KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 28. 11. April 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
MÜNCHENER BRIEF
I.
Seit das letztemal an dieser Stelle zusammenhängend über Münchener Kunstangelegenheiten berichtet wurde, sind in der Alten Pinakothek — abgesehen von der merkwürdigen Regelung der Nachfolgerschaft Hugo von Tschudis — neuerdings nennenswerte Umgestaltungen vorgenommen worden, die zum kleineren Teil noch vor die Ernennung Professor Toni Stadlers zum »künstlerischen Beirat« fallen, zum größeren Teil aber erst in den letzten zwei Monaten stattgefunden haben. Zu ersteren gehören Veränderungen im Dürersaal, die sehr dankenswerte Zusammenstellung des Brueghelkabinetts und die Erwerbung eines heiligen Sebastian von Antonis Mor, zu letzteren die kürzlich gemeldete Neubespannung und teilweise Neuhängung von vier Sälen, denen nächstens ein fünfter, der Venetianersaal, folgen wird, ferner Hängungsänderungen in den Kabinetten, der Ankauf des ferraresischen Familienporträts und anderes, worüber in Nachfolgendem gehandelt werden soll.
Im Dürersaal hat man die Nordwand lichter gehängt, was durch Wiederherausnahme einiger Tafeln von Schäuffeleins Christgartener Altar, die man erst vor anderthalb Jahren aus den Filialgalerien eingezogen hatte, ermöglicht wurde. Nun nimmt die Mitte der rechten Nordwand Dürers Lukretia ein, links davon seine hier ausgezeichnet wirkende Beweinung Christi, rechts die zwei hart aneinandergerückten Tafeln Hans von Kulmbachs mit den Heiligen Joachim und Anna, und Willibald und Benedikt. Die Pachersche Krönung Mariä und der Schmerzensmann von Multscher wurden dafür in die obere Reihe zwischen die dezimierten Schäuffeleins gehängt. Den bisherigen Platz der Dürerschen Beweinung an der linken Westwand nimmt ein aus Aschaffenburg eingezogener, dort als »Oberrheinisch (?) um 1460« (Nr. 7) bezeichnet gewesener Flügelaltar mit der Geburt Christi als Mittelstück ein, den Fr. Bock als ein Frühwerk Mathias Grünewalds angesprochen hatte.1) Er trägt hier die Bezeichnung »Mainfränkischer Meister um 1500« und ist von den zwei Kulmbachtafeln mit den Heiligen Joseph und Zacharias flankiert. Die zwei Votivtafeln aus der Werkstatt Martin Schaffners (Nr. 1558,1559), die 1911 aus Schleißheim hereingenommen worden waren und hier Platz gefunden hatten, sind wieder entfernt worden. In den altdeutschen Kabinetten hat man die Werke Lukas Cranachs d. Ä. um vier vermehrt: das Opfer Abrahams und den Untergang Pharaos aus der Augsburger Galerie (Nr. 158 und 159), die Lukretia der
1) Fr. Bock, Die Werke des Mathias Grünewald. Heitz 1904. S. 73, Abb. Taf. XXI1I-XXV.
Schleißheimer Galerie (Nr. 187) und Adam und Eva, die früher schon in der Pinakothek gewesen2), dann aber ins Depot gebracht worden waren. Daß, mit Ausnahme des kleinen letzten Bildes, eine Notwendigkeit bestanden hätte, die genannten Arbeiten in die Pinakothek zu versetzen, wird man nicht behaupten können, da das Augenmerk doch mehr auf die Güte wie auf die Anzahl der Werke eines Meisters zu richten sein dürfte. Aus Schleißheim wurden ferner eingezogen: die kleine Kreuzigung von M. Ostendorfer (Nr. 141) und das bisher als »Art Albr. Altdorfers« (Nr. 134) bezeichnete Bild mit einer Darstellung aus der Quirinslegende, das nun versuchsweise dem Wolf Huber (?) gegeben ist. Ausgeschieden wurden dafür das angebliche Bildnis Martin Schongauers von H. Burgkmair (Nr. 220) und desselben Meisters »Esther vor Ahasver (Nr. 225), die Geschichte der Lukretia von Jörg Breu (Nr. 228), die 1911 von Erlangen eingezogen worden war, und das kleine Schaffnerporträt (Nr. 1557), das man im gleichen Jahr der Burg in Nürnberg entnommen hatte. Die zwei tirolischen Bildnisse (Nr. 1576 und 996) und das Abendmahl von M. Reichlich (Nr. 1544) sind aus den Kabinetten in den ehemaligen Stiftersaal an die Scherwand über den großen Reichlich-Altar versetzt worden.
