätte eben genügt, ein solches Werk langsam zu stände zu bringen.
Man stelle sich vor: eine Wandeldekoration: immer Rom und immer ein anderes. Das mittelalterliche, wohin die deutschen Kaiser zur Krönung ziehen, mit dem leuchtenden Mosaikschmuck seiner Kirchenfassaden, das Rom der Renaissance, das Luther beim Einzug demutsvoll begrüsst und von dem er bitter-zornigen Abschied nimmt, das Rom, das wir noch heute sehen, das Sixtus V. weit und geräumig ausbaut, das Bernini in den schweren Prunk des Barocks kleidet, in dessen Museen Winckelmann die strenge Schönheit antiker Kunst zuerst erfassen lernt, in dessen Gärten Goethe dichtet: »Gestalten gross, gross die Erinnerungen«. Und das alles unter dem wandernden Licht des geschichtlichen Werdens und Vergehens, von dem Frührot, das auf den Waffen der Karolinger blitzt, bis zu dem Mondlicht, das durch die Bogenhallen des Kolosseums webt. Und als Schlussstück des Ganzen draussen zwischen »Cestius’Malund dem Scherbenhügel die Wacht schwarzer Cypressen, wo die Deutschen beisammen ruhen: Carstens, Goethe’s Sohn, Waiblinger und die vielen, deren Name nur noch auf ihrem Grabstein lebt.
So hohen Anforderungen wird das Buch von Graevenitz schon deswegen nicht gerecht, weil der Verfasser selbst sie sich nicht gestellt hat. Vor der Überfülle des Stoffes hat er bestürzt Halt gemacht und sich beschieden; das 19. Jahrhundert wird ausgeschaltet und das übrige in Studien und Skizzen locker zusammengefasst. Der »denkende deutsche Romfahrer« — das Wort hat im Laufe der Zeit einen fatalen Klang bekommen — soll befähigt werden, »mit den erforderlichen allgemeinen geschichtlichen, kultur-, kirchen- und kunstgeschichtlichen Kenntnissen an die Stätten heranzutreten, auf denen sich die Geschichte des Deutschtums in Rom abgespielt hat.« In diesem »denkenden deutschen Romfahrer« wird sich der Verfasser nicht getäuscht haben und so kann er dessen Beifall sicher sein. Bei seinem Unternehmen unterstützte ihn die Verlagshandlung mit guten Reproduktionen, die geschickt gewählt sind.
Wer indessen den denkenden Romfahrer in sich überwunden und an seine Stelle den höher stehenden schauend geniessenden Kunstliebhaber gesetzt hat, wird sich nach einem feinsinnigeren Cicerone Hinsehen müssen, als v. Graevenitz ihm sein kann. Denn vor einem Kunstwerk verspürt der Verfasser selbst nur die historische Resonnanz; das Sehen und Empfinden ist seine Sache nicht. Um nur ein Beispiel zu nennen: Carlo Saraceni’s Meister