KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 31. 2. Mai 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE UMGESTALTUNG DER GEMÄLDEGALERIE DES WIENER HOFMUSEUMS.
II.*)
Der zweite Italienersaal und die meisten der zugehörigen Kabinette sind rot bespannt, eine Farbenwahl, die nicht als ganz so glücklich bezeichnet werden kann wie die im ersten Saale mit seinen Kabinetten. Rot ist eine viel zu ausgesprochene Farbe, um alle Bilder günstig zur Erscheinung zu bringen. Tatsächlich wirken denn auch manche von den Gemälden trüb und stumpf auf dieser zu kräftigen Unterlage. Außerdem ist auch der Durchblick aus den »grünen« Kabinetten in die »roten« oder umgekehrt für das Auge irritierend. Doch soll diese Feststellung kein Vorwurf sein, denn jeder, der mit solchen Dingen einmal zu tun gehabt hat, weiß, welch ein Hazardspiel die Auswahl einer passenden Wandfarbe ist, da die Farbe, die im Probestreifen vorzüglich zu passen schien, dann in der Gesamtwirkung enttäuscht. Jedenfalls scheint aus all den verschiedenen Versuchen in den verschiedenen neugehängten Bildergalerien zu resultieren, daß nach unserem heutigen Geschmack die neutralsten, wenigst ausgesprochenen Farben als die für die Bildwirkung günstigsten erscheinen. Die alten Sammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts umgingen diese schwierige Klippe, indem sie die Bilder Rahmen an Rahmen aufhängten, so daß gar kein Wandgrund dazwischen sichtbar blieb. Das 19. Jahrhundert hat die Sammlungen dann je nach dem zeitweiligen Geschmacke arrangiert, und es scheint mir, daß die Verwendung satter, leuchtender Wandfarben nochauf dieGeschmacksrichtung der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückgeht, wo man die Bilder nur als kostbare Dekoration prunkvoller Räume ähnlich wie Teppiche u. a. verwendete, wo es weniger auf das Bild als Einzelobjekt als auf die Erzielung eines luxuriösen malerischen Gesamteindruckes ankam. Unsere Stellung zum alten Kunstwerke hat sich heute völlig geändert, was sich schon darin äußert, daß wir die Bilder minderer Qualität, die dem früheren Geschmack schon als Quantität zur Erreichung überwältigender Fülle und Pracht noch nötig waren, nach Möglichkeit ausscheiden und dem Qualitätsbilde die höchste Wirkung zu verleihen trachten. Ein moderner Architekt, den man bei der Hängung einer Sammlung zu Rate ziehen würde, würde wahrscheinlich als besten Hintergrund ein gebrochenes Weiß empfehlen. Ich bin sicher, daß die Bilder in ungeahnter Weise gewinnen würden.
Doch wir wollen nun den Rundgang durch die neuen Säle wieder aufnehmen. Der zweite Saal ist
*) Vgl. Kunstchronik Nr. 24.
im allgemeinen zweireihig behängt, und zwar wieder so wie der erste, daß die bessern Bilder in der untersten Reihe, in Augenhöhe angebracht sind. Über dieser Doppelreihe von Bildern ist in größerer Höhe noch in friesartiger Anordnung eine Reihe von dekorativen Bildern großem Formates aus der spätem Venezianischen Schule (Domenico Tintoretto, Werkstattbilder Paolo Veroneses, Palma Giovine usw.) untergebracht. Über diesen Wechsel der Wandhöhe zwischen dem ersten und dem zweiten Saale ließe sich streiten, zumal man die meisten Bilder in dieser obersten Reihe lieber in der Studiensammlung als in der Schausammlung, die doch vorzüglich Bilder ersten Ranges enthalten soll, gesehen hätte. Doch mögen bei der Aufnahme dieser Bilder triftige Gründe mitgesprochen haben, die eine zu starke Entleerung der Säle als nicht opportun erscheinen ließen.