Was die neubespannten Säle betrifft, so hat man sich, wie ich höre, in der Wahl der Farbe zum Teil noch an die Intentionen Tschudis gehalten, gleichzeitig aber bei Bestimmung der Stoffe und der einzelnen Tonnuance eine Anzahl Münchener Künstler zu Rate gezogen. Das Ergebnis ist in einem Falle ausgezeichnet, in den drei übrigen Fällen weniger befriedigend. Wirklich vorzüglich ist der Holländersaal (IV), für dessen Bespannung man einen lichtweinroten, ziemlich großgemusterten Stoff mit einem von grünen und goldenen Fäden durchzogenen Grund gewählt hat, auf dem die Bilder sehr gut wirken. Außerdem hat der Raum auch durch eine weitgehende Umhängung bedeutend gewonnen. Zwar wurden die Hauptwerke, die beiden großen Rembrandts, das Familienbild des deVos, der sogenannte Fr. Hals (Nr. 359), die v. d. Heist, Ravestijn, Bol und de Gelder an ihren ursprünglichen Wänden belassen, dagegen hat man die zwei Wasserfallandschaften von Jac. Ruijsdael und Everdingen von der Schmalwand an die Längs(nord)- wand, je zwischen die Rembrandts und den de Vos gehängt und die Enden der Wand mit Stilleben von Weenix geschlossen. An der gegenüberliegenden Längswand hat man die großen Bloemaert (Lazarus) und Eeckhout (Verstoßung der Hagar) richtigerweise in die Höhe genommen und zu seiten des sog. Hals
2) Kat. der Alten Pinakothek von 1908 Nr. 277.
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 28. 11. April 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
MÜNCHENER BRIEF
I.
Seit das letztemal an dieser Stelle zusammenhängend über Münchener Kunstangelegenheiten berichtet wurde, sind in der Alten Pinakothek — abgesehen von der merkwürdigen Regelung der Nachfolgerschaft Hugo von Tschudis — neuerdings nennenswerte Umgestaltungen vorgenommen worden, die zum kleineren Teil noch vor die Ernennung Professor Toni Stadlers zum »künstlerischen Beirat« fallen, zum größeren Teil aber erst in den letzten zwei Monaten stattgefunden haben. Zu ersteren gehören Veränderungen im Dürersaal, die sehr dankenswerte Zusammenstellung des Brueghelkabinetts und die Erwerbung eines heiligen Sebastian von Antonis Mor, zu letzteren die kürzlich gemeldete Neubespannung und teilweise Neuhängung von vier Sälen, denen nächstens ein fünfter, der Venetianersaal, folgen wird, ferner Hängungsänderungen in den Kabinetten, der Ankauf des ferraresischen Familienporträts und anderes, worüber in Nachfolgendem gehandelt werden soll.