Die Mitte der Eingangswand ist der hl. Justina mit dem Einhorn von Moretto zugewiesen, die umgeben ist von Porträts von Licinio, Moroni und der Grablegung von Savoldo. Ein interessantes (bezeichnetes) Männerbildnis von Bern. Licinio (Nr. 221a) ist aus dem Depot hervorgeholt worden. Die Hauptlängswand zerfällt in drei Gruppen: links hängen um den hl. Zacharias von Bonifazio (Nr. 226) der hl. Sebastian, Fabian und Rochus (Nr. 263) und die Anbetung (Nr. 276) von Giac. Bassano, sowie Bilder von Schiavone. Das Zentrum der dem Jac. Tintoretto gewidmeten Mittelgruppe bildet der prächtige Philosoph (Nr. 239a), der zur Serie in der Sala dei Filosofi im Palazzo Ducale in Venedig gehört und bisher stets im Depot sich befunden hatte, nun aber in prächtiger Weise die lange Saal wand beherrscht. Links von ihm hängen (in der untern Reihe) Herkules und Omphale (Nr. 254), der große Hieronymus (Nr. 417: Umtaufe, früher Palma Giov.) und das Porträt von Seb. Veniero (236), rechts das Porträt Nr. 244, die Susanna (239) und das Porträt von Barbaro (224). Die rechte Gruppe dieser langen Wand bilden die Anbetung von Paolo Veronese (389) und die junge Frau von Bordone (248). Die Mitte der dritten, kurzen Wand des Saales nimmt die große Verkündigung von Veronese (404) ein, umgeben von Porträts von Leandro Bassano, A. Badile u. a. Die Mitte der vierten, langen Wand nimmt beherrschend die Salbung Davids (393) von Batt. Zelotti ein, die nach ihrer Herunterholung aus früherer himmelhoher Höhe zu einer neuen Bedeutung auferstanden ist. Rechts und links davon hängen in zwei Reihen Werke von Paris Bordone, Veronese (die Judith Nr. 391, früher Batt. Zelotti genannt) und die Beweinung von Palma Giovine (419).
Die erste Abteilung des zweiten Kabinetts (rot) ist
hauptsächlich dem Lotto gewidmet. In der Mitte der
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 31. 2. Mai 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE UMGESTALTUNG DER GEMÄLDEGALERIE DES WIENER HOFMUSEUMS.
II.*)
Der zweite Italienersaal und die meisten der zugehörigen Kabinette sind rot bespannt, eine Farbenwahl, die nicht als ganz so glücklich bezeichnet werden kann wie die im ersten Saale mit seinen Kabinetten. Rot ist eine viel zu ausgesprochene Farbe, um alle Bilder günstig zur Erscheinung zu bringen. Tatsächlich wirken denn auch manche von den Gemälden trüb und stumpf auf dieser zu kräftigen Unterlage. Außerdem ist auch der Durchblick aus den »grünen« Kabinetten in die »roten« oder umgekehrt für das Auge irritierend. Doch soll diese Feststellung kein Vorwurf sein, denn jeder, der mit solchen Dingen einmal zu tun gehabt hat, weiß, welch ein Hazardspiel die Auswahl einer passenden Wandfarbe ist, da die Farbe, die im Probestreifen vorzüglich zu passen schien, dann in der Gesamtwirkung enttäuscht. Jedenfalls scheint aus all den verschiedenen Versuchen in den verschiedenen neugehängten Bildergalerien zu resultieren, daß nach unserem heutigen Geschmack die neutralsten, wenigst ausgesprochenen Farben als die für die Bildwirkung günstigsten erscheinen. Die alten Sammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts umgingen diese schwierige Klippe, indem sie die Bilder Rahmen an Rahmen aufhängten, so daß gar kein Wandgrund dazwischen sichtbar blieb. Das 19. Jahrhundert hat die Sammlungen dann je nach dem zeitweiligen Geschmacke arrangiert, und es scheint mir, daß die Verwendung satter, leuchtender Wandfarben nochauf dieGeschmacksrichtung der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückgeht, wo man die Bilder nur als kostbare Dekoration prunkvoller Räume ähnlich wie Teppiche u. a. verwendete, wo es weniger auf das Bild als Einzelobjekt als auf die Erzielung eines luxuriösen malerischen Gesamteindruckes ankam. Unsere Stellung zum alten Kunstwerke hat sich heute völlig geändert, was sich schon darin äußert, daß wir die Bilder minderer Qualität, die dem früheren Geschmack schon als Quantität zur Erreichung überwältigender Fülle und Pracht noch nötig waren, nach Möglichkeit ausscheiden und dem Qualitätsbilde die höchste Wirkung zu verleihen trachten. Ein moderner Architekt, den man bei der Hängung einer Sammlung zu Rate ziehen würde, würde wahrscheinlich als besten Hintergrund ein gebrochenes Weiß empfehlen. Ich bin sicher, daß die Bilder in ungeahnter Weise gewinnen würden.