Im Dürersaal hat man die Nordwand lichter gehängt, was durch Wiederherausnahme einiger Tafeln von Schäuffeleins Christgartener Altar, die man erst vor anderthalb Jahren aus den Filialgalerien eingezogen hatte, ermöglicht wurde. Nun nimmt die Mitte der rechten Nordwand Dürers Lukretia ein, links davon seine hier ausgezeichnet wirkende Beweinung Christi, rechts die zwei hart aneinandergerückten Tafeln Hans von Kulmbachs mit den Heiligen Joachim und Anna, und Willibald und Benedikt. Die Pachersche Krönung Mariä und der Schmerzensmann von Multscher wurden dafür in die obere Reihe zwischen die dezimierten Schäuffeleins gehängt. Den bisherigen Platz der Dürerschen Beweinung an der linken Westwand nimmt ein aus Aschaffenburg eingezogener, dort als »Oberrheinisch (?) um 1460« (Nr. 7) bezeichnet gewesener Flügelaltar mit der Geburt Christi als Mittelstück ein, den Fr. Bock als ein Frühwerk Mathias Grünewalds angesprochen hatte.1) Er trägt hier die Bezeichnung »Mainfränkischer Meister um 1500« und ist von den zwei Kulmbachtafeln mit den Heiligen Joseph und Zacharias flankiert. Die zwei Votivtafeln aus der Werkstatt Martin Schaffners (Nr. 1558,1559), die 1911 aus Schleißheim hereingenommen worden waren und hier Platz gefunden hatten, sind wieder entfernt worden. In den altdeutschen Kabinetten hat man die Werke Lukas Cranachs d. Ä. um vier vermehrt: das Opfer Abrahams und den Untergang Pharaos aus der Augsburger Galerie (Nr. 158 und 159), die Lukretia der
1) Fr. Bock, Die Werke des Mathias Grünewald. Heitz 1904. S. 73, Abb. Taf. XXI1I-XXV.
Schleißheimer Galerie (Nr. 187) und Adam und Eva, die früher schon in der Pinakothek gewesen2), dann aber ins Depot gebracht worden waren. Daß, mit Ausnahme des kleinen letzten Bildes, eine Notwendigkeit bestanden hätte, die genannten Arbeiten in die Pinakothek zu versetzen, wird man nicht behaupten können, da das Augenmerk doch mehr auf die Güte wie auf die Anzahl der Werke eines Meisters zu richten sein dürfte. Aus Schleißheim wurden ferner eingezogen: die kleine Kreuzigung von M. Ostendorfer (Nr. 141) und das bisher als »Art Albr. Altdorfers« (Nr. 134) bezeichnete Bild mit einer Darstellung aus der Quirinslegende, das nun versuchsweise dem Wolf Huber (?) gegeben ist. Ausgeschieden wurden dafür das angebliche Bildnis Martin Schongauers von H. Burgkmair (Nr. 220) und desselben Meisters »Esther vor Ahasver (Nr. 225), die Geschichte der Lukretia von Jörg Breu (Nr. 228), die 1911 von Erlangen eingezogen worden war, und das kleine Schaffnerporträt (Nr. 1557), das man im gleichen Jahr der Burg in Nürnberg entnommen hatte. Die zwei tirolischen Bildnisse (Nr. 1576 und 996) und das Abendmahl von M. Reichlich (Nr. 1544) sind aus den Kabinetten in den ehemaligen Stiftersaal an die Scherwand über den großen Reichlich-Altar versetzt worden.
Was die neubespannten Säle betrifft, so hat man sich, wie ich höre, in der Wahl der Farbe zum Teil noch an die Intentionen Tschudis gehalten, gleichzeitig aber bei Bestimmung der Stoffe und der einzelnen Tonnuance eine Anzahl Münchener Künstler zu Rate gezogen. Das Ergebnis ist in einem Falle ausgezeichnet, in den drei übrigen Fällen weniger befriedigend. Wirklich vorzüglich ist der Holländersaal (IV), für dessen Bespannung man einen lichtweinroten, ziemlich großgemusterten Stoff mit einem von grünen und goldenen Fäden durchzogenen Grund gewählt hat, auf dem die Bilder sehr gut wirken. Außerdem hat der Raum auch durch eine weitgehende Umhängung bedeutend gewonnen. Zwar wurden die Hauptwerke, die beiden großen Rembrandts, das Familienbild des deVos, der sogenannte Fr. Hals (Nr. 359), die v. d. Heist, Ravestijn, Bol und de Gelder an ihren ursprünglichen Wänden belassen, dagegen hat man die zwei Wasserfallandschaften von Jac. Ruijsdael und Everdingen von der Schmalwand an die Längs(nord)- wand, je zwischen die Rembrandts und den de Vos gehängt und die Enden der Wand mit Stilleben von Weenix geschlossen. An der gegenüberliegenden Längswand hat man die großen Bloemaert (Lazarus) und Eeckhout (Verstoßung der Hagar) richtigerweise in die Höhe genommen und zu seiten des sog. Hals
2) Kat. der Alten Pinakothek von 1908 Nr. 277.