Doch wir wollen nun den Rundgang durch die neuen Säle wieder aufnehmen. Der zweite Saal ist
*) Vgl. Kunstchronik Nr. 24.
im allgemeinen zweireihig behängt, und zwar wieder so wie der erste, daß die bessern Bilder in der untersten Reihe, in Augenhöhe angebracht sind. Über dieser Doppelreihe von Bildern ist in größerer Höhe noch in friesartiger Anordnung eine Reihe von dekorativen Bildern großem Formates aus der spätem Venezianischen Schule (Domenico Tintoretto, Werkstattbilder Paolo Veroneses, Palma Giovine usw.) untergebracht. Über diesen Wechsel der Wandhöhe zwischen dem ersten und dem zweiten Saale ließe sich streiten, zumal man die meisten Bilder in dieser obersten Reihe lieber in der Studiensammlung als in der Schausammlung, die doch vorzüglich Bilder ersten Ranges enthalten soll, gesehen hätte. Doch mögen bei der Aufnahme dieser Bilder triftige Gründe mitgesprochen haben, die eine zu starke Entleerung der Säle als nicht opportun erscheinen ließen.
Die Mitte der Eingangswand ist der hl. Justina mit dem Einhorn von Moretto zugewiesen, die umgeben ist von Porträts von Licinio, Moroni und der Grablegung von Savoldo. Ein interessantes (bezeichnetes) Männerbildnis von Bern. Licinio (Nr. 221a) ist aus dem Depot hervorgeholt worden. Die Hauptlängswand zerfällt in drei Gruppen: links hängen um den hl. Zacharias von Bonifazio (Nr. 226) der hl. Sebastian, Fabian und Rochus (Nr. 263) und die Anbetung (Nr. 276) von Giac. Bassano, sowie Bilder von Schiavone. Das Zentrum der dem Jac. Tintoretto gewidmeten Mittelgruppe bildet der prächtige Philosoph (Nr. 239a), der zur Serie in der Sala dei Filosofi im Palazzo Ducale in Venedig gehört und bisher stets im Depot sich befunden hatte, nun aber in prächtiger Weise die lange Saal wand beherrscht. Links von ihm hängen (in der untern Reihe) Herkules und Omphale (Nr. 254), der große Hieronymus (Nr. 417: Umtaufe, früher Palma Giov.) und das Porträt von Seb. Veniero (236), rechts das Porträt Nr. 244, die Susanna (239) und das Porträt von Barbaro (224). Die rechte Gruppe dieser langen Wand bilden die Anbetung von Paolo Veronese (389) und die junge Frau von Bordone (248). Die Mitte der dritten, kurzen Wand des Saales nimmt die große Verkündigung von Veronese (404) ein, umgeben von Porträts von Leandro Bassano, A. Badile u. a. Die Mitte der vierten, langen Wand nimmt beherrschend die Salbung Davids (393) von Batt. Zelotti ein, die nach ihrer Herunterholung aus früherer himmelhoher Höhe zu einer neuen Bedeutung auferstanden ist. Rechts und links davon hängen in zwei Reihen Werke von Paris Bordone, Veronese (die Judith Nr. 391, früher Batt. Zelotti genannt) und die Beweinung von Palma Giovine (419).
Die erste Abteilung des zweiten Kabinetts (rot) ist
hauptsächlich dem Lotto gewidmet. In der Mitte der